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       # taz.de -- Phänomen Sapiosexualität: Schlau fickt besser
       
       > Sexuelles Begehren muss nicht unbedingt von äußerlicher Attraktivität
       > ausgelöst werden. Mit dem Intellekt funktioniert's auch.
       
   IMG Bild: Intellektueller Erguss? Sexy, finden Sapiosexuelle
       
       Dumm fickt gut? Mit dieser Weisheit kann Katharina S. nichts anfangen. „Der
       Spruch ist dumm“, meint sie, „zumindest für mich funktioniert er nicht“,
       fügt aber hinzu: „Und wenn schon mit jemand Dummen, dann sollte er
       wenigstens den Mund dabei nicht aufmachen.“ Den letzten Satz meint sie
       jedoch nicht ganz ernst, denn sie behauptet, letztlich dann doch immer nur
       mit intelligenten Menschen ins Bett zu gehen. „Ich kann mir auch gar nichts
       anderes vorstellen, weil mich das regelrecht abstoßen würde.“
       
       Katharina S. nennt sich selbst sapiosexuell. Sie ist Anfang dreißig,
       Soziologin, arbeitet als Referentin bei einer Stiftung in Berlin und will
       anonym bleiben, um ihr Privatleben zu schützen, wie sie sagt. Unter
       Sapiosexualität versteht man sexuelles Begehren, das eher durch den
       Intellekt des anderen als durch äußerliche Attraktivität ausgelöst wird.
       Würden wir also in einer Welt leben, in der Sapiosexualität die Norm wäre,
       könnten sich die chronisch untervögelten Wissenschaftsnerds der Serie „Big
       Bang Theory“ vor eindeutigen Angeboten kaum retten.
       
       Aber für genau diese Spezies gibt es nun einen Hoffnungsschimmer. Die
       Journalistin Gigi Engle hat ihr Bekenntnis zur Sapiosexualität im
       Onlineportal Elite Daily, das sich als „The Voice of Generation Y“ sieht,
       immerhin so ausgedrückt: „Wenn mich ein Typ intellektuell herausfordern
       kann, werde ich wortwörtlich feucht.“ Blasse Nerds mit Hühnerbrust statt
       Sixpack sind sexy? Für Gigi Engle schon: „Ich gebe zu, dass ich jemand
       Hässlichen ficken würde, wenn er superschlau wäre.“
       
       Das, was die Journalistin da von sich gibt, „gilt für mich auch“, sagt
       Katharina S., „aber nur, wenn er nicht zu scheiße aussieht.“ Mit einem zu
       dicken Mann beispielsweise könne sie dann doch keinen Sex haben, sagt sie,
       selbst wenn der ihr vielleicht die Relativitätstheorie erläutern kann.
       
       Sapiosexualität als relativ junge Begrifflichkeit geistert seit einer Weile
       vor allem durch die Blogosphäre, hat aber inzwischen eine ordentliche
       Karriere hingelegt. Im Internet findet sich etwa ein Test, der feststellen
       will, wie sapiosexuell man ist, und selbst der deutsche Pressesprecher des
       Hochbegabtenvereins „Mensa“ hat sich bereits zum Thema geäußert.
       
       ## Normierte Körper weniger wichtig nehmen
       
       Langsam kommt der Terminus auch im feministischen Diskurs an, wo Katharina
       S. auf ihn gestoßen ist und ihn für sich adaptiert hat. Den normierten
       Körper endlich weniger wichtig zu nehmen, darin sind Feminismus und
       Sapiosexualität deckungsgleich. Ersten Erhebungen zufolge bekennen sich
       auch weit mehr Frauen zur Sapiosexualität als Männer.
       
       Populär wurde die Sapiosexualität jedoch vor allem als Begriff aus der
       Sphäre der Datingbörsen. Als das Datingportal OKCupid seine Auswahl
       geschlechtlicher Präferenzen vor einer Weile drastisch erweiterte und man
       dort jetzt auch anklicken kann, ob man „pansexuell“, „heteroflexible“ oder
       „genderqueer“ ist, wurde dort die Option „sapiosexuell“ schnell zum Renner.
       
       Viele sagen nun, die Präferierung von Geist gegenüber Aussehen – immer
       wieder liest man den Slogan „Aussehen ist vergänglich, Wissen bleibt“ – sei
       so eine Art Datingplattform-Bewegung. Weil man sich dort, zumindest
       jenseits von reinen Sexportalen wie Poppen.de, erst ewig schriftlich
       austausche und sich geistig näherkomme. Reales Kennenlernen sei dann nur
       noch Formsache. In Wahrheit jedoch ist in den meisten Fällen der erste
       gemeinsame Kaffee am Ende doch wichtiger als all das vorausgegangene
       Gechatte.
       
       Katharina S., die sich auf mehreren Datingplattformen angemeldet hat, gibt
       jedoch zu, dass die Onlinekommunikation durchaus wichtig ist für sie.
       „Intelligenz drückt sich durch Sprache aus“, sagt sie und fügt hinzu: „Wenn
       ich sehe, dass sich jemand mit gesellschaftlichen Entwicklungen
       auseinandersetzt, mit Dingen, die mir wichtig sind, dann hat er mich schon
       halb.“
       
       ## Vergeistigter Knallersex
       
       Wenn man sich so die verschiedenen Definitionen von Sapiosexualität
       anschaut, fällt schnell auf, wie viel Unwillen gegenüber diesem Begriff
       auch vorhanden ist. Geistige Verbindungen seien schon immer wichtig
       gewesen, nicht nur für Beziehungen, sondern auch bei der Anbahnung von
       One-Night-Stands, heißt es dann, und für diese „Chemie“, wie man das ja so
       gern nennt, brauche es keinen neuen Begriff, der dann gleich für eine
       bestimmte sexuelle Ausrichtung steht.
       
       Für Verwirrung sorgt bestimmt auch, dass man sich einfach schwertut,
       Vergeistigung mit Knallersex in Verbindung zu bringen. Wer das Gehirn des
       anderen als eine Art Geschlechtsorgan begreift, ist der am Ende nicht eher
       bloß asexuell?
       
       Katharina S. ganz offensichtlich nicht. Auf ihrem Profil auf einer der von
       ihr genutzten Kennenlernbörsen gibt sie selbst viel Persönliches von sich
       preis, dazu hat sie ein Foto von sich gestellt, auf dem sie nur schemenhaft
       zu erkennen ist. Das Ausstellen ihrer Intellektualität und Persönlichkeit
       wird ganz klar über ihr Aussehen gestellt. Gleichzeitig macht sie klar,
       dass sie an mehr interessiert ist als nur an guten Gesprächen. Für so eine
       Datingplattform, auf der es im Normalfall schon um mehr geht als bloß den
       nächsten One-Night-Stand, wird sie verhältnismäßig explizit. Sie könne sich
       im Bett so ziemlich alles vorstellen, gibt sie an.
       
       ## Gehirn über Geschlecht
       
       Zu ihrer Definition von Sapiosexualität gehört für Katharina S. auch, dass
       ihr beim Gegenüber die Intelligenz wichtiger ist als das Geschlecht. Sie
       sagt, richtig verlieben könne sie sich nur in Männer, sexuelle Erfahrungen
       habe sie jedoch schon mit Frauen, Transgenders und Transsexuellen gehabt.
       Sie sei da völlig unvoreingenommen, sagt sie, und verstehe dies auch als
       „Rebellion gegen das Schubladendenken“. Ihre Sapiosexualität sei für sie
       durchaus ein politisches Statement. Der Mensch und das was ihn geistig
       ausmache, stehe für sie im Vordergrund, „dessen Geschlecht oder ob er
       Migrationshintergrund hat oder nicht, ist mir da völlig egal.“
       
       Alle möglichen Witze zur Sapiosexualität sind auch bereits gemacht
       geworden. Sind Problemfilme von Ingmar Bergman für Sapiosexuelle wie
       Pornos? Ist für sie das Zitieren von Schopenhauer während des Sex Dirty
       Talk?
       
       Katharina S. macht jedoch klar, dass für sie Intelligenz mehr ist als
       Schlauheit, mit der sich ein möglichst gutes Ergebnis bei einem IQ-Test
       erzielen ließe. „Jeder hat am Ende eine ganz persönliche Definition von
       Intelligenz“, sagt sie, „für mich bedeutet Intelligenz auch, so schwammig
       sich das vielleicht anhören mag, das Herz am rechten Fleck zu haben.“
       
       Sie selbst unterscheidet außerdem in kognitive, emotionale und soziale
       Intelligenz. Für einen One-Night-Stand, erklärt sie, würde es schon mal
       ausreichen, wenn der oder die andere sie mit Wissen beeindrucken oder sie
       wenigstens zum Lachen bringen könne. Für eine längere Sache sei für sie
       jedoch auch soziale Intelligenz unabdinglich. „Ich könnte keine Affäre
       haben mit jemandem, der nicht auf allen drei dieser Intelligenzebenen etwas
       zu bieten hat.“
       
       Aktuell hat Katharina S. keine Beziehung. Aber sie würde sich gern mal
       wieder so richtig verlieben.
       
       18 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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