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       # taz.de -- Debatte um Cannabis-Legalisierung: Volle Dröhnung
       
       > Kiffen hilft dabei, Bezüge zu entdecken und den richtigen Ton zu treffen.
       > Beim Noch-mal-Drüberlesen setzt dann die Ernüchterung ein.
       
   IMG Bild: Lassen sich, wenn es nach der Bremer Politik geht, bald legal beschaffen: Ingredienzien für den Joint.
       
       Man muss nicht alles verbraucherfreundlich (gesetzlich) regeln, es ist doch
       in Ordnung, wenn man sich wie bisher ein bisschen bemühen muss, um an
       Rauschgift ranzukommen.
       
       Hasch macht lasch, dagegen baut sich durch die Umständlichkeit der
       halbherzigen Illegalität (in Berlin geht man angeblich noch mit bis zu neun
       Gramm straffrei aus) ein gewisses Spannungsverhältnis auf, wobei das Kiffen
       zu etwas Besonderem wird. Und tatsächlich verliert das Zeug ja auch bei
       allzu vielem Kiffen an Wirkung.
       
       In der Berliner taz und auf den Buchmesseständen haben wir während der
       „Arbeit“ geraucht, heute wird höchstens noch nach Feierabend gekifft. In
       der Zwischenphase wurde nach Produktionsschluss abends regelmäßig Sekt
       getrunken.
       
       Mittlerweile wurde aber auch das Kraut in Amerika und Holland, das
       ursprünglich sieben bis acht Prozent THC enthielt, auf 16 bis 18 Prozent
       hochgezüchtet, die genetisch veränderten Pflanzen haben sogar einen
       THC-Gehalt von bis zu 26 Prozent. Dabei habe ich das Gefühl, es macht mir
       auf Dauer das Gehirn kaputt – das Kurzzeit- und Namensgedächtnis zum
       Beispiel.
       
       Als tazler der zweiten Stunde (seit 1980) ist das Recherchieren und
       Schreiben für mich keine Arbeit, sondern Wunsch und oft auch Leidenschaft –
       und ein Joint ist dabei hilfreich: Ich bin damit konzentrierter (fast wie
       auf einem Laserstrahl). Die Gespräche oder Geräusche um mich herum nehme
       ich nicht wahr, und beim Lesen fallen mir laufend irgendwelche Bezüge oder
       Ideen ein (die ich an den Rand schreibe). Man könnte vielleicht von einem
       gesteigerten Digressions-Druck sprechen.
       
       Zugegeben, wenn ich bekifft „arbeite“, bin ich meist derartig begeistert
       von dieser Tätigkeit, dass ich meinem Gedankenstrudel unkritisch
       ausgeliefert bin. Zur Not schmeiß ich die Notizen am nächsten Tag weg. Aber
       meistens ist es so: Wir ziehen uns auf eine Couch nahe der Tür zum
       Dachgarten, also fast nach draußen, zurück und drehen einen Joint. Wenn
       jemand vorbeikommt und sich erstaunt: „Was, ihr kifft schon?“, dann wird
       ihm geantwortet: „Wir rauchen doch nicht zum Vergnügen.“
       
       Zurück am Schreibtisch fange ich an zu tippen – und darüber vergeht dann
       langsam der Rausch – nach einigen Stunden, woraufhin ich den Text noch
       einmal und noch einmal lese – zunehmend nüchterner also, bis ich das Gefühl
       habe: Das kann man jetzt dem Redakteur X oder Y schicken, damit der es
       wegdruckt.
       
       ## Wo der Rausch hilft
       
       Beim Schreiben muss man erst einmal den „richtigen Ton“ finden, vor allem
       dabei hilft der Rausch, der immer auch ein bisschen Distanz (zum Thema)
       schafft. Kein Wunsch kommt auf nach einer Meinung zu zwei gegensätzlichen
       Positionen (in der Kremlastrologie, der Biologie, im Naturschutz und so
       weiter), sondern eher Erstaunen und Freude an der Differenz.
       
       Bei der Frage zum Beispiel, warum die Zebras ein gestreiftes Fell haben,
       gibt es sogar sechs ernst zu nehmende wissenschaftliche Erklärungen, die
       sich allerdings nur zum Teil ausschließen. In der Regel behilft man sich
       bei so einem Fall mit einer Great Unified Theory (GUT) – und deduziert dann
       in der Forschung nur noch runter, bis man die dazu passenden „harten
       Fakten“ gewonnen hat – und dann schreit man: „Erster!“
       
       Aber bis es bei diesem Fall so weit ist, kann man gut und gerne der
       Erklärung des Münchner Ökologen Josef Reichholf folgen. Der stand einmal in
       Tansania im Serengeti-Nationalpark und fragte sich: Warum befindet sich
       „die Wiege der Menschheit“ ausgerechnet in der Serengeti (die der
       Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek „rettete“), das heißt, warum
       gingen beziehungsweise liefen die „Vormenschen“ von der dortigen Savanne
       aus – aufrecht – in die übrige Welt hinaus? Und was hat das mit den dort
       lebenden Pferden – den Zebras und ihrem seltsamen schwarz-weiß gestreiften
       Fell – zu tun, und wie hängt das wiederum mit der dort ebenfalls
       „heimischen“ Tsetsefliege zusammen, die Dr. Grzimek einst den
       „bedeutendsten Naturschützer Afrikas“ nannte ...
       
       Diese zusammenhängenden Fragen beantwortet der jetzt siebzigjährige
       Reichholf in seinem zuletzt erschienenen Buch: „Mein Leben für die Natur“.
       Aber das gehört nicht hierher. Auch glaube ich nicht, dass Reichholf kifft.
       Obwohl Staatsbeamter, hat der Vielreisende eher etwas von einem
       „Naturburschen“ – so wie viele Feldbiologen. Ihr Rausch entsteht im Kontakt
       mit den jeweiligen Forschungsgebieten beziehungsweise -objekten – Tieren
       oder Pflanzen. Nicht wenige wurden irre an ihrer Empathie, die zudem mit
       einer gewissen Distanz zu den Menschen einhergeht.
       
       Die schwedische Ornithologin Ulla-Lene Lundberg sagt es in ihrem
       Expeditionsbericht „Sibirien. Porträt mit Flügeln“ so: „Von
       Vogelbeobachtern heißt es, sie seien Menschen, die von anderen Menschen
       enttäuscht wurden. Darin liegt etwas Wahres, und ich will nicht leugnen,
       dass ein Teil des Entzückens, mit anderen Vogelguckern gemeinsam draußen,
       in der Tundra, unterwegs zu sein, in der unausgesprochenen Überzeugung
       liegt, die Vögel verdienten das größere Interesse.“
       
       ## Humane Illegalität
       
       Für Leute, die das Kiffen zum leichten Verrücken einer Sichtweise brauchen,
       ist „das Kiffen“ übrigens nicht von Interesse – also kein Thema, wenigstens
       keins, um das sie sich reißen.
       
       Mir ist außerdem eine humane Illegalisierung lieber als eine harte
       Legalisierung von Marihuana. Aber dieses Thema diskutieren hier ja bereits
       andere. Mir fällt dazu aber noch ein Satz von einem Praktikanten ein, mit
       dem ich neulich arbeitsmäßig kiffte: „Nach dem Abitur habe ich viel
       geraucht, irgendwann bin ich abgeschifft, hab dann grad’ noch die Kurve
       gekriegt.“ Er studiert jetzt Journalismus. Aber ob das die richtige „Kurve“
       ist ...
       
       Ich komm ja aus Bremen, und da haben die besten Kiffer noch ganz andere
       Kurven gekratzt. Aber ist schon klar: Er, der kommende Journalist, wollte
       nicht einfach bedröhnt verblöden. Die Straßen der Hauptstadt sind voll mit
       solchen Leuten – Jungs meist, nur wenige Mädchen, die sich von unseren
       „nach-gesellschaftlichen Projektwelten“ anscheinend nicht so verschrecken
       lassen.
       
       Mehr über den Kulturkampf um die Legalisierung von Cannabis lesen Sie in
       der gedruckten taz.nord am Wochenende oder [1][hier].
       
       11 Mar 2016
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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