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       # taz.de -- Zukunft des Tempelhofer Feldes in Berlin: Das weite Feld der Mitbestimmung
       
       > Nach zwei Jahren ist der Entwicklungsplan für das viel diskutierte
       > Gelände fertig. Für seine Erstellung interessierte sich am Ende kaum
       > jemand. Ist das schlimm?
       
   IMG Bild: Was soll hier landen? Tempelhofer Feld in Berlin
       
       Ach, es ist schon eine Krux mit dieser Demokratie. Rund 740.000
       BerlinerInnen stimmten im Mai 2014 für den Gesetzesentwurf der Initiative
       100% Tempelhofer Feld, gut 1.100.000 WählerInnen beteiligten sich an der
       Abstimmung. Ein nicht zu überhörendes Signal: Die BerlinerInnen wollen ein
       freies Feld – und sie wollen mitreden über das, was in ihrer Stadt
       passiert.
       
       Knapp zwei Jahre später: Ein 65-seitiges Dokument mit dem Namen
       Entwicklungs- und Pflegeplan Tempelhofer Feld ist fertig und wird am
       heutigen Montag vorgestellt. Dass es ihn geben soll, ist Bestandteil des
       2014 verabschiedeten Gesetz, er bildet die Grundlage für die weitere
       Gestaltung des Feldes. Ein Blick auf die Internetseite, auf der der Plan in
       den letzten Wochen kommentiert werden konnte, zeigt: Abgesehen von der
       Community der KitesurferInnen, die seit Einschränkung der Windsportzonen im
       letzten Winter ihre Interessen in akuter Gefahr sieht, hat kaum jemand
       diese Möglichkeit genutzt.
       
       Rund anderthalb Jahre hat es gedauert, den Entwicklungs- und Pflegeplan
       aufzustellen. Denn das Tempelhof-Gesetz schreibt fest, dass diese
       Entwicklung nur „unter Partizipation der Bevölkerung“ geschehen darf. Und
       der Senat, der ja gerade erst erlebt hatte, wohin es führen kann, wenn ein
       Großteil der Bevölkerung das Gefühl hat, nicht mitbestimmen zu dürfen, nahm
       diesen Auftrag sehr ernst. Mit dem BUND-Geschäftsführer Tillmann Heuser
       holte man sich einen der prominentesten Kritiker der Bebauungspläne als
       Koordinator dazu – ein unmissverständliches Zeichen dafür, tatsächlich
       einen Neuanfang wagen zu wollen. In unzähligen Formaten wurde dann
       Bürgerbeteiligung durchdekliniert: Dialog-Veranstaltungen, thematische
       Werkstätten, aufsuchende Befragung, Murmelrunden, Arbeitsgruppen,
       Beteiligungsbox, Raumnutzungswerkstatt, Informationstreffen, ein
       Onlinedialog jagte den nächsten.
       
       Am Anfang war die Beteiligung noch recht groß, ebenso die Skepsis: Als bei
       der ersten, proppevollen Veranstaltung in der Alten Zollgarage im
       ehemaligen Flughafengebäude die Redebeiträge aufgrund der schlechten
       Akustik oft schwer verständlich waren, vermuteten einige BesucherInnen
       gleich Sabotage der Senatsverwaltung.
       
       Mit den Hunderten Litern Kaffee und Hunderten bunten Kärtchen, die seitdem
       auf Folgeveranstaltungen verbraucht worden sein müssen, scheinen Skepsis
       und Beteiligungswille gleichermaßen verloren gegangen zu sein – von den
       Kitesurfern einmal abgesehen. „Berliner interessieren sich nicht mehr fürs
       Tempelhofer Feld“, titelte die gleich die Morgenpost mit Blick auf die
       mittlerweile geringe Beteiligung an dem Verfahren.
       
       Erst empört sich die halbe Stadt, dann interessiert’s keinen mehr? Diese
       Interpretation ist nicht ganz falsch – aber auch kein Anlass zur Sorge.
       Denn bei dem Volksentscheid vor zwei Jahren ging es eben nicht nur um das
       Feld, sondern auch um die Demokratiefrage an sich: Bei wichtigen Fragen
       kommt ihr nicht an uns vorbei, war das Signal der BerlinerInnen an den
       Senat. Und nicht: Wir wollen über jeden Grashalm auf diesem Feld
       mitbestimmen.
       
       Mal ganz abgesehen davon, dass Mitbestimmung eben nicht nur über bunte
       Kärtchen und Onlinedialoge funktioniert. Sondern auch über die praktische
       Aneignung, die seit Öffnung des Felds tausendfach passiert ist: Wer hier
       seinen Picknickkorb auspackt, aufs Fahrrad steigt oder Drachen steigen
       lässt, bestimmt mit über den Charakter dieses Ortes.
       
       Und zwar viel konkreter und direkter, als es der Entwicklungs- und
       Pflegeplan vermag. Wer sich durch die 65 Seiten kämpft bleibt hinterher
       etwas ratlos zurück: Was genau wird denn nun anders auf dem Feld? Ein
       typischer Satz aus dem Dokument lautet: „Es soll geprüft werden, inwieweit
       es am Rande der beiden Landebahnen möglich ist, an einigen Stellen
       zumindest temporäre schattenspendende Elemente zu verorten.“ Oder:
       „Zusammen ergibt sich für das Areal an der Südflanke das Leitbild Ruhe und
       Experiment.“
       
       Aha. Wer schon einmal in einem Mediationsworkshop oder einer ähnlichen
       Veranstaltung saß, weiß: Stundenlang über Ich-Botschaften,
       Konsensorientierung und Kommunikationsstrategien zu sprechen kann auch dazu
       führen, dass man plötzlich das unbändige Bedürfnis verspürt, mal richtig
       was kaputt zu hauen. Ähnlich geht es einem bei der Lektüre des Pflegeplans:
       Vor lauter „potenziellen Nutzungskonflikten“, „behutsamen
       Interessensabwägungen“ und „partizipativen Planungsprozessen“ wünscht man
       sich irgendwann niedergerissene Zäune, ausufernde Grillpartys außerhalb der
       dafür vorgesehen Flächen und vielleicht noch eine ordentliche Schlägerei
       zwischen Kitesurfern und Hundebesitzern. Die Nutzung und Gestaltung des
       Tempelhofer Felds wäre dann bestimmt auch wieder Gesprächsthema.
       
       18 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Malene Gürgen
       
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