# taz.de -- Kommentar EU-Türkei-Gipfel: Salto mortale
> Die Türkei ist auf dem Weg in eine Diktatur – und führt in Brüssel die EU
> vor. Merkel macht mit und beerdigt das Grundrecht auf Asyl.
IMG Bild: Zwei Schurken sind sich einig: Merkel und Davutoğlu.
Erst eine Rolle rückwärts, nun der Salto mortale? Die Windungen und
Wendungen der EU-Flüchtlingspolitik sind atemberaubend. Beim
[1][Türkei-Gipfel in Brüssel] hat Kanzlerin Merkel die 28 Staaten nun zu
einem besonders gewagten – und halsbrecherischen – Manöver verführt.
Plötzlich soll nicht nur die Balkanroute für Flüchtlinge gesperrt werden.
Nein, gleich die gesamte Ägäis soll zur schlepperfreien Zone werden. Noch
verrückter: Für jeden „illegalen“ Migranten, den Griechenland in die Türkei
zurückschickt, soll ein „Legaler“ nach Europa kommen.
Dieses so genannte Eins-zu-eins-Prinzip hat sich angeblich der türkische
Ministerpräsident Davutoğlu ausgedacht. In Wahrheit trägt es Merkels
Handschrift – wie der ganze Sondergipfel, der auf Wunsch der Kanzlerin
pünktlich zur Landtagswahl einberufen wurde.
## Perverses Prinzip
Dieses perverse Prinzip bedeutet einen radikalen Bruch mit dem Asylrecht,
wie wir es in Europa kannten. Bisher war es ein Individualrecht, nun soll
es mit Massenabschiebungen ausgehebelt werden. Das ist juristisch
fragwürdig, moralisch ist es unerträglich.
Für diesen Bruch soll die EU auch noch zahlen, und zwar kräftig. Neben
neuen Milliardenhilfen fordert Davutoğlu die Streichung der Visumpflicht
für Türken – und EU-Beitrittsgespräche im Eilverfahren. Und das nur zwei
Tage nach dem staatlichen Coup gegen die Pressefreiheit!
Es ist völlig unverständlich, wieso sich Merkel auf diese abenteuerlichen
Forderungen eingelassen hat. Damit bringt sie nicht nur die
Christdemokraten in Erklärungszwang, die bisher strikt gegen einen
EU-Beitritt der Türkei waren. Sie drängt ganz Europa auf die schiefe Ebene.
## Führer Türkei
Zwar wurden Beschlüsse vertagt, sie sollen erst beim nächsten EU-Gipfel in
einer Woche fallen. Doch die Europäer haben sich unter Führung Deutschlands
völlig von der Türkei und ihrer autoritären Führung abhängig gemacht. Die
EU ist schwach und erpressbar geworden.
Die Schuld daran tragen nicht nur die Hardliner aus Osteuropa, die sich
einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik verweigert haben. Die Schuld trägt
auch Merkel, die das deutsche Europa im Alleingang führt – und sich nun
auch noch einem gefährlichen Partner in die Arme wirft.
Die Rolle rückwärts, die die Hardliner planten, war schon hässlich. Aber
der Salto mortale, den die Europäer nun auf offener Bühne vorbereiten, ist
unerträglich. Möge sich das Publikum mit Grausen abwenden und eine andere,
humanere Politik wählen. Merkel steht dafür nicht mehr.
8 Mar 2016
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## AUTOREN
DIR Eric Bonse
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