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       # taz.de -- Wölfe in Deutschland: Wenn Kot Urlauber glücklich macht
       
       > Der Wolf als Chance oder als Gefahr: Gastgeber und Fremdenverkehr
       > streiten über die Auswirkungen auf die Besucherzahlen in deutschen
       > Wäldern.
       
   IMG Bild: Europäischer Wolf im Nationalpark Bayrischer Wald
       
       Sieben Wolfsrudel gibt es derzeit in Niedersachsen, die meisten davon am
       Südrand der Lüneburger Heide. Eine Region, die vom Tourismus lebt. Ist der
       Wolf eine Chance, neue Gäste zu gewinnen, oder vergrault er Reisende? Da
       gehen die Meinungen auseinander. Ulrich Schlichte macht vor allem der Wolf
       aus Munster Sorgen, der kürzlich hinter einer Frau mit Kinderwagen und Hund
       hergelaufen war.
       
       „Nach solchen Meldungen spüren wir sofort die Konsequenzen. Innerhalb
       weniger Tage hatten wir drei Abmeldungen von Familien mit Kindern“, so
       Schlichte, Besitzer einer Pension mit Reiterhof in Eschede (Landkreis
       Celle).
       
       Im Umkreis von 50 Kilometern leben allein fünf Rudel. Elke Meyer leitet in
       Lutterloh einen Ferienhof. Absagen wegen des Wolfs habe es bei ihr bisher
       nur selten gegeben – sie beunruhigt etwas anderes: „Wir haben früher für
       Großeltern mit ihren Enkelkindern z. B. Nachtwanderungen durch den Wald
       angeboten. Ich will nicht die Verantwortung übernehmen, wenn dabei was
       passiert.“
       
       Wolfsberater Helge John hat Verständnis für diese Ängste, betont aber:
       „Natürlich können Kinder in den Wald gehen. Jedes Jahr werden in
       Deutschland bis zu zehn Menschen von Hunden getötet, und es gibt hier nicht
       einen Fall, in dem ein Wolf einen Menschen auch nur angeknurrt hätte.“ Auch
       das befürchtete Ausbleiben von Jagdgästen sieht John nicht als reale
       Gefahr.
       
       Er bestätigt, dass der Abschuss von Wild für die Jäger schwieriger geworden
       sei, da sich die Tiere wegen des Wolfes vorsichtiger verhielten. „Die
       meisten Jäger sind dem Wolf gegenüber positiv eingestellt. Wenn sie Spuren
       von ihm entdecken oder bei der Jagd tatsächlich einen Wolf sehen,
       entschädigt sie das meistens für eine möglicherweise entgangene Beute.“
       
       ## Der Wolf als Glücksfall
       
       Reiter sind nach Überzeugung der niedersächsischen rot-grünen
       Landesregierung durch Wölfe nicht besonders gefährdet – so die Antwort auf
       eine Kleine Anfrage von CDU-Abgeordneten im vergangenen Jahr. Jürgen
       Reimer, der auf seinem „Traumzeithof“ in Dalle u. a. Kutschkurse und
       Ausritte für Pferdetouristen anbietet, teilt diese Überzeugung. Für ihn ist
       der Wolf ein Glücksfall. „Zu uns kommen Touristen, die Ruhe suchen und die
       Natur erleben wollen. Für sie ist das Auftauchen des Wolfes in unserer
       Gegend ein Indikator dafür, dass hier die Welt noch in Ordnung ist.“
       
       Das Biohotel Kenners Landlust in Dübbekold in der Göhrde gehört seit drei
       Jahren zu den wenigen Anbietern von Wolfswanderungen. Wolfsberater Kenny
       Kenner hatte zunächst Bedenken. „Ich hatte befürchtet, dass Stammgäste
       wegbleiben könnten, wenn wir auf den Wolf im Wendland aufmerksam machen.
       Doch unsere Gästezahlen sind nicht zurückgegangen, im Gegenteil: Unsere
       Wolfswochen für Familien mit Kindern sind unser am besten besuchtes
       Angebot, wir haben dadurch viele neue Besucher gewonnen“, sagt Kenner.
       
       Innerhalb einer Woche erarbeitet eine Försterin mit Kindern ein
       Theaterstück zum Thema Wolf, neben der Wolfswanderung gibt es einen
       Infoabend, und mithilfe einer Fotofalle kann beobachtet werden, wer sich
       nachts im Wald herumtreibt. Kenners Frau Barbara betont: „Wir wecken nicht
       die Erwartung, dass man einen Wolf sehen kann. Doch das ist auch gar nicht
       nötig, denn wer auf unseren Führungen eine Spur oder etwas Wolfskot findet,
       freut sich und ist stolz.“
       
       ## Werbeträger Wolf
       
       Die Anmeldungen kommen vor allem aus Berlin und Hamburg, aber auch aus
       Bayern und der Schweiz. Etwas hat sie überrascht: „Seitdem wir mit dem Wolf
       werben, wird uns viel eher abgenommen, dass wir in einer intakten Natur
       leben.“
       
       Vorbild für die Vermarktung des Wolfs ist die sächsische Lausitz, wo im
       Jahre 2000 die ersten Wölfe in Deutschland seit 150 Jahren geboren wurden.
       Dort gibt es heute elf Wolfsrudel. Die meisten leben in den Landkreisen
       Görlitz und Bautzen. „Berichte in den Medien darüber haben viele Menschen
       in unsere Region gelockt. Davon profitieren vor allem Gastgeber, die mit
       dem Wolf werben“, sagt die Biologin Helene Möslinger vom Wolfskontaktbüro
       aus Rietschen und ergänzt: „Es gibt Ferienwohnungen mit Namen wie ,Sieben
       Geißlein‘, es gibt in Restaurants Menüs wie ,Wolfsschmaus‘, es gibt
       Souvenirs mit Wolfsmotiven, einen Wolfsradweg, Ausstellungen und Führungen.
       Die Anbieter berichten von steigender Nachfrage.“ Und setzen darauf, dass
       die Urlauber wegen der schönen Gegend wiederkommen.
       
       Wer tatsächlich Wölfe sehen will, hat dazu im Wolfcenter in Dörverden in
       der Nähe von Bremen Gelegenheit. Im vergangenen Jahr bestaunten mehr als
       40.000 Gäste die auf dem 5,2 Hektar großen Gelände gehaltenen Wölfe.
       Tendenz steigend. „Das wachsende Interesse gab es schon vor dem Auftauchen
       des Wolfes in der Heide. Die Besucher kommen aus ganz Deutschland, gerade
       in den Ferienzeiten“, sagt Wolfcenter-Gründer Frank Faß.
       
       Ihm geht es darum, den Wolf in der Dauerausstellung weder verherrlichend
       noch als Bestie darzustellen und dabei auch Konflikte nicht auszublenden.
       „Es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, wenn es um den Wolf geht.
       Die Kritik durch Schafhalter und Jäger an der Ausbreitung des Wolfes hat in
       meinen Augen weniger mit realen Einbußen durch den Wolf als vielmehr damit
       zu tun, dass beide Gruppen sich mehr Anerkennung durch die Gesellschaft
       wünschen“, so Faß.
       
       Tourismusverbände geben sich sehr zurückhaltend, wenn es um das Thema Wolf
       geht. Bei der Lüneburger Heide GmbH ist man überzeugt, dass Besucher nur
       dann angelockt werden, wenn der Wolf auch zu sehen ist. Natur- und
       Tierschützer wiederum befürchten, dass die Entwicklung genau in diese
       Richtung gehen könnte – irgendwann werde die Begeisterung für Wolfskot und
       Wolfsspuren erlahmen und dann drohe im Kampf um die Urlauber, dass Wölfe
       durch gezieltes Auslegen von Futter aufgespürt werden.
       
       Sollte es tatsächlich irgendwann so weit kommen, könnte es allerdings
       gefährlich werden: Wölfe, die gefüttert werden, haben in der Vergangenheit
       bereits Menschen getötet.
       
       2 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Göres
       
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