URI: 
       # taz.de -- 25 Jahre Tresor in Berlin: „In Techno steckt unglaubliche Kraft“
       
       > In Berlin beginnen die Feierlichkeiten, bevor es nach Detroit weitergeht:
       > Vor 25 Jahren gründete der Impresario Dimitri Hegemann den Tresor. Ein
       > Gespräch.
       
   IMG Bild: Die ehemalige Packard-Fabrik in Detroit.
       
       taz: Dimitri Hegemann, Sie kommen gerade aus Detroit zurück. Was reizt Sie
       an der Stadt? 
       
       Dimitri Hegemann: Für Raumvorstellungen ist Detroit ein Schlaraffenland.
       Wenn man vom Flughafen in die Stadt fährt, ist man gleich in einem Film, da
       stehen intakte Gebäude neben Ruinen, es sieht aus wie zerbombt. Das
       versetzt mich in einen Rausch. Deshalb werden wir in der Automobilfabrik
       Packard, die seit circa 50 Jahren leer steht, einen Modellversuch starten.
       
       Wie sieht der aus? 
       
       Es soll eine soziale Plastik werden, verschiedene Welten unter einem Dach
       vereint. Es wird ein Hostel geben, was in Detroit bisher fehlt. Dann gibt
       es einen Ausstellungsraum und natürlich auch – ganz wichtig – einen
       Technoclub sowie ein Pop-up-Restaurant, eine Markthalle und einen
       Gartenbereich. Das wird alles von Detroitern gemacht, unterstützt auch von
       unseren Freunden aus dem Umfeld der Technoaktivisten von Underground
       Resistance.
       
       Sie haben oft gesagt, Sie möchten Detroit etwas zurückgeben. Was haben Sie
       von den Technoproduzenten von dort Anfang der Neunziger für Ihren Club
       Tresor bekommen? 
       
       Sie haben mir im richtigen Augenblick eine Musik präsentiert, die
       funktionierte. Detroit Techno der zweiten Generation, von Produzenten wie
       Robert Hood, Jeff Mills und Mike Banks hat Berlin komplett verändert. Diese
       Kraft, diese Energie in der Musik hat die Stadt in den Wirren nach der
       Wiedervereinigung erfasst. Sie war der Impulsgeber, das Momentum. Sie
       passte perfekt in die Zeit und auch an den Ort, diese alte Stahlkammer
       namens Tresor. Ich helfe Detroit nun im Gegenzug dabei, auch etwas
       aufzubauen.
       
       Vor 25 Jahren, Mitte März 1991, haben Sie den Tresor-Club in der Leipziger
       Straße in Mitte eröffnet. Wie war das, als Sie den Keller zum ersten Mal
       betreten haben? 
       
       Wir waren ein Team: Achim Kohlberger und ich, zwei Wessis, und Johnnie
       Stieler aus Lichtenberg. Erst mal sah diese Baracke nicht so verlockend
       aus. Aber wir entwickelten Pioniergeist und es dauerte nicht lange, dann
       haben wir diese Kellertür gefunden und kamen in diesen Riesenraum mit den
       weißen Kacheln. Und plötzlich entdeckten wir den Eingang zu dem alten
       Tresorraum.
       
       Welche Türen mussten Sie in Detroit öffnen? 
       
       Die Türen zum Stadtrat. Wir veranstalteten dort deshalb drei Konferenzen
       letztes Jahr, die „Move to Detroit“ hießen. Ich habe verschiedene Kapitel
       aus der jüngeren Berliner Geschichte erzählt und versucht, den Leuten Mut
       zu machen.
       
       Was haben Sie gesagt? 
       
       Meine beiden Verkaufsschlager sind Night-Time-Economy und Zwischennutzung
       von stadteigenen Liegenschaften. Gib sie den Künstlern, anstatt sie
       verfallen zu lassen. Und das ist neu für die Behörden in Detroit. Ich habe
       denen gesagt: „Ihr schafft das, ihr habt Raum!“ Den hatten wir damals in
       Berlin auch. Im August letzten Jahres kam dann eine Delegation aus Detroit
       und hat gestaunt, wie das hier läuft. Allerdings leben in Detroit nicht so
       viele Menschen wie in Berlin, deshalb muss man Menschen nach Detroit durch
       ungewöhnliche Maßnahmen locken.
       
       Die da wären? 
       
       Je öfter ich dort bin, desto mehr Schätze entdecke ich. Primär ist das die
       unglaublich vielfältige Musikgeschichte der Stadt, ob das jetzt MC 5, Iggy
       Pop oder Motown-Soul ist. Oder eben Techno.
       
       Wie unterscheidet sich Detroit heute vom Berlin der Nachwende-Zeit? 
       
       Ich stehe auf Guerilla-Building: Morgen fangen wir an zu werkeln und
       übermorgen eröffnen wir, so kenne ich das aus dem Tresor. Aber in Detroit
       geht das nicht mehr, da sind andere rechtliche Bedingungen. Außerdem gibt
       es eine Sperrstunde: zwei Uhr nachts. Wenn wir damals in Berlin die
       Polizeistunde gehabt hätten, gäbe es bestimmte Sachen nicht. Deshalb kämpfe
       ich für diese Night-Time-Economy und versuche den Entscheidungsträgern in
       Detroit zu erklären, dass sie die Sperrstunde abschaffen oder wenigstens
       verschieben.
       
       Ich glaube, dass sich nur ein Bruchteil der Berliner Bevölkerung jemals mit
       Techno beschäftigt hat. Aber der Einfluss dieser wenigen tausend Menschen
       strahlt auf die ganze Welt. Es macht die Stadt attraktiv und schräg. In
       Techno steckt unglaubliche Kraft.
       
       Wie würden Sie Ihr Jobprofil beschreiben? 
       
       Man kann mich immer anrufen, ich bin ein Berater für Night-Time-Economy und
       Zwischennutzung ist ein Teil davon. In dieser Nische kenne ich mich ganz
       gut aus.
       
       Sie haben nicht nur euphorische Phasen, sondern auch miese Zeiten im
       Nachtleben erlebt. Ende der Neunziger etwa. 
       
       Ich war damals verwirrt, wenn man mal Erfolg hat, dann kriegt man Flausen
       im Kopf.
       
       Welche positiven Erfahrungen aus dem Tresor bedeuten Ihnen heute noch
       etwas? 
       
       Wie verspielt der Club begonnen hat, begünstigt durch die besondere
       Situation nach dem Mauerfall. Das deckte sich mit der Euphorie durch die
       Love Parade und dem Zusammenwachsen von Ost und West. Alle mochten Techno,
       weil die Szene schon vereint war, bevor es im Land öffentlich verkündet
       wurde. Heute ist alles schwieriger, die Konkurrenz ist härter geworden, die
       Kontrolle durch die Behörden.
       
       Wie wirkt sich das auf die Atmosphäre im Tresor aus? 
       
       Die Leidenschaft ist die gleiche. Die Leute kommen zusammen in einem
       dunklen Raum, und diese togetherness, das isses. Man will mit anderen im
       Club feiern, im Halbdunkel, diesen Sound spüren im Bauch, diese Schatten
       sehen, auch diese Intensität. Diese Energie wird nie enden.
       
       Ist der Tresor in 25 Jahren Weltkulturerbe oder Geschichte? 
       
       Die Stadt hat ja schon so viele Fehler gemacht, angefangen in den
       Neunzigern, als ich den Tresor-Tower als Gründerzentrum auf den alten
       Fundamenten errichten wollte, leider ist das gescheitert. Ich glaube, dass
       es den Tresor immer geben wird. Ich träume davon, dass sich Verantwortliche
       von Institutionen, etwa der Tate Modern in London, für gemeinsame Aktionen
       mit mir zusammentun. Die Überwindung von Entfernung ist heute viel
       einfacher als 1991: Im Tresor gab es kein Handy und kein E-Mail, da war
       Steinzeit. Aber unser Club hat viele andere inspiriert.
       
       Und wie geht es Ihnen dabei? 
       
       So jemand wie ich fällt auch mal auf die Nase, aber ich stehe wieder auf.
       Ich denke immer, große Konzerne machen nie Fehler. Stimmt nicht, deren
       Fehler haben ganz andere Dimensionen, siehe Volkswagen. Unser Projekt in
       Detroit und das im Tresor ist eine soziale Plastik. Insofern bin ich
       zufrieden, und glaube, dass es weitergeht. Gebt den Kids Raum und lasst sie
       machen!
       
       12 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
       ## TAGS
       
   DIR Detroit
   DIR Museum
   DIR Konzert
   DIR Mauerfall
   DIR Detroit
   DIR Popfestival
   DIR Schwerpunkt taz Leipzig
   DIR elektronische Musik
   DIR Detroit
   DIR Techno
   DIR Iggy Iop
   DIR Texas
   DIR Baltimore
   DIR Detroit
   DIR House
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Techno-Museum in Frankfurt am Main: Geschichten zurechtrücken
       
       Richtiger Schritt, richtiger Ort: Eine Ausstellung im MOMEM in Frankfurt am
       Main durchleuchtet die Techno-Verbindungen zwischen Detroit und Berlin.
       
   DIR Berlin-Konzert von Jimetta Rose und Chor: Dem Atmen einen Ton geben
       
       US-Sängerin Jimetta Rose tritt Samstagnacht mit ihrem Gospelchor The Voices
       of Creation bei ihrer ersten Europatour im Berliner Tresor auf.
       
   DIR Die Wochenvorschau für Berlin: Einmal geteilt, immer geteilt
       
       Eine Ausstellung über Ost-Berlin im Stadtmuseum, eine Diskussion über eine
       Tür im Tresor und eine Geburtstagsparty in Dahlem.
       
   DIR US-Industriestadt Detroit: Die Macht des Pizza-Clans
       
       In Detroit markierten die Unruhen von 1967 den Beginn des Niedergangs. Noch
       heute ist die „Motor City“ geprägt von Spannungen.
       
   DIR Festival im Berliner Kraftwerk: Die Isolation im Kollektiv feiern
       
       „Berlin Atonal“ löst die Grenzen zwischen Hoch- und Popkultur auf. Die
       Kuratoren setzen auf künstlerische Freiheit statt auf große Namen.
       
   DIR Zwang zur nächtlichen Ruhe: Pause für die Partykultur
       
       Leipzig hat lange mit seiner liberalen Haltung gegenüber Nachtclubs
       geworben. Doch eine Sperrstunde für das IfZ markiert einen Kurswechsel.
       
   DIR Gesellschaftsbezogene Clubmusik: Nicht mehr so weitermachen
       
       Vorstellungen von idealisierter Natur: In aktuellen Alben von Stimming, The
       Field, Thylacine und Pantha Du Prince gibt es Momente der Weltflucht.
       
   DIR Detroit Techno in einem Fotoband: Motown's Underground Resistance
       
       Die Detroiter Technoszene aus der Nähe: In ihrem Buch „313ONELOVE“
       porträtiert die Fotografin Marie Staggat DJs und Musiker der Motor City.
       
   DIR 20 Jahre Raster Noton: Drei Männer und ein Baby
       
       Das Elektroniklabel Raster Noton arbeitet an der Schnittstelle von Club und
       Kunst. Ein Ständchen zum 20-jährigen Bestehen.
       
   DIR Neues Album von Iggy Pop: Das Tier kriecht aus der Höhle
       
       Wer pisst da genüsslich auf die smarten Laptop-Poser von heute? Iggy Pop
       mit seiner Platte „Post Pop Depression“, einer Kooperation mit Josh Homme.
       
   DIR South-By-Southwest-Festival in den USA: Rock ’n’ Robotik
       
       Das South By Southwest in Texas ist sowohl Politbühne als auch
       Musikspektakel und Tech-Werkstatt. Traditionell geht es bei dem Festival
       ums Ganze.
       
   DIR Essayband „Zwischen mir und der Welt“: Geruch der Gewalt
       
       Wie die Sklavereigeschichte ins Heute reicht. „Zwischen mir und der Welt“
       ist ein ausgezeichneter Essayband des US-Autors Ta-Nehisi Coates.
       
   DIR Neue Tanzmusik aus Detroit: Popowackeln ist Klassenkampf
       
       Vorzüglich ist ein Mix des House-Produzenten Moodymann. Nervennahrung gegen
       Stress kommt von Tadd Mullinix und Daniel Meteo.
       
   DIR Pop und Transzendentalismus: Musik aus dem Unterholz
       
       Deradoorian, White Poppy und DJ Richard: drei neue Popalben von jungen
       nordamerikanischen Künstlern und ihre Hinwendung zur Natur.
       
   DIR Stand der Dinge im House: Durch die Nacht und zurück
       
       Michaelangelo Matos hat ein Buch zur House-Historie vorgelegt. Der aktuelle
       Stand ist zu hören auf Alben von Seven Davis Jr, Hunee und Paxton Fettel.