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       # taz.de -- Leere Aufnahmezentren für Flüchtlinge: Wir wären dann so weit
       
       > Vielerorts sind zentrale Stellen entstanden, wo sich Geflüchtete
       > registrieren lassen können. Doch es kommt kaum noch jemand an.
       
   IMG Bild: Die Landesaufnahmebehörde in Niedersachsen
       
       Berlin taz | Die langen Schlangen gibt es nicht mehr. Durch die Bilder
       wartender Menschen in der Kälte hatte das Berliner Erstaufnahmezentrum des
       Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso) vor wenigen Monaten
       bundesweit Schlagzeilen gemacht. Nun kann Berlin 700 Flüchtlinge pro Tag
       registrieren, ab Mitte Mai soll dies zentral im sogenannten Ankunftszentrum
       im ehemaligen Flughafen Tempelhof geschehen. Doch vor dem Lageso ist kaum
       noch etwas los.
       
       Auch Nordrhein-Westfalen hat aufgestockt: Das Land kann derzeit nach
       eigener Aussage 3.000 Registrierungen pro Tag schaffen. Am gestrigen Montag
       hat das sogenannte zentrale Drehkreuz am Flughafen Düsseldorf eröffnet, von
       dem aus neu ankommende Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen verteilt werden
       sollen. In Sachsen gibt es inzwischen drei sogenannte Ankunftszentren. Dort
       sollen Asylverfahren innerhalb von 48 Stunden abgewickelt werden.
       
       Vor einem halben Jahr wären dies gute Nachrichten gewesen. Die neuen
       Kapazitäten hätten die teils völlig überlaufenen Registrierungszentren
       entlastet, vor denen sich Flüchtlinge anstellen mussten. Heute jedoch
       wirken die Meldungen seltsam egal: Fast die Hälfte der
       Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder steht laut einer Umfrage des Magazins
       des Deutschen Städte- und Gemeindebunds leer. Zwar sind die Strukturen da,
       um die Menschen hier schnell aufzunehmen. Aber die Flüchtlinge kommen nicht
       mehr über die Grenzen.
       
       Während im November 2015 noch 200.000 Menschen in Deutschland Asyl
       beantragt haben, waren es im März nur rund 20.600. Nach Berlin
       beispielsweise kamen im Spätsommer 2015 teilweise rund 1.000 Flüchtlinge
       pro Tag, im gesamten März 2016 hingegen nur knapp 1.000 Menschen. Laut
       Innenminister Thomas de Maizière (CDU) reisen zurzeit weniger als 200
       Flüchtlinge am Tag von Österreich aus ein.
       
       Zwar gebe es an einigen Orten noch immer Schwierigkeiten, sagt Claudia
       Beck, Sprecherin der Caritas, die in vielen Erstaufnahmeeinrichtungen in
       die Betreuung und Beratung eingebunden ist. „Doch die Erstaufnahme und die
       Registrierung laufen im Vergleich zur Situation 2015 momentan vielerorts
       besser und geordneter.“
       
       ## Alle warten ab
       
       Die Länder, die eilig Strukturen für die Erstaufnahme und Registrierung
       geschaffen haben, wissen nun allerdings nicht, worauf sie sich künftig
       einstellen sollen. Während die zuständigen Behörden Anfang des Jahres
       offiziell noch damit rechneten, dass Deutschland 2016 in etwa so viele
       Flüchtlinge wie 2015 aufnehmen werde, möchte diese Zahlen zurzeit niemand
       mehr bestätigen. Auch neue Schätzungen will de Maizière nicht abgeben.
       Stattdessen warten alle ab, was passiert – und darauf, wie sich
       beispielsweise der Deal mit der Türkei auswirken wird.
       
       Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl, findet die
       Erstaufnahme allerdings trotz der neuen Strukturen unübersichtlich. „Das
       sieht man schon an den Bezeichnungen: Da ist von Ankunftszentren,
       Registrierungszentren und besonderen Aufnahmezentren die Rede“, sagt er. Es
       sei teilweise nicht klar, worin die Unterschiede bestünden. „Mit diesen
       Strukturen teilen sie die Menschen in Gruppen ein und versuchen,
       vorzusortieren in Asylsuchende mit hohen Anerkennungschancen und ohne“,
       sagte Mesovic. Menschen aus dem Iran, Pakistan oder Afghanistan müssten
       teilweise sehr lange auf ihre Verfahren warten. „Für diese Fälle fehlen die
       Kapazitäten.“
       
       Bei den „besonderen Aufnahmezentren“ sei außerdem die Frage, wer da
       überhaupt reinsolle, sagt Mesovic. Solche Zentren für Flüchtlinge aus den
       Balkanstaaten waren Teil des Asylpakets II und sind beispielsweise in
       Bamberg, in Manching bei Ingolstadt, Trier und Gießen entstanden. Doch aus
       diesen Ländern kommen schon seit letztem Herbst kaum noch Flüchtlinge nach
       Deutschland.
       
       „Diese Gruppe würde diese Zentren zurzeit nicht füllen. Die Frage für uns
       ist, ob man jetzt einfach eine neue Gruppe bestimmt, die da reinsoll, zum
       Beispiel Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten“, sagt Mesovic. Er befürchtet,
       dass so die Rechte von Flüchtlingen weiter eingeschränkt werden.
       Andererseits sei auch viel Wichtiges aufgebaut worden. „Hoffentlich
       schrumpfen sie die Kapazitäten dann nicht mit einem radikalen Schnitt
       wieder zusammen“, sagt Mesovic.
       
       Einige Bundesländer haben Notunterkünfte, die temporär geschaffen wurden,
       schon wieder aufgelöst. „Allerdings sind immer noch Notunterkünfte in
       Betrieb“, sagt Caritas-Sprecherin Beck. „Dort sind die Bedingungen
       teilweise nach wie vor problematisch.“ Es gebe derzeit Bemühungen, die
       Situation von Frauen und Kindern in Unterkünften zu verbessern.
       
       Bei der Arbeiterwohlfahrt, die auch Erstaufnahmeeinrichtungen betreibt,
       geht man nicht davon aus, dass alle Unterkünfte bald leer stehen werden.
       „Die meisten werden wir auch weiterhin benötigen, schon weil es an
       passendem Wohnraum mangelt“, sagt Sprecherin Mona Finder. „Wir haben immer
       darauf hingewiesen, dass es falsch ist, allein den Fokus auf die
       Erstaufnahme zu legen“, sagt sie. „Die Integration ist die Hauptaufgabe –
       und da werden wir alle als Gesellschaft noch lange zu tun haben.“
       
       11 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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