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       # taz.de -- Vermarktung von „Superfood“: Je mehr, desto Jungbrunnen
       
       > Goji, Açaí, Chlorella – sogenanntes Superfood soll jung, hübsch oder
       > gesund machen. Hier ein paar Tipps, um es erfolgreich zu verkaufen.
       
   IMG Bild: So gesund, geradezu unverzichtbar für Ihren Schönheitssmoothie: Kale (huch, das ist ja Grünkohl).
       
       Denken Sie sich eine Story aus. Eine Geschichte. Das ist das wichtigste.
       Egal, ob Sie als Hersteller Beeren verkaufen, Wurzeln oder die
       getrockneten, pulverisierten und in Sternchenform gegossenen Ausscheidungen
       einer sehr seltenen Tierart: Erzählen Sie eine Geschichte. Idealerweise ist
       dabei von einem weit von Europa entfernt beheimateten, sehr ursprünglich
       lebenden Volk die Rede, das durch diese BeerenWurzelAusscheidungssternchen
       regelmäßig Rekorde auf der Altersskala bricht. Und total glücklich und mit
       sich im Einklang sein Leben bestreitet.
       
       ## Setzen Sie auf exotische Namen
       
       Substanzen, die von weit her kommen, sollten keineswegs zu profan klingen.
       Affenbrotbaum, davon will doch niemand etwas essen, trinken oder sonst wie
       zu sich nehmen. Wie viel lyrischer klingt da gleich Baobab. Der Begriff hat
       auch einen arabischen Stamm, da fällt Ihnen doch sicher eine schöne
       Geschichte zu ein.
       
       ## Vertrauen Sie Antioxidantien
       
       Wenn es so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner von Superfood gibt,
       dann sind das Antioxidantien. Die sollen im Körper Freie Radikale fangen,
       deren Vorkommen unter anderem mit Alterung und verschiedenen Krankheiten in
       Verbindung gebracht wird. Wie schädlich die Freien Radikale wirklich sind,
       ist umstritten. Aber das müssen Sie gar nicht wissen, wichtig ist nur: Je
       mehr Antioxidantien, desto Jungbrunnen. Vermitteln Sie das den potenziellen
       Kunden, dann werden sie zugreifen. Denn günstiger als eine
       Anti-Falten-Creme ist Ihr Produkt allemal.
       
       ## Liefern Sie Rezepte
       
       Was genau macht man mit Weizengras? Tja. Weiß kaum jemand, deshalb müssen
       Sie das ganz dringend ändern. Klar im Vorteil ist jetzt, wer ein Produkt
       hat, das sich zu möglichst allem unauffällig dazugeben lässt, ohne für
       größere geschmackliche oder farbliche Irritationen zu sorgen. Ganz wichtig
       und unabdingbar aber: Es muss Smoothie-tauglich sein.
       
       ## Verkaufen Sie Bekanntes als neu
       
       Açaí, Maca, Chia – alles schön und gut, aber es geht auch etwas einfacher.
       Suchen Sie sich ein Gemüse aus der Umgebung, das so lange out ist, dass es
       langsam wieder in sein könnte. Zum Beispiel der gute alte Grünkohl. Ohne
       die Grützwurst hat er schon mal einen guten Teil seines
       verstaubt-altbackenen Images verloren. Wenn Sie das Ganze dann noch mit dem
       englischen Begriff (Kale) aufhübschen, rücken Sie schon langsam in Richtung
       Trend. Smoothie-Tauglichkeit gecheckt? Gut.
       
       ## Nehmen Sie Studien nicht so ernst
       
       Gesundheitsfördernde Wirkung wurde nur im Tierversuch nachgewiesen? Die
       Probandengruppe war viel zu klein für eine aussagekräftige Studie? Egal.
       Verbraucherinnen und Verbraucher kaufen schließlich auch Light-Produkte,
       wenn ein Drittel des Fleisches einfach durch Weizen und Wasser ersetzt
       wurde. Was zählt, ist die überzeugende Botschaft, dass mit Ihren
       BeerenWurzelAusscheidungssternchen alles viel besser wird. Placeboeffekt.
       Kennen wir doch alle.
       
       ## Mixen Sie
       
       Das ist jetzt etwas für Fortgeschrittene – einfach Gojibeeren-Pulver
       verkaufen kann jeder. Machen Sie aus ihrem Produkt einen Mix. Ein bisschen
       von der total ursprünglichen, gesunden, Superfoodzutat und ziemlich viel
       von etwas anderem. Etwas billigerem. Etwas, das zwar die Dichte an
       supergesunden Vitalstoffen wieder senkt, aber Ihre Marge erhöht. Und das
       Gefühl des Kunden, sich etwas Gutes zu tun. Schließlich liegt die
       Obergrenze der zum täglichen Verzehr empfohlenen Menge etwa bei Chia-Samen
       bei 15 Gramm pro Tag. Sie dagegen können auf Ihr Produkt schreiben: Drei
       gehäufte Teelöffel. Der Kunde verbraucht dadurch mehr und – tadaa: Kauft
       wieder schneller. Gut für Sie.
       
       ## Verbinden Sie Trends
       
       Doppelt hält besser und das gilt nicht nur für Schnürsenkel. Wer in Sachen
       Lebensmittel auf mehrere Trends setzt, erweitet die Zielgruppe. Also:
       Superfood + Bio. Oder, für Profis: Superfood + Bio + Regional. Positiver
       Nebeneffekt: Während bei Superlebensmitteln im konventionellen Bereich
       immer mal größere Mengen Pestizide gefunden werden, sind Sie, wenn Sie sich
       für Bio entscheiden, fein raus. Aber nur, wenn wirklich keine
       Pflanzenschutzmittel drin sind. Sonst ist der Skandal um so größer.
       
       ## Seien Sie nicht zu bescheiden
       
       Der Preis ist eine sensible Sache. Zu niedrig darf er auf keinen Fall sein,
       das Produkt soll schließlich nicht billig wirken. Aber auch nicht zu hoch,
       dann verstaubt es im Laden. Wollen Sie auf der sicheren Seite sein,
       orientieren Sie sich einfach an der Konkurrenz. Faustregel für alle, die
       Punkt 7 (Mixen) beherzigt haben: Das Strecken macht ein Produkt nicht
       wertloser, sondern wertvoller. Schließlich haben Sie mehr Arbeit
       reingesteckt.
       
       ## Bringen Sie Geduld mit
       
       Neue Lebensmittel erfolgreich auf dem Markt zu platzieren, das geht nicht
       von heute auf morgen. Drei bis vier Jahre müssen Sie schon rechnen, bis der
       Absatz richtig läuft. Dann können Sie sich entspannt zurücklehnen – siehe
       Cranberry. Die Frucht, die kaum jemand unter dem Namen Moosbeere (Punkt 2!)
       kennt, wurde um die Jahrtausendwende als Wundermittel gegen
       Blasenentzündungen gehandelt. Es gab Cranberry-Saft,
       Cranberry-Fruchtaufstrich, Cranberry-Konzentrat in Kapseln mit Vitamin C,
       Zink und Selen. Dass die Beere wirklich vor Blasenentzündungen schützt,
       konnten Studien nicht bestätigen. Egal. Die Produkte verkaufen sich noch
       heute.
       
       16 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Svenja Bergt
       
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