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       # taz.de -- Roman über Theater in Russland: Wie einst Dostojewski
       
       > Artur Solomonow trifft mit „Eine Theatergeschichte“ den Nerv der Zeit. Er
       > erzählt vom Einfluss der Kirche und der Oligarchen auf ein Theater.
       
   IMG Bild: Das Bolschoi-Theater in Moskau im Umbau. Ob das Stück hier wohl jemals laufen wird?
       
       Artur Solomonow ist 40 Jahre alt. Der studierte Theaterkritiker war
       Kulturredakteur der Iswestija und der Wochenzeitschrift The New Times. Im
       Jahr 2013 hat er seinen ersten Roman publiziert. In „Teatralnaja Istorija“
       (deutsch: Eine Theatergeschichte) wirft er einen ironischen Blick auf die
       gegenwärtige Moskauer Theaterlandschaft. Indem er das Innenleben eines
       fiktiven Theaters mit all seinen Protagonisten beschreibt, spiegelt er
       Strukturen und Abhängigkeiten innerhalb der russischen Gesellschaft wider.
       
       „Teatralnaja Istorija“ gilt als das Debüt jenes Jahres. Die Geschichte über
       einen mäßig talentierten Schauspieler, der als „Julia“ in „Romeo und Julia“
       seine große Chance bekommt, und einen Staatstheaterintendanten, der vom
       Geld eines kirchenhörigen Oligarchen abhängig ist, trifft den Nerv der
       Gesellschaft. Man bezeichnet Artur Solomonow als „Dostojevski des 21.
       Jahrhunderts“.
       
       Der Autor hatte im Jahr 2012 lange mit dem ANF-Verlag über sein Honorar
       verhandelt. Er entschied sich für eine Erfolgsbeteiligung. Das hat ihm
       wenig gebracht, denn offiziell druckte der Verlag nur 3.000 Exemplare. Aber
       Solomonow wunderte sich bald, dass trotz geringer Auflage in den Moskauer
       Buchhandlungen nach dem ersten Hype um seinen Roman immer noch Exemplare zu
       haben waren.
       
       Es ist, als hätten die Einwohner von Moskau, aber auch Menschen aus der
       russischen Provinz nur auf jemanden gewartet, der stellvertretend für sie
       die vom Staat immer willkürlicher gesetzten Grenzen des offiziell Erlaubten
       übertritt. Artur Solomonow begibt sich in die totale No-go-Area. Das
       Porträt eines orthodoxen Priesters, der Einfluss auf den Spielplan und die
       Besetzungsliste des sogenannten Staatstheaters nehmen möchte, gelingt ihm
       eindrücklich.
       
       Der Roman wird nicht verboten – trotz seiner Kritik an einer sakrosankten
       Institution. Aber irgendwann erhält Artur Solomonow einen ominösen Anruf.
       Ein Oligarch bietet ihm umgerechnet 48.000 Euro für die Rechte an. Damit es
       keine weitere Auflage, keine Inszenierung und keinen Film in Anlehnung an
       den Roman geben kann. Solomonow lehnt ab.
       
       Stattdessen fährt er durch Russland und liest in Provinzbibliotheken aus
       seinem Buch. Gefüllte Zuschauerreihen garantiert. Regisseure erkundigen
       sich nach den Filmrechten am Roman und scheitern, weil niemand Geld geben
       will. So soll im Film aus dem orthodoxen Priester ein katholischer werden.
       Artur Solomonow möchte das nicht und behält so die Rechte an seiner
       „Teatralnaja Istorija“.
       
       ## Angst vor der eigenen Courage
       
       Im Frühjahr 2015 liest Iskander Sakaew, ein frei arbeitender
       Theaterregisseur, das Buch. Er gibt den Roman wiederum an befreundete
       Schauspieler weiter. Alle sind begeistert. So beschließen Sakajew und fünf
       Schauspieler, „Teatralnaja Istorija“ auf die Bühne zu bringen. Als
       No-Budget-Produktion. Keine Gage. Eine leere Bühne. Und für einen Abend
       einen kleinen Theaterraum umsonst. Premiere ist im Juli 2015. Die PR findet
       in den sozialen Netzwerken statt. Der Saal ist voll. 428 Buchseiten werden
       zu guten zwei Stunden Theater.
       
       Es wird körperbetontes Theater gespielt, das den subtilen Humor des Buches
       kongenial auf die Bühne transportiert. Im Publikum saß an diesem Abend auch
       Alexej Kabeschew, ein Theaterproduzent. Er fand die Inszenierung so
       gelungen, dass er dieser Truppe von Idealisten anbot, weitere Aufführungen
       zu finanzieren. Seit September 2015 gab es nun einmal im Monat eine
       Vorstellung von „Teatralnaja Istorija“. Die Spielorte wechseln. Denn es ist
       schwierig, einen Theatersaal anzumieten. Außerdem hat der Produzent
       inzwischen Angst vor seiner eigenen Courage bekommen. Aber die Crew
       enttäuschen möchte er auch nicht.
       
       So finden sich Regisseur und Schauspieler in einer paradoxen Situation
       wieder. Die Vorstellungen werden gespielt und die Schauspieler bekommen
       ihre Gage. Reklame aber unterbindet der Produzent, denn die Inszenierung
       soll nicht in den Fokus einer größeren Öffentlichkeit gelangen. Nicht
       einmal das Theater, in dem das Stück gezeigt wird, darf am Eingang dafür
       werben. PR gibt es also wieder nur in den sozialen Netzwerken. Und der
       Produzent zahlt drauf. Er kann nicht anders.
       
       Iskander Sakajew und Artur Solomonow sind enttäuscht, denn allmählich
       lichten sich die Zuschauerreihen. Anfang April wird es nun aber das erste
       Gastspiel in Archangelsk geben. Artur Solomonow kommt dann eigens aus den
       USA in die nordrussische Stadt, um der Bühnenadaption seines Romans in der
       Provinz beizuwohnen. In Kalifornien, New York und Florida liest der Autor
       aus seinem Werk vor russischsprachigem Publikum. Und er überlegt, ob er in
       den USA bleiben soll. Die Greencard hat er in der Tasche. Sie ist dem
       regimekritischen Autor vor zwei Jahren angeboten worden. In Russland sieht
       er keine Zukunft für sich.
       
       1 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katja Kollmann
       
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