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       # taz.de -- Medikamententests in der DDR: Versuchslabor Ostdeutschland
       
       > Westliche Pharmafirmen nutzten DDR-BürgerInnen als Versuchskaninchen ohne
       > deren Wissen. Das sei kein Skandal, sagen Forscher.
       
   IMG Bild: Laura Hottenrott, Mitarbeiterin des Forschungsprojekts, bei der Vorstellung der Studie.
       
       Berlin taz | Westdeutsche Pharmafirmen haben noch nicht zugelassene
       Medikamente an PatientInnen in der DDR testen lassen. Das ist das Ergebnis
       einer Untersuchung, die am Dienstag in der Stiftung zur Aufarbeitung der
       SED-Diktatur vorgestellt wurde. Rund 320 „klinische Auftragsstudien“ seien
       bis 1990 durchgeführt worden. Für die Wissenschaftler um den Berliner
       Medizinhistoriker Volker Hess ist das allerdings ein „Skandal, der keiner
       war“.
       
       Hess nimmt damit Bezug auf eine Debatte, die 2013 vom Spiegel angestoßen
       wurde. Von „Menschenversuchen“ war da die Rede und davon, dass PatientInnen
       ohne deren Wissen Medikamente verabreicht wurden. Auch der Vorwurf, die
       DDR-Behörden hätten nur zugestimmt, um Devisen für das marode
       Gesundheitssystem zu erwirtschaften, stand im Raum. „Fachliche und ethische
       Standards“ seien vernachlässigt worden.
       
       Zweieinhalb Jahre beschäftigten sich Hess von der Berliner Charité und sein
       Team mit der Aufklärung. Sie durchforsteten Archive der beteiligten
       Pharmahersteller, sprachen mit ZeugInnen und sichteten Krankenakten. Dabei
       kam heraus, dass 75 Arzneiunternehmen aus Westdeutschland, aber auch aus
       den USA oder der Schweiz zwischen 1961 und 1990 Studien in Auftrag gegeben
       hatten. Diese wurden in enger Kooperation mit dem
       DDR-Gesundheitsministerium durchgeführt.
       
       Die Firmen hätten ihre Produkte in Ostdeutschland testen lassen, weil die
       zentrale Organisation des Systems eine schnelle und ausreichende
       „Bereitstellung von Probanden“ garantiert hätte, sagt Hess. Auch die DDR
       hat davon profitiert: finanziell und weil MedizinerInnen und PatientInnen
       so Zugang zu Westmedikamenten hatten.
       
       Die Studien in der DDR seien die Regel gewesen, dies sei „Teil der
       Arzneimittelentwicklung“, so Hess. Sie hätten zudem den zeitgemäßen
       Standards entsprochen. Auch wenn das aus heutiger Sicht „fragwürdig und
       verwerflich“ sei, handele es sich nicht um einen Skandal. Die Arbeitsweisen
       hätten sich kaum von denen in der BRD unterschieden. Zudem gebe es keinen
       Hinweis auf eine systematische Verletzung der Regeln für
       Patientenaufklärung. Davon abweichende Einzelfälle könne man aber nicht
       ausschließen.
       
       Nicht untersucht wurde, ob und wie man in Ostdeutschland Teststrecken mit
       DDR-Medikamenten oder an Kindern durchführte. Nicht nur für Hess bleiben
       also viele Fragen offen. „Die Studie ist erst der Anfang“, kündigt Anna
       Kaminsky, Geschäftsführerin der Stiftung zur Aufklärung der SED-Diktatur,
       an.
       
       16 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannah Weiner
       
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