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       # taz.de -- Umgang mit Nahrungsmitteln: Deutschland schmeißt weg
       
       > Nach Frankreich hat nun auch Italien ein Gesetz gegen
       > Lebensmittelverschwendung. Und was passiert in Deutschland?
       
   IMG Bild: Zu gut für die Tonne
       
       Berlin taz | Die braun gefleckte Melone, das abgelaufene Dosengulasch, die
       überkrumme Gurke. In der Regel landen diese Produkte im Müll. 18 Millionen
       Tonnen Lebensmittel sind es allein jährlich in Deutschland – fast ein
       Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs. Der WWF hat ausgerechnet,
       dass Früchte und Gemüse, die auf einer Ackerfläche von der Größe
       Mecklenburg-Vorpommerns wachsen, jedes Jahr weggeschmissen werden. Und: Gut
       die Hälfte davon wäre vermeidbar.
       
       Ein Wohlstandsproblem. Frankreich beschloss deshalb bereits im Februar ein
       Gesetz, das Supermärkten unter Androhung hoher Strafen verbietet,
       Lebensmittel wegzuwerfen. Stattdessen sollen die Produkte verarbeitet,
       kompostiert oder gespendet werden. Am Donnerstag zog Italien nach. Mit
       großer Mehrheit verabschiedeten die Abgeordneten ein Gesetz zur Reduzierung
       von Lebensmittelverschwendung, das auch das Spenden von Pharmaka
       erleichtern soll.
       
       Und Deutschland? Verschwendet weiter. Die Bundesregierung hat sich sogar
       inzwischen vom EU-Ziel verabschiedet, die Verschwendung von Lebensmitteln
       bis 2020 um die Hälfte zu reduzieren. Nun soll das erst bis 2030 soweit
       sein. Ge- oder Verbote gegen das Wegwerfen lehne man ab, sagt eine
       Sprecherin von Agrarminister Christian Schmidt (CSU). Stattdessen setze man
       auf Aufklärung, Beratung und die Sensibilisierung der Verbraucher.
       
       Mit einer aufwendigen Aufklärungskampagne fordert das Agrarministerium auf,
       das Mindesthaltbarkeitsdatum auf Produkten nicht so ernst zu nehmen. Eine
       App namens „Zu gut für die Tonne“, in der Köche wie Sarah Wiener oder
       Johann Lafer Tipps zum Restekochengeben, ist sogar die am meisten
       heruntergeladene der Regierung.
       
       ## Initiativen werden Steine in den Weg gelegt
       
       Das reicht nicht, finden Kritiker. „Schmidt muss endlich auch Akteure wie
       Lebensmittelhersteller, Gastronomie und Handel in die Pflicht nehmen, statt
       nur an die VerbraucherInnen zu appellieren“, ärgert sich Nicole Maisch,
       Verbraucherschutzexpertin der Grünen-Fraktion im Bundestag. „Wir brauchen
       verbindliche Zielvereinbarungen mit der Wirtschaft, um die Verschwendung
       auf der ganzen Wertschöpfungskette zu reduzieren.“
       
       Initiativen gegen das Wegwerfen werden hierzulande sogar Steine in den Weg
       gelegt. Das bundesweit aktive Netzwerk Foodsharing holt mit ehrenamtlicher
       Unterstützung unverkäufliche Lebensmittel von Supermärkten ab und stellt
       sie Bedürftigen zu Verfügung. Wer auf einer Website seinen Standort
       eingibt, bekommt umgehend Übergabeorte und bereitstehende „Essenskörbe“ von
       Privatpersonen in der Nähe angezeigt. Beispiel: „480 ml Kartoffelsuppe,
       gekauft bei Rewe, kann ich wegen Speckstückchen nicht essen.“ In Berlin
       sind die Übergabeorte derzeit von der Verbraucherschutzbehörde bedroht, die
       diese als „Lebensmittelbetriebe“ einordnet.
       
       Auflagen würden das Ende bedeuten, sagt Gerard Roscoe von Foodsharing. „Das
       Verhalten der Behörden in Berlin ist ein klassisches Beispiel, wie uns das
       Leben schwer gemacht wird.“ Eine Onlinepetition für den Erhalt der
       „Fair-Teiler“ hat bereits 21.700 Unterstützer. „Wir wünschen uns mehr
       Kooperation mit Behörden. Dafür braucht es ein klares Signal von der
       Bundesregierung“, sagt Roscoe. In Österreich habe Foodsharing viel
       positivere Erfahrungen gemacht: So wurde in Wien zusammen mit der Stadt ein
       Übergabe-Kühlschrank eingerichtet.
       
       ## 90 Prozent der Abfälle vermeidbar
       
       Im Handel könnten laut Studien sogar rund 90 Prozent der Abfälle vermieden
       werden. In Restaurants, Kantinen oder Mensen, so hat es der WWF
       herausgefunden, könnten rund eine Million Tonnen Lebensmittel weniger
       weggeworfen werden. Wer sogar versucht, daraus ein Geschäft zu machen, hat
       ganz eigene Erfahrungen: „Gastro in Berlin ohne viel Kapital ist eine sehr,
       sehr schwierige Geschichte“, sagt Leoni Beckmann von „Restlos Glücklich“.
       
       Mit ihrer Partnerin versucht sie seit Monaten, ein Restaurant in Berlin zu
       eröffnen, in dem nur bei Supermärkten, Landwirten oder Großhändlern
       Aussortiertes für Gerichte verkocht wird – und das möglichst lecker. Fast
       50.000 Euro kamen schon bei einer Crowdfunding-Kampagne zusammen.
       
       Eine bezahlbare, gut gelegene Lokalität zu finden, war allerdings
       schwierig. Beckmann hält deshalb ein Gesetz gar nicht für so wichtig: „Wir
       haben, ehrlich gesagt, mehr mit den klassischen Herausforderungen zu
       kämpfen als mit der Politik.“
       
       20 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leila van Rinsum
       
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