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       # taz.de -- Ex-FDP-Justizministerin zu Genschers Tod: „Wir werden ihn noch sehr vermissen“
       
       > Für die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war
       > Hans-Dietrich Genscher mehr als ein verdienter Parteifreund.
       
   IMG Bild: Hans-Dietrich Genscher im Jahr 2002
       
       taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wann haben Sie Hans-Dietrich
       Genscher kennengelernt? 
       
       Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Richtig kennengelernt habe ich ihn im
       Wahlkampf 1990, bevor ich zum ersten Mal in den Bundestag kam. Das war die
       Zeit der Wiedervereinigung und der ersten gesamtdeutschen Wahl. Damals habe
       ich hier in Bayern viele Veranstaltungen mit ihm bestritten. Das waren
       Erlebnisse, die vergesse ich nie: Es war eine Euphorie. Auf die Plätze
       strömten tausende Menschen, weil sie gerade mit ihm, mit Hans-Dietrich
       Genscher, diese deutsche Einheit verbanden.
       
       Für Sie war er also ein guter Wahlkampfhelfer? 
       
       Er war exzellent. Er war unglaublich witzig. Er war in allen politischen
       Themen gut bewandert. Und er besaß eine Kunst: Auf Fragen zu antworten,
       selbst wenn er sie gar nicht konkret beantworten wollte. Und zwar so, dass
       der Fragesteller am Ende zufrieden war, ohne eine Antwort auf seine
       Kernfrage bekommen zu haben.
       
       Was machte seinen Humor aus? 
       
       Er war unglaublich schlagfertig, auch im Umgang mit politischen
       Konkurrenten. Gerade die CSU war lange Zeit in besonderer Gegnerschaft zu
       ihm, trotzdem ist er immer mit innerer Begeisterung nach Bayern gekommen
       und hat sich in feindlichem Terrain bewegt. Dabei hat er ernste Aussagen
       wirklich humoresk verpackt. Auch Abends, nach Veranstaltungen, war er der
       größte Witze-Erzähler überhaupt. Er hatte ein unglaubliches Repertoire an
       Witzen - auch wenn ich mir nie einen merken konnte.
       
       Zwei Jahre nach der Bundestagswahl 1990 trat Genscher von seinem Amt zurück
       … 
       
       Durch seinen Rücktritt als Außenminister bin ich in der Nachfolgekette ins
       Kabinett gerückt, ohne ihn wäre ich also nie Justizministerin geworden. Er
       hat mich dann in der Fraktion und der Partei immer unterstützt. Er war für
       mich ein enger Vertrauter, persönlicher Freund und Ratgeber. Am Tag meines
       Rücktritts im Januar 1996 rief er mich an und sagte: „Was machen Sie heute
       Abend? An so einem Tag bleibt man nicht allein, lassen Sie uns zusammen
       rausgehen.“ Da hatte er sich also genau in meine emotionale Situation
       versetzt.
       
       Und wie verlief der Abend? 
       
       Als Demonstration nach Außen waren wir ganz bewusst in zwei guten Kneipen,
       in die er immer ging. Dort kannten ihn alle – ihn kannten sowieso alle, in
       Bonn kannten ihn aber wirklich alle. Seine Frau war auch dabei und wir
       hatte trotz des schwierigen Tages einen sehr vergnügten Abend.
       
       Viele Politiker fallen nach einem Rücktritt in ein Loch. Genscher auch? 
       
       Ich habe ihn nie als jemanden erlebt, der sich in einem Loch befindet. Er
       war ja danach noch einige Jahre in der Fraktion. Er war nach wie vor ein
       unglaublich begehrter Gesprächspartner, übrigens bis in die letzten Wochen
       hinein. Er hat Reden gehalten. Er hat noch vor kurzem ein Buch geschrieben
       und hinterließ darin sein Vermächtnis mit Blick auf Europa und die Welt. Er
       war ein überzeugter Europäer und hat auch immer darauf geachtet, die
       kleinen Mitgliedsstaaten einzubinden, die sich gerne mal übergangen sehen.
       Ich denke, in der Flüchtlingskrise ist eben das im letzten Jahr nicht
       passiert.
       
       Was würde er abgesehen davon in der Außenpolitik anders machen, wäre er
       heute noch im Amt? 
       
       Er hat sich nie aus der Verantwortung gezogen, war aber überzeugt von der
       militärischen Zurückhaltung. Dass sich Deutschland militärisch stärker
       engagieren soll, hätte er also nicht in der Form gesagt wie es Vertreter
       der Bundesregierung vor zwei Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz
       getan haben. Ich glaube auch, dass er mit der Türkei anders umgehen würde:
       Er war sehr früh für die Perspektive eines EU-Beitritts. Gerade deswegen
       hätte er wahrscheinlich sehr deutliche Worte zu den Missständen in der
       Türkei gefunden.
       
       Und was war Hans-Dietrich Genscher in den letzten Jahren für die FDP? 
       
       Beim FDP-Mitgliederentscheid über die Eurorettungspolitik im Jahr 2011 hat
       er sich richtig eingebracht. Für ihn wäre es eine Katastrophe gewesen, wäre
       die FDP den Euroskeptikern und Bernd-Lucke-Positionen nachgelaufen. Er hat
       seine Erfahrung und seine Ratschläge immer wieder sehr weitsichtig
       eingebracht. Wie Herr Christian Lindner heute gesagt hat: Er war ein
       Taktgeber und er hat Weichenstellungen der FDP so beeinflusst, dass die
       Partei nicht in eine falsche Ecke abrutscht.
       
       Demnach beginnen ohne ihn noch schwierigere Zeiten für die FDP. 
       
       Er fehlt. Er fehlt mit Sicherheit an allen Ecken und Enden, auch wenn er
       zuletzt nicht mehr an der ersten Front war. Gerade wenn es um die Außen-,
       Friedens- und Europapolitik geht, werden wir ihn alle noch sehr vermissen.
       Denn da war eine ganz klare, von nichts beeinträchtige Haltung doch immer
       sehr wichtig, um sich sein eigenes Bild zu machen und eine eigene Position
       zu finden.
       
       1 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
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