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       # taz.de -- Genscher und die Balkankrise: Die Zerstörer-Legende
       
       > Die Kroaten liebten ihn, die Serben hassten ihn: Genschers Rolle in der
       > Balkankrise war wichtig. Sie wird aber bis heute übertrieben.
       
   IMG Bild: Kontrahenten in der Balkankrise: Außenminister Hans-Dietrich Genscher mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic 1991
       
       „Danke, Deutschland“, riefen die Kroaten, als die jugoslawische Republik
       Kroatien am 6. Januar 1992 als unabhängiger Staat diplomatisch anerkannt
       wurde. In Trogir an der dalmatinischen Küste benannten die Stadtväter die
       Hauptgasse der verwinkelten mittelalterlichen Stadt nach Kohl und Genscher
       (ulica Kohl-Genscher). Im nahen Okrug eröffnete eine Cafébar namens
       Genscher, nicht nur hier konnte man Wein, Bier oder Kaffee genießen, der
       mit dem Namenszug des damaligen Außenministers versehen war.
       
       In Serbien dagegen wurde Genscher zur Hassfigur. Er und die deutsche
       Politik hätten Jugoslawien zerstört, das 4. Reich wolle wieder nach dem
       Balkan greifen, die Serben in Kroatien müssten die aggressive deutsche und
       österreichische Politik fürchten. Das kroatische Tudjman-Regime wolle wie
       1941 alle Serben töten.
       
       Die Furcht war in der Tat groß. Man hätte Jahre zuvor mithilfe der EG einen
       sicheren Status für die Serben in Kroatien finden können. Doch nach Beginn
       des Krieges und nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und Sloweniens
       am 25. Juni 1991 war an eine diplomatische Lösung nicht mehr zu denken. Die
       serbische Seite hielt sich an keinen der über 20 vermittelten
       Waffenstillstände, schlug alle Offerten zum Schutz der serbischen
       Minderheiten aus.
       
       Ihre Truppen eroberten stattdessen ein Drittel des Territoriums der
       Republik Kroatien unter dem Vorwand, die serbische Minderheit schützen zu
       wollen. Alle Nichtserben wurden von dort vertrieben. Der Beschuss des
       historischen Stadtkerns von Dubrovnik und die Eroberung der Stadt Vukovar
       empörten die Welt. Die Morde im dortigen Krankenhaus waren schändlichste
       Kriegsverbrechen.
       
       Als wegen der ethnischen Vertreibungen in Kroatien im Herbst 1991
       Hunderttausende nach Österreich und Deutschland flohen, begannen beide
       Länder mit einer diplomatischen Offensive. Während Großbritannien und
       Frankreich offene Sympathien für die Politik des serbischen Präsidenten
       Milošević zeigten, betonte Hans-Dietrich Genscher das
       Selbstbestimmungsrecht der Völker. Trotz der Gegensätze gelang es, eine
       gemeinsame Position in der EG zu finden. Außer Griechenland erkannten alle
       Staaten Slowenien und Kroatien an.
       
       Genschers Rolle in diesem Konflikt wird sicherlich sowohl auf kroatischer
       als auch auf serbischer Seite übertrieben. Eine schnellere Reaktion des
       Westens hätte viel verhindern können. Wenn bis heute allerdings serbische
       Politiker behaupten, die Anerkennung Kroatiens hätte den Krieg in
       Jugoslawien ausgelöst, muss man die Frage stellen: Wann war der Beginn des
       Kriegs, wann die Anerkennung Kroatiens? Genscher jedenfalls hat Jugoslawien
       nicht zerstört.
       
       2 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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