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       # taz.de -- Die CSU im politischen Aufwind: Bayerisches Triumphgefühl
       
       > Monatelang kämpfte Horst Seehofer gegen die Flüchtlingspolitik der
       > Kanzlerin. Jetzt suggeriert seine Partei: Krise? Ach was!
       
   IMG Bild: Horst Seehofers steile Anklagen gegen Angela Merkel klingen nach
       
       München/Berlin taz | Markus Blume sitzt in der Gaststätte des bayerischen
       Landtags. Vor ihm steht ein Teller Spargelcremesuppe, hinter ihm liegen
       Monate einer heftigen Auseinandersetzung. „Das war in der Tat ein sehr
       ernsthaftes Ringen zwischen CDU und CSU um den richtigen Kurs.“ War. Blume
       spricht im Imperfekt.
       
       Blume ist CSU-Abgeordneter im Landtag. Er leitet auch die
       Grundsatzkommission der CSU, er muss also wissen, was in der Partei vor
       sich geht. Künftig, prophezeit er, werde die Union nicht mehr mit sich
       selbst, sondern mit anderen Parteien ringen. „Es geht schließlich nicht um
       Konfrontation aus der Lust an Konfrontation heraus, sondern aus dem
       unbedingten Willen, langfristig das Richtige zu tun.“ Krise? Ach, was!
       
       Und wie halten es die Christsozialen mit der Kanzlerin? „Wir haben eine
       Kanzlerin, die weltweit großes Ansehen genießt“, sagt Blume. Und: „Auch in
       Bayern genießt sie in vielen Fragen bei den Menschen hohes Vertrauen.“
       
       Eigentlich war man ja zu Blume gekommen, um sich erklären zu lassen, was da
       gerade abgeht in der Union. Warum die CSU nicht müde wird, sich im Bund wie
       eine Oppositionspartei aufzuspielen. Warum sie seit einigen Monaten den
       politischen Feind nicht in der Opposition, sondern im Kanzleramt bekämpft.
       Stattdessen sagt Blume nun sogar lobende Worte über die Kanzlerin. Auch
       wenn er sicherheitshalber hinterherschiebt, dass man sich Vertrauen immer
       wieder neu erarbeiten müsse und er beim Umgang Merkels mit der
       Flüchtlingskrise oder der Betonung des bürgerlichen Profils noch
       Handlungsbedarf sehe. Trotzdem drängt sich die Frage auf: War da wirklich
       nichts?
       
       ## Landesgruppe mit Weißwurst
       
       Berlin, vier Wochen zuvor. Gerda Hasselfeldt sitzt vor
       Hauptstadtjournalisten, die Brezeln in Senf tunken und Häute von Würsten
       abziehen. Regelmäßig laden die Fraktionsvorsitzenden zu einem Frühstück
       ein, um sich Fragen stellen zu lassen. Nur ist Hasselfeldt keine
       Fraktionsvorsitzende, sondern die Chefin der CSU-Landesgruppe. Sie
       repräsentiert die CSU-Bundestagsabgeordneten, die zwar in einer
       Fraktionsgemeinschaft mit der CDU auftreten. Aber eben auch gerne alleine.
       
       Zwei Tage zuvor haben die Wähler in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
       Sachsen-Anhalt ihre Stimme abgegeben – öfter als erwartet für die AfD. Und
       viel zu wenige für die CDU. Selbst für die sonst so vermittelnd auftretende
       Hasselfeldt reicht es nun.
       
       Was sie sich von der Bundeskanzlerin wünsche, fragen die Journalisten.
       
       „Ein Signal“, antwortet Hasselfeldt.
       
       Ein Signal, fragen die Journalisten, was denn für ein Signal?
       
       „Dass Europa, und insbesondere Deutschland, nicht alle Probleme der Welt
       hier auf unserem Boden lösen kann.“
       
       Alle im Raum arbeiten sich seit Monaten an Begriffen ab: Obergrenze,
       Begrenzung, Reduzierung. Sie durchdachten die Ideen, die deutschen Grenzen
       ganz zu schließen, nur für junge Männer, oder das Asylrecht in Transitlager
       zu verlegen. Angela Merkel war von der Willkommens-Kanzlerin zu einer
       geworden, die ihre Minister in hohem Tempo Asylrechtsverschärfungen
       ausarbeiten ließ.
       
       Trotzdem drohte die bayerische Staatskanzlei, also Ministerpräsident Horst
       Seehofer, mit einer Klage gegen die Bundesregierung, und die AfD sammelte
       stetig Stimmen. Plötzlich schwang die Frage mit: Kann die Kanzlerin, die
       als unanfechtbar galt, doch stürzen? An diesem Punkt fordert Gerda
       Hasselfeldt im Namen der CSU: ein Signal.
       
       ## CSU als politischer Sieger
       
       Wäre die Beziehung der Union ein klassisches Drama, wäre spätestens hier
       die Peripetie erreicht, der Moment der überraschenden Wendung. Nicht für
       die Kanzlerin, denn die hat den Mitgliedsstaaten der EU ein Abkommen
       abgerungen, das sie gerade so noch als gemeinsame Lösung verkaufen kann.
       Auch nicht für den Koalitionspartner SPD, denn deren Niederlage hat sich
       bei den zwei Tage zuvor stattgefundenen Landtagswahlen ausreichend
       manifestiert. Die Peripetie, das ist das Eingeständnis der CSU, nichts mehr
       fordern zu können. Nicht, weil ihr nichts einfiele. Sondern weil sie nichts
       mehr zum Verhandeln hat. Oder weil sie alles erreicht hat?
       
       Geht die CSU als politischer Sieger aus der Flüchtlingskrise hervor? „Dem
       würde ich nicht widersprechen“, sagt ein CDU-Mitglied. Es sitzt im Vorstand
       der Partei.
       
       Die Union ist keine Beziehung aus Leidenschaft, sie ist ein Tauschgeschäft.
       Die CSU, die als einzige Partei Deutschlands mit einer absoluten Mehrheit
       ein Bundesland regieren kann, bringt konservative Wählerstimmen mit. Dafür
       bekommt sie Mitspracherecht auf Bundesebene. Aktuell beinhaltet das drei
       Ministerposten, den stellvertretenden Fraktionsvorsitz und das
       ungeschriebene Recht, bei Parlamentsdebatten immer Redner stellen zu
       dürfen.
       
       Es ist auch kein Geheimnis, dass die bayerische Staatskanzlei einen sehr
       direkten Draht zu ihren Bundestagsabgeordneten pflegt. Die Landesgruppe
       vertritt die Interessen Bayerns direkt in Berlin. Nur einmal hatte die CSU
       die Union aufgekündigt, vier Wochen lang. Das war 1976 und eine Reaktion
       auf die verlorenen Bundestagswahlen. Doch die CDU konterte mit einer
       Drohung: Sie könnte künftig auch in Bayern antreten. Das wollte die CSU
       dann doch nicht und willigte wieder in die Fraktionsgemeinschaft ein.
       
       Und welche Rolle spielt die CSU heute in der Union?
       
       „Ideenschmiede und Taktgeber“, sagt Max Straubinger, Parlamentarischer
       Geschäftsführer der Landesgruppe.
       
       „Korrektiv“, sagt Stephan Mayer, CSU-Abgeordneter und innenpolitischer
       Sprecher der Unionsfraktion. In der Flüchtlingspolitik beanspruchen sie
       selbstbewusst gleich beide Funktionen. Dem widersprechen nicht einmal
       CDU-Mitglieder.
       
       ## Anklagen und Blockaden
       
       Und so verwundert es nicht, in den Gesetzesentwürfen der vergangenen Monate
       deutlich die Handschrift der CSU zu lesen. Sichere Herkunftsländer,
       beschleunigte Asylverfahren, der ausgesetzte Familiennachzug. Was nicht
       drin steht, haben inzwischen andere Länder durchgesetzt: Geschlossene
       Grenzen auf dem Balkan. Aber auch das reklamiert die CSU für sich, wenn
       nicht als Erfolg dann doch doch, Recht gehabt zu haben.
       
       Doch Seehofers steile Anklagen klingen nach. Eine „Kapitulation des
       Rechtsstaats“ hatte er Merkel vorgeworfen, später auch eine „Herrschaft des
       Unrechts“. Bittet der Koalitionspartner SPD um einen Kompromiss, blockiert
       Seehofer so lange, bis die anderen aufgeben. Da hilft es auch nicht, dass
       er neuerdings wieder vom großen gegenseitigen Respekt spricht, den sich die
       Kanzlerin und er entgegenbrächten. Ist die Person Seehofer also der Grund
       allen Streits? Ist einzig die Beziehung zwischen Merkel und ihm eine
       schwierige und gar nicht die Union?
       
       Nein, sagt Stephan Mayer, der CSU-Abgeordnete. „Gerade in den Fragen der
       Flüchtlingskrise folgt die Partei dem Herrn Seehofer mit ausgesprochen
       bemerkenswerter Geschlossenheit.“ Und: „Das hat uns natürlich stark
       gemacht, gerade auch innerhalb der Fraktion.“ Manche, das sagen Abgeordnete
       aus der CDU, seien sogar froh über die Extremposition gewesen. Sie konnten
       sich dort einreihen, als sie die Linie der Kanzlerin nicht mehr
       nachvollziehen konnten.
       
       ## Politik mit den Ellenbogen
       
       Ideengeber, Korrektiv, Geschlossenheit. Das klingt nach konstruktiver
       Standhaftigkeit, ist in Wahrheit aber eine Verharmlosung. Seehofer hat mit
       seinen Ellenbogen Politik gemacht und seine Koalitionäre öffentlich
       vorgeführt. Immer wieder. Seine Partei hat sich nur scheinbar davon
       distanziert. Scheinbar deshalb, weil sie die Art seiner Kommunikation
       kritisierten, nicht aber den Inhalt. Und so überrascht es nicht, dass auf
       die Frage, bei welchem Thema in der Union und der Koalition vergleichbar
       gestritten wurde, aus allen Lagern die Antwort kommt: Das war ein
       historischer Konflikt.
       
       Vergangene Woche saßen Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel
       gemeinsam bei einer Pressekonferenz, um die jüngsten Koalitionsbeschlüsse
       vorzustellen. Es ist etwas anders. Horst Seehofer macht keine Späße. Er
       droht auch nicht. Es sei „sehr gut diskutiert worden“, sagt er. Die Ideen
       seien „sehr, sehr umfangreich“. Die Beschlüsse „sehr wichtig“. Sie geben
       sich sehr, sehr Mühe, harmonisch zu wirken.
       
       In einem sind sich die Schwesterparteien einig: Sie brauchen neue Themen.
       Seehofer hatte deshalb am Rande der Einweihungsfeier für die neue
       CSU-Zentrale seine Themenoffensive vorgestellt. Erst eine Woche später zog
       die Bundeskanzlerin nach. Innere Sicherheit, Wirtschaftswachstum. Und
       Rente. Merkel sagt, das Thema Rente will sie rasch klären, um sich nicht im
       Wahlkampf zu streiten. Seehofer sagt, er wolle die Koalition ordnungsgemäß
       weiterführen. Was ordnungsgemäß ist, darüber lässt sich streiten. Und
       streiten, das macht Seehofer gern.
       
       20 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
   DIR Christina Schmidt
       
       ## TAGS
       
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