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       # taz.de -- Kolumne Ich meld‘ mich: Zerbrechliche Liebe zur Bahn
       
       > Das Staatsunternehmen will von den Kunden wissen, wie sie die Zeit im Zug
       > verbringen. Das Problem ist, oft kommt der nicht. Eine Antwort an die
       > Bahn.
       
   IMG Bild: Und wenn man drin sitzt und der Zug fährt, ist es oftmals ein Vergnügen
       
       Was machen Sie aus Ihrer Zeit im Zug, fragt die Bahn ihre Reisenden im ICE
       und bittet, ihr das doch zu schreiben.
       
       Liebe Bahn, das kann ich dir sagen: Ich erhole mich gerade von dir. Erhole
       mich von dem Schreck, der mir in die Glieder fuhr, als auf den
       Anzeigetafeln wieder einmal der Fluch aufleuchtete: „Heute umgekehrte
       Wagenreihung“.
       
       Von der Völkerwanderung, die daraufhin einsetzte, von Abschnitt B nach
       Abschnitt E und umgekehrt. Von den Rollkoffern, die mir in Kniekehlen
       geknallt, den Rucksäcken, die mir um die Ohren gehauen wurden. Vom bösen
       Blick der Berlinerin, die ich von meinem reservierten Platz vertreiben
       musste.
       
       Jetzt aber wird alles gut, liebe Bahn. Jetzt fange ich an zu genießen – und
       mich zu erinnern. Ein harmonisches Paar waren wir beide zugegebenermaßen
       nie. Wie oft habe ich frierend auf dich gewartet, weil du unser Rendezvous
       wieder mal verbummelt hattest. Wie habe ich dich verflucht, wenn dein
       Kühlschrank leer und dein Wein warm war. Und als du mich kürzlich nicht nur
       hast stehen lassen, sondern einen Tag und eine Nacht ganz versetzt hast,
       war meine Liebe zu dir fast am Ende.
       
       Aber wir haben auch gute Zeiten miteinander verbracht. Manchmal in
       Gesellschaft der Herrn T. C. Boyle und Bruce Springsteen, manchmal mit den
       Damen Amy Winehouse oder Lady Weißbier. Am schönsten aber waren immer die
       Stunden, in denen wir ganz allein füreinander da waren: In einsetzender
       Dämmerung irgendwo in Niedersachsen, im nebelverhangenen Allgäu, ganz früh
       morgens den Rhein entlang.
       
       Du warst bemüht mich warmzuhalten, während ich stumm in den Regen starrte,
       der gegen das Fenster wütete, weil er mir nichts anhaben konnte. Und
       deshalb, und weil du am Ende doch die Verlässlichste von allen warst, bin
       ich immer wieder zu dir zurückgekommen.
       
       Du bist meine Ideenküche, meine Vorhölle, meine Kindheitswiege, meine
       Sauna, mein Menschenkino – das mit uns, das geht wohl auch diesmal weiter.
       Dein trotz aller Zwiespältigkeit treuer Freund F.L.
       
       19 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franz Lerchenmüller
       
       ## TAGS
       
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