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       # taz.de -- Sachsen und die Flüchtlinge: Das Bedürfnis nach einem Feind
       
       > Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt, wer Pegida und AfD in
       > die Hände gespielt hat. Und wie er trotzdem optimistisch bleibt.
       
   IMG Bild: Nach der Wende damals, da gab es in dem Sinne keine Flüchtlinge: Geflüchtete in Chemnitz, 2016
       
       Ali Moradi, Projektleiter und Geschäftsführer des Sächsischen
       Flüchtlingsrats. Geboren 1955 in Tabriz, Iran, dort Besuch der Schule und
       Abitur. Sein Vater war Architekt und Gerichtsgutachter, die Mutter
       Hausfrau. Nach dem Abitur Ausbildung an der Pilotenakademie Teheran zum
       Hubschrauberpiloten, Abschlussprüfung 1974. Danach Hubschrauberpilot beim
       Militär während des Ersten Golfkriegs bis 1989, ab 1978 Testpilot. Da er
       vor der Revolution als Linker politisch aktiv war, geriet er ab 1989 unter
       zunehmenden Druck, Ausschluss von staatlichen Beschäftigungen aus
       politischen Gründen, mehrfache Inhaftierung (mit physischer und psychischer
       Folter). Lebte in Isfahan und Teheran, hielt sich 1994 ein paar Monate
       versteckt. 
       
       1995 gelang ihm die Flucht aus dem Iran nach Deutschland. Sein Bruder lebte
       bereits in Bochum, er selbst wollte langfristig zwar nach Kanada, stellte
       aber erst mal in Deutschland einen Asylantrag und wurde nach Chemnitz
       geschickt. Sieben Monate später bereits bekam er seine Anerkennung als
       Asylberechtigter. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten jedoch (das
       Amt wurde geschlossen) bezweifelte die Asylgründe und klagte gegen den
       Entscheidung des Bundesamts. Von 1995 bis 2002 folgte ein 7 Jahre dauerndes
       Klageverfahren, 7 Jahre der Unsicherheit ohne Pass.
       
       In dieser Zeit Gründung von Hilfsvereinen für Flüchtlinge in Zwickau,
       Kontakt zum Deutschen Flüchtlingsrat, ein Jahr Arbeit bei der
       Migrationsberatung des ökumenischen Informationszentrums Cabana in Dresden,
       insgesamt drei Jahre in der Flüchtlingsberatung. Seit 2001
       Vorstandsmitglied im Sächsischen Flüchtlingsrat. 2002 endlich erhielt er
       seine Aufenthaltserlaubnis, 2003 die Niederlassungserlaubnis und 2006 seine
       Einbürgerung. Seit 2004 ist er Projektleiter des Flüchtlingsrats und
       ehrenamtlicher Geschäftsführer. Herr Morani ist verheiratet und lebt in
       Dresden. 
       
       Weltweit sind 60 Millionen Heimatvertriebene auf der Flucht, das sind mehr
       Menschen als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein großer Teil der
       Schutzsuchenden flieht aus Kriegs- und Krisenregionen, derzeit vor allem
       aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran, Albanien, Pakistan und
       Eritrea. 2015 wurden in Deutschland etwa 1,1 Million Flüchtlinge
       registriert. Von Anfang Januar bis Ende Dezember 2015 wurden etwa 476.000
       Asylanträge gestellt. Die Bearbeitung jedoch ist äußerst schleppend und
       schlecht organisiert. Ende Dezember lag die Zahl der noch nicht
       entschiedenen Anträge bei 364.000. Mehr als 400.000 Flüchtlinge konnten
       bisher nicht einmal einen Antrag stellen, weil die Wartezeiten mehrere
       Monate betragen.
       
       ## Keine Chance mehr auf Asyl
       
       Die Abschiebung der Armutsflüchtlinge in ihre „sicheren Herkunftsländer“
       hingegen wurde rasch beschlossen und forciert gehandhabt. Aber alles ist
       rechtens. Die Großzügigkeit des alten Artikels 16 im Grundgesetz (GG)
       existiert nicht mehr seit der Änderung des Grundrechts auf Asyl durch den
       „Asylkompromiss“, der am 1. Juli 1993 rechtskräftig wurde. Nach dem seither
       gültigen Artikel 16a GG hat in aller Regel keine Chance mehr auf Asyl, wer
       aus „verfolgungsfreien“ Ländern stammt oder über den Landweg und „sichere
       Drittstaaten“ einreist, von denen Deutschland ja lückenlos umgeben ist.
       
       Anfang Februar 2016 bin ich in Dresden mit Herrn Moradi vom Sächsischen
       Flüchtlingsrat verabredet und bitte ihn, ein wenig von seiner Arbeit und
       seinen Erfahrungen zu erzählen: „Die Situation, so wie wir sie heute in
       Sachsen haben, hat sich systematisch entwickelt und zugespitzt, weil die
       Politik versagt hat. Sie hat bereits versagt bei den schlimmsten
       rassistischen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegszeit, damals in den
       90er Jahren in Rostock-Lichtenhagen und in Hoyerswerda. Sie hat
       weggeschaut, verharmlost und sich lieber auf einen Populismuswettbewerb mit
       Rassisten und rechten Gruppen eingelassen. Es ist kein Zufall, dass Pegida
       sich 2014 in Dresden gegründet hat. Fragen Sie mal die Landesregierung, was
       sie in den letzten Jahren unternommen hat gegen das Hochkommen dieses
       großen Fremdenhasses?!
       
       Nach der Wende damals, da gab es ja hier in dem Sinne keine Flüchtlinge. Da
       gab es an Ausländern vor allem Vietnamesen, Kubaner, Mosambikaner,
       Algerier; die waren Vertragsarbeiter in der DDR gewesen und lebten
       größtenteils ziemlich isoliert in Heimen. Aber auch die erfuhren damals
       schon Fremdenhass. Nach der Wende hatten wir hier bis 2004 eine Regierung,
       die wollte nicht wahrhaben, dass in weiten Kreisen der Bevölkerung massiv
       Ausländerfeindlichkeit und Rassismus existieren. Es kamen dann ein paar
       mehr Flüchtlinge nach Sachsen – sie werden ja nach dem Königsberger
       Schlüssel auf die Bundesländer verteilt – und wir bekamen damals 5,4
       Prozent, insgesamt für Sachsen. Zurzeit sind es nur noch 5,1 Prozent, weil
       die Bevölkerung durch Wegzug geschrumpft ist. Aber auch diese kleine Quote
       hat bereits zu Protest geführt.
       
       ## Problem unter den Teppich
       
       2004, bei der Landtagswahl in Sachsen, hatte auf einmal die NPD fast
       genauso viele Stimmen wie die SPD. Sie hatte 7,8 Prozent Stimmenzuwachs!
       Aber die CDU sagte immer noch, Fremdenfeindlichkeit haben wir nicht, und
       kehrte das Problem unter den Teppich. Auch dass durch die militärische
       Zuspitzung und die politische Situation in den Heimatländern der
       Geflüchteten sich auch hier bei uns die Dinge vollkommen verändern werden,
       hat die Landesregierung übersehen.
       
       Wir haben hier in Sachsen die restriktivste Asylpolitik von ganz
       Deutschland. Das drückt sich zum Beispiel auch so aus, dass zentrale
       Unterbringung das herrschende Konzept war und dezentrale Unterbringung auch
       heute immer noch nicht in ausreichendem Maß umgesetzt ist. Viele Menschen
       müssen auch nach einem halben Jahr immer noch in zentralen
       Übergangseinrichtungen leben. Die meisten Wohnheime liegen in der Pampa, am
       Arsch der Welt, wo es keine Infrastruktur, keine Arbeit, keine
       Sprachschulen und nichts gibt.
       
       Ich habe Familien besucht, die 15 Jahre in solchen Einrichtungen gelebt
       haben. Die Kinder waren drei Jahre alt bei der Ankunft, und mit 18 saßen
       sie immer noch im Wohnheim.“ Er fügt ärgerlich hinzu: „Am Ende sind sie
       dann abgeschoben worden! Viele sind verdammt zum endlosen Warten. Damals
       gab es ja noch die Residenzpflicht, die wurde 2011 abgeschafft, zugunsten
       einer freieren Bewegungsmöglichkeit in Sachsen. Sie kann aber nur für kurze
       Reisen, Arztbesuche und so weiter in Anspruch genommen werden, nicht aber
       für eine freie Wahl des Wohnsitzes. Es galt dann eine landkreisbezogene
       Residenzpflicht. Damit war die Bewegungsmöglichkeit bei uns noch mehr
       eingeengt als in anderen Bundesländern.
       
       Interessant ist auch, dass die Sicherheitskräfte hier immer mehr daran
       interessiert waren, statt den rechten den sogenannten Linksextremismus zu
       bekämpfen. Immer wenn ein Flüchtlingsheim mit Molotowcocktails attackiert
       wurde, dann hat man das versucht zu relativieren. So ist die Situation.
       
       ## Manipulation der Massen
       
       2014 gab es einen richtiggehenden ‚Populismus-Wettbewerb‘, der hatte
       verheerende Folgen. Wir hatten 2014 hier im Mai Kommunalwahlen und im
       August Landtagswahl. Die rechten Parteien haben alle anderen Themen
       beiseitegelegt und sich nur der ‚Asylproblematik‘ gewidmet. Auch die CDU
       war nervös. Nicht wenige ihrer Funktionäre haben beim Populismuswettbewerb
       mitgemacht, haben versucht, aus diesem Thema politisches Kapital zu
       schlagen. Also Manipulation mit den xenophoben und ausländerfeindlichen
       Ressentiments in der Bevölkerung. Und die Aufklärungsarbeit, die ja
       eigentlich der Auftrag der Landesregierung ist, hat nicht stattgefunden.
       Man hat auch keinerlei Anstalten gemacht, dabei wenigstens die unabhängigen
       Vereine und Organisationen zu unterstützen.
       
       Und dann kommt 2013/2014 die Pegida-Geschichte. Das war, wie gesagt, kein
       Zufall. Die NPD war knapp gescheitert, dafür war die AfD mit einem Schlag
       auf fast 10 Prozent gekommen. Also Pegida ist der außerparlamentarische Arm
       der AfD. Die sind nicht entstanden, weil eine allgemeine soziale
       Unzufriedenheit in der Bevölkerung existiert. Es gibt sie zwar, viele
       Anhänger sind schon älter und empfinden sich als Verlierer der
       Wiedervereinigung. Viele wurden von einer Maßnahme in die nächste
       geschickt, und deshalb gibt es in dieser Altersgruppe auch das Problem der
       Altersarmut und Rentenarmut, das war vorprogrammiert. Aber der Fokus von
       Pegida ist ein ganz anderer, es wird angeknüpft am Bedürfnis nach einem
       Feind, nach einem Prügelknaben.
       
       ## Plattform für Pegida
       
       Sie bedienen vor allem das Thema Fremdenfeindlichkeit und Abwehr der
       Fremden. Die ultrakonservativen Populisten haben auch sofort darauf
       reagiert. Manche staatlichen Organisationen, die eigentlich einen
       Bildungsauftrag zu erfüllen hätten, haben mit großer Freude diese Bewegung
       begleitet. Herr Richter, sagt Ihnen der Name etwas? Nein? Also Frank
       Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung – die
       eigentlich überparteilich agieren müsste –, hat mit den Pegisten Interviews
       gemacht, stundenlang. Und er hat ihnen sogar ermöglicht, in seiner Behörde
       eine Pressekonferenz abzuhalten, und ihnen so eine Plattform geboten.
       
       Ein anderes Beispiel erzähle ich Ihnen, es war quasi ein Vorzeichen. Weil
       2013 die Zahl der Flüchtlinge, die Sachsen zugewiesen wurden, etwas
       gestiegen war, wurde in Schneeberg eine zusätzliche Notaufnahmestelle
       eingerichtet. Das ist eine kleine Stadt im Erzgebirge mit etwa 15.000
       Einwohnern, sie ist auch bekannt durch ihren Weihnachtsmarkt. In einer
       ehemaligen NVA- und späteren Bundeswehrkaserne sollten ein paar hundert
       Bürgerkriegsflüchtlingen untergebracht werden.
       
       Und der Schneeberger NPD-Stadtrat und seine Leute haben versucht, Kapital
       daraus zu schlagen. Es wurden Protestveranstaltungen auf dem Marktplatz
       organisiert und ein sogenannter Lichtellauf, ein Fackelzug durch die Stadt.
       Und es ist interessant, das war die erste größere Rekrutierung von
       Demonstranten über das Netz. Aufgerufen zur Demo hatte der dortige
       NPD-Kreisvorsitzende auf seiner Facebook-Seite ‚Schneeberg wehrt sich‘. Es
       sind so etwa 2.500 Schneeberger dem Aufruf gefolgt.
       
       ## Gegendemo in der Minderheit
       
       Ich war selber auch dort und habe gesehen: Das geht schief. Wir waren mit
       11 Leuten da und wir wussten nicht, was passieren würde, ob sich etwas wie
       in den 90er Jahren in Hoyerswerda wiederholt – oder noch schlimmer, wie
       Rostock-Lichtenhagen. Wir haben mit ein paar Leuten versucht, vor dem
       Erstaufnahmelager eine kleine Menschenkette zu bilden. Ein Arzt aus Dresden
       war dabei und ein paar Sozialarbeiter aus Chemnitz. Zum Glück wurden wir
       nicht attackiert, denn sie waren gar nicht dort. Es war ihnen wichtiger,
       dass sie mit ihrem Fackelzug durch die Stadt laufen und gesehen werden.
       
       Schneeberg war so eine Art Auftakt. Und dann wurde dieses Thema heißer und
       heißer. Ich dachte mir schon, dass es bei diesem Propagandawettbewerb
       Schwierigkeiten geben würde, aber dass sie so massiv werden, das hat selbst
       mich überrascht. Und ich muss es noch mal sagen, Pegida hätte niemals so
       groß werden können, wenn das nicht von verschiedenen Institutionen und auch
       durch manche regierende Person ermöglicht und so gefördert worden wäre.
       
       Statt Aufklärung zu machen, hat man Populismus betrieben. Zu einer Zeit,
       als Pegida hier mit schlimmen Parolen durch die Straßen zog, kündigte der
       Innenminister an: Wir wollen jetzt eine Sondereinheit für straffällig
       gewordene Flüchtlinge aufstellen. Und zur gleichen Zeit dementierte der
       Präsident der Polizeidirektion in Dresden, er sagte, es gibt kein
       spezielles Kriminalitätsproblem durch Flüchtlinge, sie sind im Vergleich
       nicht straffälliger als die Inländer. Und das galt für ganz Deutschland.
       2014 gab es in Deutschland 895 Delikte gegen Flüchtlingseinrichtungen und
       Flüchtlinge, 2015 waren es mehr als 1.610 solcher Delikte, überwiegend
       rechtsradikal motiviert.
       
       ## Geiz gegen Flüchtlinge
       
       Nehmen Sie noch ein letztes Beispiel: An der TU Dresden gibt es einen
       Professor Patzelt, am Institut für Politikwissenschaften, ein Bayer, kennen
       Sie den? Sicher nicht. Er hat jedenfalls auch eine unrühmliche Rolle
       gespielt, was Populismus betrifft. 2004 forderte er eine stärkere
       Rechtsausrichtung der sächsischen CDU, um der NPD die Themen und Wähler
       streitig zu machen. In diesem Sinne ging es weiter.
       
       Er ist ein Fan von schlagenden Verbindungen und redet mit der Jungen
       Freiheit. Er beschäftigte sich wissenschaftlich mit Pegida, ging auch bei
       ihren Montagsdemos mit. Und er wirbt um Verständnis für die Demonstranten,
       diese patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Er
       hat den ungeheuerlichen Vorwurf erhoben, dass die
       Anti-Pegida-Demonstrationen für die Zuspitzung der politischen Lage in
       Dresden verantwortlich sind. 2015 haben ihn seine Studenten als
       Sympathisanten der Pegida bezeichnet, und 12 Kollegen haben sich in einem
       offenen Brief von ihm und seinen Positionen distanziert.
       
       Wenn sich Institutionen, wie Bildungseinrichtungen, Kirchen und
       Gewerkschaften, die quasi das Gewissen der Gesellschaft sein sollten, oft
       genug zurückhalten, um keinen Mitgliederschwund zu riskieren, dann frage
       ich mich: Wo bleibt die Moral? Wo bleibt die Pflicht gegenüber der
       Gesellschaft? Sie könnten die Gesellschaft ganz anders bilden und
       gestalten. Aber wenn Institutionen ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen,
       sondern auch noch Wasser auf die Mühlen gießen, dann sieht es schlecht aus.
       Und wenn ein Hochschullehrer, ein Mann, der Studenten unterrichtet, die
       Tatsachen derart verdreht, dann ist das alles mehr als fahrlässig und hat
       Konsequenzen für das gesellschaftliche Leben.
       
       Vergangenen Montag hatten wir hier im Stadtzentrum so eine Situation. Es
       war fast schon eine No-go-Area für Ausländerinnen und Ausländer, die, wie
       ich, orientalisch aussehen. So aggressiv waren die Pegisten. Wir, die
       Gegendemonstranten, sind immer in der Minderheit, mal sind wir 800, mal
       1.000 oder auch mal 3.000, die 8.000 bis 10.000 Pegida-Anhängern
       gegenüberstehen. Wir haben anfangs sogar mit einigen versucht zu
       diskutieren, Aufklärung zu machen darüber, weshalb die Geflüchteten fliehen
       mussten, weshalb und wie sie hier leben, was sie an Hilfen erhalten und so
       weiter.
       
       ## Da beißen Sie auf Granit
       
       Bei manchen Mitläufern hatten wir sogar ansatzweise Erfolg. Das war aber
       nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei denen, die die
       Ausländerfeindlichkeit verinnerlicht haben, da beißen Sie auf Granit und
       müssen befürchten, dass sie – statt zu argumentieren – sofort handgreiflich
       werden. Das eigentlich Gefährliche ist aber, dass die rechten Bewegungen
       sich sammeln, international vernetzt sind und in 30 Städten wie Amsterdam,
       Budapest, Prag, Bratislava und so weiter auftreten.
       
       Es ist leider so, wir, als Verein, als Sächsischer Flüchtlingsrat, haben
       nur sehr begrenzte Möglichkeiten, uns all dem entgegenzustellen. Aber wir
       versuchen es. Die politische Arbeit ist uns sehr wichtig, wir vertreten die
       Linie von Pro Asyl und den Flüchtlingsräten, haben ein großes Netzwerk und
       legen auf vier Sitzungen jährlich unsere Ziele und Strategien fest. Wir
       führen hier die politischen Gespräche mit Parteien, Organisationen,
       Landesämtern und Ministerien, reden über alles, was so auf der Tagesordnung
       ist. Für uns ist es ganz besonders wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit
       innerhalb der Bevölkerung machen. Und wir versuchen, möglichst viele
       Ehrenamtliche zu gewinnen und zu schulen; auch als Berater und Übersetzer.
       
       Und was glauben Sie, was wir zur Bewältigung unserer Aufgaben an
       Geldmitteln bekommen? Der Sächsische Flüchtlingsrat erhält keinen einzigen
       Pfennig aus Landesmitteln! Wir haben in Deutschland 16 Flüchtlingsräte, in
       jedem Bundesland einen und nur der Bayrische Flüchtlingsrat und der
       Sächsische bekommen kein Geld von ihren Landesregierungen. Der
       Flüchtlingsrat in Baden-Württemberg zum Beispiel bekommt 250.000 Euro
       institutionell gebundene Mittel jährlich.
       
       ## Förderantrag abgelehnt
       
       Wir existieren quasi nur, weil wir von Pro Asyl unterstützt werden, von der
       UNO-Flüchtlingshilfe und durch Spenden. Mit diesem Geld haben wir seit 2008
       Flüchtlingsprojekte aufgebaut. Wir haben versucht, mobile
       Asylverfahren-Beratung zu machen, sind zu den Wohnheimen gefahren im
       Landkreis und in den Städten, um den Leuten mit Rat und Tat zur Seite zu
       stehen. Haben Sprachkurse organisiert, auch berufsbezogene Sprachkurse. Als
       der Bedarf nach solcher Hilfe dann immer größer wurde, haben wir 2015 an
       die Landesregierung einen Antrag auf Fördermittel gestellt für diese
       Projekte. Dieser Antrag wurde abgelehnt!
       
       Dazu müssen Sie wissen, wir haben in Dresden für die soziale Betreuung
       einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter auf hundert Leute. Das ist nicht
       zu schaffen, schon gar nicht bei den vielfältigen Problemen. Dieser Geiz
       geht auch auf Kosten der Flüchtlinge. Und deshalb versuchen wir, das eben
       mit Ehrenamtlichen zu unterstützen, Begleitung auf Ämter oder zum Arzt und
       vieles mehr zu machen. Wir haben sehr gute Leute, in jedem Alter, aus ganz
       unterschiedlichen Verhältnissen, auch Linke, auch Christen.
       
       Wenn Sie diese Ehrenamtlichen sehen würden, Sie wären begeistert! Da
       bekommt man wieder Kraft, um 24 Stunden weiterzuarbeiten. Und was unser
       Team betrifft, so versuchen wir, es so international und interkulturell wie
       möglich aufzustellen. Wir haben auch mehrere Sprachen zur Verfügung; hier
       an unserem Hauptsitz und in Chemnitz. Bald werden wir auch eine Zweigstelle
       in Plauen aufbauen, damit wir auch dort Hilfe leisten können. Wir hoffen,
       es gelingt.
       
       ## Warum so überrascht?
       
       Was ich nicht verstehe, ist diese Überraschung, die hier herrscht. Man sei
       nicht vorbereitet gewesen, heißt es immer. Aber es war ja längst bekannt,
       das Problem. In Deutschland hat man lange gedacht, wir liegen geschützt,
       wir sind sicher hier, die Millionen von Flüchtlingen stranden irgendwo
       anders, weit weg, kommen nicht bei uns an. Aber jetzt, wo sie da sind, wo
       sie kommen, erheben sich ein Geschrei und der Ruf nach Solidarität. Da gibt
       es einen Rechtsruck und populistische Reden. Nur, es ist doch so: Da, wo
       wir unglaubwürdig sind, wo wir die Menschenrechte und die Demokratie
       verraten, geben wir ein sehr schlechtes Vorbild ab.
       
       Das ist Propagandafutter in der Hand von Diktatoren und autoritären
       Regimen! Die machen dort ihre demokratischen Bewegungen und vernünftigen
       Kräfte nieder und sagen: Schaut mal genau hin, die Deutschen, die glauben
       doch selbst nicht an das, was sie sagen, was sie sich in ihr Grundgesetz
       geschrieben haben. Solange der Ostblock existiert hat, wurden das Asylrecht
       und seine Inanspruchnahme sehr hoch gehalten und großzügig gehandhabt. Aber
       nach dem Mauerfall, nach dem Ende der sozialistischen Länder ist das
       Asylrecht nur noch eine ungeliebte Last. Und nun ist beides diskreditiert:
       der Sozialismus und die Demokratie. Das ist gefährlich!
       
       Solange irgendwo eine Moral existiert, ist die Gefahr nicht so groß, wenn
       aber die Moral verdrängt wird, dann wird alles unberechenbar. Man sieht ja,
       wie die Rechten zulegen – nicht nur bei uns, auch in den nordischen
       Ländern, die ja früher immer ein Vorbild waren, was Integration und
       Soziales anging. Das ist alles vorbei.
       
       Sie möchten ein Resümee? Ich bin eigentlich ein geborener Optimist und will
       nicht negativ in die Zukunft schauen. Also international gesehen könnte ein
       positiver Weg so gestaltet werden, dass wir sehr großen Wert legen auf
       Glaubwürdigkeit. Und wir müssen alles tun, um die Fluchtursachen zu
       beseitigen. Nicht nur Europa, auch die USA. Dieser furchtbare Krieg muss
       beendet werden, es muss Druck gemacht werden, auch auf Saudi-Arabien. Der
       Krieg in Syrien ist nicht, wie man sagt, ein sunnitisch-schiitischer
       Glaubenskrieg. Nein! Man wollte dort Maßnahmen ergreifen, um das
       Einflussterritorium von Russland beziehungsweise dem Iran zu begrenzen.
       
       ## Gegen die Zeit
       
       Und das Problem der Kurden muss schnell gelöst werden, aber diplomatisch,
       nicht durch ein weiteres Blutbad. Der Türkei muss ganz deutlich gesagt
       werden, wo die rote Linie ist. Wenn es eine ‚Wertegemeinschaft‘ geben
       sollte, USA und Europa, dann müssen beide in positiver Weise an einem
       Strang ziehen. Aber es wird jetzt sehr auf den Ausgang der Wahlen in
       Amerika ankommen. Darauf, ob der Teil der Wirtschaft gewinnen wird, der nur
       noch ölorientiert und rüstungsorientiert ist. Wenn die brutalen Vertreter
       dieser Wirtschaft an die Macht kommen, dann ist Feierabend! Ich kann es
       nicht anders sagen.
       
       Und hier bei uns erhoffe ich mir, dass die Pegida-Bewegung kleiner wird,
       Anhänger verliert, und natürlich auch, dass die AfD nicht noch stärker
       wird. Allerdings, damit sieht es nicht gut aus. Auf jeden Fall aber müssen
       wir eine umfassende Aufklärung in der Bevölkerung machen und die
       Flüchtlinge, die jetzt noch reinkommen, gut unterbringen.
       
       Das könnte man sehr gut organisieren. Hoffen wir, dass sich die
       Landesregierung endlich an diesen Aufgaben beteiligt und auch die SPD so
       etwas vorantreibt. Da gibt es ja einige Vernünftige. Ich weiß, wir arbeiten
       gegen die Zeit, aber ich werde jedenfalls nicht aufgeben und weiterhin für
       meine Ideale kämpfen.“
       
       30 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Goettle
       
       ## TAGS
       
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   DIR Werner Patzelt stellt seine Studie vor: Katechismus des Pegida-Verstehers
       
       Der Dresdner Politologe Werner Patzelt hat versucht, Pegida zu erklären.
       Ist ihm ein neues Standardwerk gelungen?
       
   DIR Antifaschismus in Sachsen: Mit viel Geduld die Pegida bekämpfen
       
       Albrecht von der Lieth, Sprecher des Bündnisses „Nazifrei – Dresden stellt
       sich quer“, erzählt vom Widerstand gegen die Rechten.
       
   DIR Islamfeindliche Demo in Dresden: Für eine „Festung Europa“
       
       Bis zu 2.800 asylfeindliche Demonstranten um die ehemalige AfD-Politikerin
       Festerling gingen in Dresden auf die Straße. 250 nahmen an Gegenprotesten
       teil.
       
   DIR Integration in Sachsen: Verloren im Behördendschungel
       
       In Grimma springen Freiwillige ein, um die Defizite der Behörden
       auszugleichen. Ohne sie wäre die Zuwanderung nicht zu bewältigen.
       
   DIR AfDlerin wettert gegen Rundfunkbeitrag: Beatrix von Storch ganz aufgebracht
       
       Die Landesvorsitzende der Berliner AfD will nach eigenen Angaben keinen
       Rundfunkbeitrag bezahlt haben. Ihr Konto sei gepfändet worden.
       
   DIR Flüchtlinge in Sachsen: „Zeisler Achmed“ soll bleiben
       
       Sachsen ist nicht nur Clausnitz. Ganz in der Nähe hat sich eine Gemeinde
       erfolgreich dafür eingesetzt, dass Geflüchtete dort wohnen dürfen.
       
   DIR Geflüchtete in Deutschland: Schreckensbilder nun woanders
       
       Seit der Schließung der Balkanroute leeren sich viele Erstunterkünfte.
       Besser wird die Unterbringung für Geflüchtete trotzdem nicht.
       
   DIR Flüchtlingsfamilien in Dresden: Lauter neue Sachsen
       
       „Kinder haben es einfacher“, sagt die Afghanin Mina Faizi. Sie spüren das
       Provisorium, gewöhnen sich aber an neue Umgebung schneller als ihre Eltern.
       
   DIR Offizieller Umgang mit Pegida: Gegenwind für Richter
       
       Erste Stimmen fordern den Rücktritt von Frank Richter als Leiter der
       Landeszentrale für politische Bildung. Auch die Bundeszentrale kritisiert
       ihn.
       
   DIR Sachsen plant Asylpolizei: Wahlkampf auf Flüchtlingskosten
       
       Sachsens Innenminister Markus Ulbig macht Stimmung gegen Flüchtlinge. Er
       will Polizei-Sondereinheiten gegen straffällige Asylbewerber einsetzen.