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       # taz.de -- Flüchtlinge an der griechischen Grenze: Ein „verbrecherisches“ Flugblatt
       
       > Wohl wegen eines Flugblattes versuchten hunderte Flüchtlinge, über die
       > Grenze zu Mazedonien zu kommen. Alexis Tsipras ist wütend auf die
       > Autoren.
       
   IMG Bild: Riskanter Weg, wenig Aussicht auf Erfolg: Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze.
       
       Athen taz | Lange Zeit ließ Alexis Tsipras das Geschehen in Idomeni
       unkommentiert. Am Dienstag platzte ihm der Kragen: Die „Desinformation“ der
       Flüchtlinge und deren Ermutigung zur Grenzüberschreitung seien
       „unakzeptabel“ und „verbrecherisch“, donnerte Griechenlands
       Ministerpräsident auf einer Pressekonferenz in Athen. „Das Spiel mit
       Menschenleben muss aufhören.“
       
       Der Grund für den Unmut: Am Vortag hatten Tausende Flüchtlinge unter
       Lebensgefahr versucht, einen reißenden Fluss nahe der griechischen
       Grenzgemeinde zu durchqueren, um nach Mazedonien zu gelangen – angelockt
       von einem mysteriösen arabischsprachigen Flugblatt mit angeblichen
       Hinweisen, wie die Grenzanlagen umgangen werden könnten.
       
       Auf dem Flyer war zu lesen, die Grenze nach Mazedonien – und damit der Weg
       über dieses Land nach Mitteleuropa – sei geschlossen und würde dies auch
       bleiben; doch wer es schaffe, trotzdem in einen anderen EU-Staat zu
       gelangen, würde in Europa bleiben können. „Deutschland akzeptiert immer
       noch Flüchtlinge“, so die unbekannten Verfasser.
       
       Ihr Tipp: „Der Zaun endet fünf Kilometer von hier. Danach gibt es keinen
       Zaun, der Sie daran hindern könnte, nach Mazedonien einzureisen.“
       Kurioserweise bezeichneten sich die Verfasser als „Kommando Norbert Blüm“.
       Der ehemalige CDU-Politiker hatte am Wochenende in einem Zelt in Idomeni
       übernachtet und sich mit den Flüchtlingen dort solidarisch gezeigt,
       bestritt aber jede Einmischung und sagte gegenüber der kirchlichen Agentur
       KNA, er hätte die Aktion nicht initiiert.
       
       Der Exodus aus dem verschlammten Camp von Idomeni endete im Niemandsland.
       Dort fingen mazedonische Sicherheitskräfte die Flüchtlinge ab und brachten
       sie laut Medienberichten nach Griechenland zurück. In Athen protestierte
       der stellvertretende Verteidigungsminister Dimitris Vitsas, diese
       Rückführung sei nach der Genfer Konvention rechtswidrig.
       
       ## „Es lag etwas in der Luft“
       
       Björn Kietzmann, freier Fotograf und Reporter – unter anderem für die taz –
       hat den Marsch der Geflüchteten begleitet, bis mazedonisches
       Sicherheitspersonal ihn und andere Journalisten von den Flüchtlingen
       trennte. „Schon am Montagmorgen war die Stimmung im Lager angespannt, es
       lag etwas in der Luft“, sagt er der taz.
       
       „Ich sah Menschen, die in Gruppen zusammensaßen, manche beugten sich über
       ein Blatt mit einer Karte drauf und diskutierten. Um 12 Uhr Mittag machte
       sich dann eine große Gruppe aus dem Lager auf, die Grenze zu Mazedonien auf
       eigene Faust zu überqueren. Es müssen mindestens tausend Menschen gewesen
       sein.“
       
       Nichtschwimmer, viele Kinder und zwei Rollstuhlfahrer seien dabei gewesen,
       berichtet Kietzmann. Über das ominöse Flugblatt, das eine Karte vom
       Grenzgebiet enthalten haben soll, kann der Fotograf wenig sagen. Er hält es
       zwar für ausschlaggebend für den Exodus aus Idomeni – ist sich aber
       gleichzeitig sicher, dass die Menschen nach knapp vier Wochen im Schlamm
       ohnehin aufgebrochen wären.
       
       Griechische Medien klagten über die „Festnahme“ von mindestens 25
       Pressevertretern, die den Marsch der Flüchtlinge begleiten wollten. Im
       TV-Sender Skai erklärt Fotograf Dimitris Tossidis, er und seine Kollegen
       seien erst am Dienstag freigelassen worden und hätten ein Bußgeld in Höhe
       von 260 Euro entrichten müssen.
       
       ## Tsipras bittet um Vertrauen
       
       Woher das Flugblatt mit den angeblich sicheren Tipps kam, weiß auch
       Tossidis nicht. „In Papierform habe ich den Flyer gar nicht zu Gesicht
       bekommen, vermutlich war er im Internet verbreitet worden. Aber schon am
       Samstagmorgen, als wir nach Idomeni kamen, wusste jeder davon. Keine
       Ahnung, wer diese hirnrissige Idee hatte, er hat die Flüchtlinge damit in
       große Gefahr gebracht“, moniert der Fotograf aus Thessaloniki.
       
       Für Premier Tsipras gibt es offenbar Verdächtige: Möglicherweise ginge es
       um „Gruppen, die als Mitarbeiter von NGOs unterwegs sind“, monierte der
       Regierungschef am Dienstag. An die Geflüchteten appellierte er, ihm zu
       vertrauen und in den neu eingerichteten Flüchtlingslagern Unterkunft zu
       beziehen. Er arbeite daran, dass diese Menschen im Rahmen eines
       beschleunigten Umsiedlungsverfahrens in andere EU-Länder einreisen dürfen.
       
       Mitarbeit: Sunny Riedel, Rüdiger Rossig
       
       15 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Papadimitriou
       
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