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       # taz.de -- Debatte Rot-rot-grüne Koalition: Aus der Traum
       
       > Rot-Rot-Grün, die Mehrheit links der Mitte: eine große Utopie. Die Zeit
       > dafür scheint abgelaufen, obwohl sie noch gar nicht angebrochen ist.
       
   IMG Bild: „Alles Gute Deine SPD“ hieß es für Bodo Ramelow zum 60. Geburtstag. Die Zeiten sind vorbei
       
       Es ist eine Diskussion, die völlig aus der Zeit gefallen wirkt. Über das
       „Gespenst einer politischen Mehrheit jenseits der Union“ wollen sich an
       diesem Montag der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner, die
       Grünen-Vorsitzende Simone Peter und Thüringens
       Linkspartei-Ministerpräsident Bodo Ramelow auf Einladung des DGB in Köln
       unterhalten. Ob sie sich irgendetwas zu sagen haben werden? Schließlich
       scheinen alle rot-rot-grünen Blütenträume vorerst ausgeträumt. Selbst die
       momentan noch vorhandene arithmetische Mehrheit der drei Parteien dürfte
       nach der kommenden Bundestagswahl passé sein.
       
       Die vergangenen Landtagswahlen markieren einen gesellschaftlichen
       Rechtsruck, dessen drastischster Ausdruck die Wahlerfolge der
       rechtspopulistischen AfD sind. Auch der Wiederaufschwung der nach wie vor
       marktfundamentalistisch ausgerichteten FDP ist Teil einer tektonischen
       Verschiebung. Vor den Wahlen gab es rot-grüne Mehrheiten in
       Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in Sachsen-Anhalt wäre Rot-Rot-Grün
       möglich gewesen. Jetzt nicht mehr.
       
       Glaubt man den jüngsten Umfragen, kämen SPD, Grüne und Linkspartei derzeit
       zusammen bundesweit noch gerade mal auf zwischen 41 und 43,5 Prozent –
       schlechter sah es für sie zuletzt bei der Bundestagswahl 1990 aus. Unter
       der Überschrift „Das Leben ist bunter“ hat ein kleiner Funktionärskreis von
       SPD, Grünen und Linkspartei in der vergangenen Woche ein Plädoyer
       veröffentlicht, Rot-Rot-Grün trotzdem nicht aufzugeben. Es erscheine ihnen
       „zu früh“, von dieser „strategischen und politischen Option jetzt
       abzurücken“, schreiben die AutorInnen, darunter auch 13
       Bundestagsabgeordnete. „Uns verbindet nach wie vor viel“, glauben sie. „Die
       Verteilungsfrage ist dabei der Kern.“
       
       Auch das Forum Demokratische Linke 21, in dem sich SPD-Linke organisiert
       haben, hat sich auf seiner Frühjahrstagung am vergangenen Wochenende
       trotzig zu Rot-Rot-Grün bekannt. In Richtung ihrer eigenen Partei forderten
       die GenossInnen, die SPD müsse „sich wieder eindeutig für eine andere
       Gesellschaft jenseits der neoliberalen Marktwirtschaft einsetzen“. Solche
       Positionen erscheinen indes gänzlich minoritär. Weder in der SPD noch in
       den Grünen sind Konzepte der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von
       oben nach unten mehrheitsfähig.
       
       ## Gefängnis Große Koalition
       
       Dabei wäre genau das angesagt. „In kaum einem Industrieland der Welt sind
       vor allem Chancen, aber auch zunehmend Vermögen und Einkommen ungleicher
       verteilt als in Deutschland“, schreibt Marcel Fratzscher in seinem im
       vergangenen Monat erschienenen Buch „Verteilungskampf. Warum Deutschland
       immer ungleicher wird“. Die Bundesrepublik habe sich in eines „der
       ungleichsten Länder der industrialisierten Welt“ verwandelt und produziere
       statt „Wohlstand für alle nur noch Wohlstand für wenige“, konstatiert der
       linker Ideologie gänzlich unverdächtige Präsident des Deutschen Instituts
       für Wirtschaftsforschung. Das ist das Ergebnis nicht zuletzt
       sozialdemokratischer Regierungspolitik in den vergangenen achtzehn Jahren.
       Allerdings haben auch die Grünen als SPD-Juniorpartner zwischen 1998 und
       2005 ihren Anteil daran. Ein glaubwürdiger Kurswechsel ist jedoch nicht in
       Sicht.
       
       „Weil eine solidarische Antwort auf die soziale Frage hierzulande seit
       Jahrzehnten nicht gegeben wurde, glaubt ein stark gewachsener Teil der
       Wähler, sie könnten vielleicht von einer nationalistisch-ethnisierenden
       Variante einer Antwort darauf profitieren“, schreibt Tom Strohschneider im
       Neuen Deutschland über den „Verlust an Glaubwürdigkeit des rot-rot-grünen
       Lagers“. Aber kann überhaupt noch von einem „rot-rot-grünen Lager“
       gesprochen werden?
       
       Der SPD, die in den Umfragen inzwischen bei 20 Prozent rumdümpelt, fehlt es
       an Personal, das bereit ist, aus der Lethargie der Großen Koalition
       auszubrechen, und das die Vision eines progressiven gesellschaftlichen
       Aufbruchs verkörpern könnte wie einst Willy Brandt. Ihr fehlt ein Justin
       Trudeau, Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders, der die Menschen begeistern
       kann. Die Grünen orientieren auf das moderne wohlhabende Bürgertum, jenes
       postmaterialistische Milieu der sogenannten Lohas (“Lifestyle Of Health And
       Sustainability“), die „ökologisch“ und „nachhaltig“ konsumieren, weil sie
       es sich leisten können – und nur dann Verständnis für diejenigen übrig
       haben, denen dies nicht möglich ist, wenn es sie nichts kostet. Weswegen
       ihnen auch eine Koalition mit der Union, die Versöhnung des Neu- mit dem
       Altbürgertum, näher liegt als Rot-Rot-Grün.
       
       ## Fehlender intellektueller Esprit
       
       Und die Linkspartei? Die befindet sich in einer schwierigen
       Selbstfindungsphase. Im Westen ist sie nur noch in den Landtagen von
       eineinhalb Flächenländern vertreten (Hessen und Saarland). Im Osten haben
       sich ihre Hoffnungen, das Modell Thüringen könnte Schule machen, nach dem
       Debakel von Sachsen-Anhalt in Luft aufgelöst. Auf die Herausforderung des
       Rechtspopulismus hat die Partei bisher keine kollektive Antwort gefunden.
       Generell sind ihre inhaltlichen Debatten von einer frappierenden
       Ideenlosigkeit geprägt. Das gilt sowohl für die sich in bloßem Pragmatismus
       verlierenden sogenannten Reformer als auch für den traditionslinken Flügel,
       dessen Parolen bisweilen an die Stamokap-Schulungshefte der Jusos in den
       1970er Jahren erinnern. Es fehlt an intellektuellem Esprit und der Idee von
       einer modernen ausstrahlungskräftigen linkssozialistischen Partei.
       
       „Ein umfassender Politikwechsel ist notwendig“, heißt es in der Einladung
       des Kölner DGB zu der Veranstaltung mit Stegner, Peters und Ramelow. So
       bedauerlich es ist: Die Zeit von Rot-Rot-Grün scheint abgelaufen zu sein,
       bevor sie überhaupt angebrochen ist. Auf absehbare Zeit besteht für ein
       solches Bündnis weder eine gesellschaftliche noch eine politische Mehrheit.
       Das gilt auch in der rheinischen Provinz: Statt auf Rot-Rot-Grün haben sich
       in Köln die Grünen Mitte März mit der CDU auf eine Kooperation geeinigt.
       Das „Gespenst einer politischen Mehrheit jenseits der Union“ ist also
       selbst hier ein Phantom. Der Veranstaltungsort hätte nicht passender
       gewählt werden können.
       
       4 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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