URI: 
       # taz.de -- Zeitung „Zaman“ unter Staatskontrolle: Polizei geht gegen Unterstützer vor
       
       > Die türkische Regierungs hat die Zeitung „Zaman“ unter Zwangsverwaltung
       > gestellt. Das Vorgehen wird nicht nur innerhalb des Landes kritisiert.
       
   IMG Bild: Die türkische Polizei setzt Tränengas gegen Demonstranten ein.
       
       Istanbul/Brüssel dpa/afp | Die türkische Polizei ist in Istanbul erneut mit
       großer Härte gegen Unterstützer der regierungskritischen Zeitung Zaman
       vorgegangen. Die Polizei setzte am Samstagnachmittag Tränengas,
       Wasserwerfer und Gummigeschosse gegen rund 500 Menschen ein, die sich aus
       Solidarität mit der Zeitung vor deren Redaktionsgebäude versammelt hatten,
       wie ein AFP-Reporter berichtete.
       
       „Die freie Presse kann nicht zum Schweigen gebracht werden“, riefen die
       Demonstranten. Viele hielten die Samstagsausgabe des Blattes mit dem Titel
       „Die Verfassung ist ausgesetzt“ hoch. Die Zeitung hatte die Ausgabe noch
       produzieren können, bevor kurz vor Mitternacht die Polizei die Redaktion
       besetzte.
       
       Die staatliche Übernahme hat sowohl in der Türkei als auch im Ausland
       Proteste wegen Verletzung der Pressefreiheit ausgelöst. [1][Die Zeitung war
       am Freitag auf einen Gerichtsbeschluss hin unter die Aufsicht einer
       staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden]. In der Samstagsausgabe,
       der letzten unter der alten Redaktionsführung, stand auf einer schwarzen
       Titelseite: „Die Verfassung ist ausgesetzt.“
       
       Die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, äußerte sich besorgt. „Die EU
       hat wiederholt betont, dass die Türkei als Beitrittskandidat hohe
       demokratische Maßstäbe respektieren und fördern muss, einschließlich der
       Pressefreiheit“, erklärte die Politikerin am Samstag in Brüssel. Freie,
       vielfältige und unabhängige Medien seien ein Eckstein demokratischer
       Gesellschaften, weil sie Transparenz und Verantwortlichkeit
       gewährleisteten.
       
       Vertreter der größten Fraktionen im EU-Parlament forderten die europäischen
       Staats- und Regierungschefs auf, die Ereignisse an diesem Montag in Brüssel
       beim EU-Türkei-Gipfel zu thematisieren. Die EU ist jedoch bei der
       Verringerung der Flüchtlingszahlen dringend auf die Kooperation der Türkei
       angewiesen.
       
       Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Türkei noch kurz vor
       dem rabiaten Vorgehen gegen die Zeitung wegen ihrer Flüchtlingspolitik
       gelobt. „Ankara hat unter humanitären Gesichtspunkten zuletzt
       Bemerkenswertes geleistet. Dort sind 2,5 Millionen Flüchtlinge aus der
       Krisenregion in Syrien aufgenommen worden. Das verdient Anerkennung und
       nicht Kritik. Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema
       Menschenrechte für die ganze Welt sein“, sagte er der Passauer Neuen
       Presse.
       
       Türkische Polizisten hatten am Freitagabend das Redaktionsgebäude in
       Istanbul unter dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas gestürmt. Sie
       setzten auch am Samstag Tränengas gegen Demonstranten ein.
       
       Zaman hatte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr eine tägliche Auflage
       von rund 850.000 Stück (Stand März 2015). Sie war damit die
       auflagenstärkste Zeitung der Türkei.
       
       Ein Zaman-Reporter sagte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag, die
       staatliche Treuhandverwaltung habe den Chefredakteur abgesetzt. Abdulhamit
       Bilici verließ das Redaktionsgebäude unter Beifall der Mitarbeiter.
       
       ## „Türkei verspielt historische Chance“
       
       Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen
       (CDU), verurteilte das Vorgehen der türkischen Staatsführung als schweren
       Schlag gegen die Pressefreiheit. „Es ist kein Zufall, dass dieser
       staatliche Angriff auf die Pressefreiheit zu einem Zeitpunkt erfolgt, in
       dem die EU mit der Türkei eine Vereinbarung über die Rücknahme von
       Flüchtlingen trifft“, zitieren die Funke Mediengruppe und die Welt am
       Sonntag den CDU-Politiker. Die türkische Führung wünsche sich „das
       Schweigen Europas zu der Verletzung von Menschenrechten“. Doch Europa werde
       nicht schweigen, und die Repression in der Türkei werde dauerhaft keinen
       Erfolg haben“.
       
       Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, sagte dem Tagesspiegel
       am Sonntag: „Die Türkei ist dabei, eine historische Chance der Annäherung
       an die Europäische Union zu verspielen.“ Der SPD-Politiker kündigte an, das
       Thema am Montag vor dem EU-Türkei-Sondergipfel bei einem Treffen mit dem
       türkischen Regierungschef Ahmed Davutoglu anzusprechen. Es sei klar, dass
       „die EU bei der Einhaltung ihrer Grundwerte keine Abstriche machen wird“.
       
       Die Organisation Reporter ohne Grenzen forderte Bundeskanzlerin Angela
       Merkel (CDU) auf, beim Brüsseler Gipfel klare Worte zur Pressefreiheit zu
       finden: „Von diesem Gipfel darf nicht das verheerende Signal ausgehen, dass
       die EU über jede Menschenrechtsverletzung hinwegsieht, wenn es um
       Zugeständnisse (der Türkei) in der Flüchtlingspolitik geht.“
       
       „In einer Demokratie sollten kritische Meinungen nicht zum Schweigen
       gebracht werden, sondern sie sollten bestärkt werden“, sagte der Sprecher
       des US-Außenministeriums, John Kirby, am Freitag in Washington.
       
       Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss, die Zeitung unter
       staatliche Aufsicht zu stellen, wurde zunächst nicht bekannt. Zaman steht
       der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen
       war einst ein Verbündeter des islamisch-konservativen Staatspräsidenten
       Recep Tayyip Erdogan, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens
       „Hizmet“-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation
       erklärt worden.
       
       Erdogan weist regelmäßig Vorwürfe zurück, die Pressefreiheit in der Türkei
       werde eingeschränkt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne
       Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten.
       
       5 Mar 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Pressefreiheit-in-der-Tuerkei/!5284108/
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Zaman
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
   DIR Gülen
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Schwerpunkt Türkei unter Erdoğan 
   DIR Zaman
   DIR Zaman
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Zaman
   DIR Griechenland
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Zaman
   DIR Schwerpunkt Pressefreiheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neuer Schlag gegen Gülen-Bewegung: Erdogan zieht die Terroristen-Karte
       
       Der türkische Präsident will die Gülen-Bewegung als terroristische
       Organisation einstufen. Damit kann er noch rabiater gegen seine Widersacher
       vorgehen.
       
   DIR Großrazzia gegen Gülen-Anhänger: Hundert Festnahmen im ganzen Land
       
       Die türkische Polizei hat rund 100 Personen verhaftet. Sie sollen die
       Bewegung des muslimischen Geistlichen Fethullah Gülen unterstützt haben.
       
   DIR Türkei bestellt deutschen Botschafter ein: Satire? Nicht mit Erdoğan!
       
       Der deutsche Diplomat musste sich wegen eines Satirebeitrags des NDR
       rechtfertigen. Präsident Erdoğan war bei „extra 3“ in einem Song kritisiert
       worden.
       
   DIR Nach dem Anschlag in Ankara: Erdogan will Terror bekämpfen
       
       Die Zahl der Toten ist auf 37 gestiegen. Regierungsnahe Medien vermuten die
       PKK hinter dem Attentat, während der türkische Präsident hartes
       Durchgreifen ankündigt.
       
   DIR Medienzensur in der Türkei: Newsagentur unter Zwangsaufsicht
       
       Weitere Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei: Nun wurde auch die
       Nachrichtenagentur Cihan Ajansi unter staatliche Kontrolle gestellt.
       
   DIR „Zaman“-Autor nach der Übernahme: „Niemand geht mehr ans Telefon“
       
       „Zaman“-Kolumnist Joost Lagendijk über den Untergang seiner Zeitung, das
       Nachfolgeprojekt und die Pressefreiheit unter Premier Erdoğan.
       
   DIR Vor dem EU-Türkei-Flüchtlingsgipfel: Bitten und warnen
       
       Merkel verlangt, den bisherigen EU-Beschlüssen Taten folgen zu lassen.
       Überschattet wird der Gipfel vom De-facto-Verbot der türkischen Zeitung
       „Zaman“.
       
   DIR Kommentar Pressefreiheit in der Türkei: Feindliche Übernahme
       
       Das Ziel des türkischen Präsidenten ist offensichtlich. In der Türkei soll
       nur noch das Loblied Erdoğans gesungen werden.
       
   DIR Flüchtlinge in Griechenland: Ein Traum zerplatzt wie ein Luftballon
       
       Weil die Grenzen fast dicht sind, stranden immer mehr Flüchtlinge in Athen.
       Einige von ihnen hoffen trotzdem noch auf Europa.
       
   DIR EU-Türkei-Gipfel zur Flüchtlingspolitik: Grenze zu und Grenzen auf
       
       Zum Gipfel benennt die Kommission den Plan: Wenn die Ägäis dicht ist,
       sollen Grenzen in Europa wieder verschwinden.
       
   DIR Pressefreiheit in der Türkei: Polizei stürmt „Zaman“-Redaktion
       
       Die Zeitung „Zaman“ ist ab sofort staatlicher Kontrolle unterstellt. Das
       Redaktionsgebäude wurde am Freitag von der Polizei eingenommen.
       
   DIR Freigelassene „Cumhuriyet“-Reporter: Erdogan will Haft für Journalisten
       
       Die türkischen Journalisten Dündar und Gül wurden zwar freigelassen. Doch
       Präsident Erdogan fordert die erneute Inhaftierung der beiden.