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       # taz.de -- Pressefreiheit in Japan: Wenn die Kritik verschwindet
       
       > In Japan untergraben der Staat und die Selbstzensur der Verlage die
       > Pressefreiheit. Die Vereinten Nationen reagieren mit einer Untersuchung.
       
   IMG Bild: Schnell weg – von Shinzo Abe möchte man als Journalist lieber nicht ins Visier genommen werden
       
       Tokio taz | Nach einer Woche voller Gespräche mit Journalisten, Verlegern
       und Beamten in Japan ist der UN-Berichterstatter für Meinungsfreiheit,
       David Kaye, in seinem Urteil hin- und hergerissen. Der US-Amerikaner lobte
       das Internet in Japan für die „Breite und Tiefe seiner Freiheit“.
       Andererseits warnte er vor einer „ernsthaften Bedrohung“ der
       Pressefreiheit. Als Ursachen nannte Kaye den „hartnäckigen“ Druck der
       rechtskonservativen Regierung sowie Gesetze zum Schutz von
       Staatsgeheimnissen. Die Folge sei ein hoher Grad an Selbstzensur.
       
       Mit seinem Besuch reagierte der UN-Berichterstatter auf kritische Berichte
       über die Meinungsfreiheit in Japan. Im Pressefreiheit-Ranking der
       Organisation Reporter ohne Grenzen ist die Inselnation binnen fünf Jahren
       vom elften auf den 61. Platz gefallen. Eine erneute Abstufung in diesem
       Jahr gilt als wahrscheinlich.
       
       Kaye wird seinen Bericht dem UN-Menschenrechtsrat erst 2017 vorlegen,
       stellte jedoch schon in Tokio drei Forderungen zum Schutz der
       Unabhängigkeit der Medien auf: Erstens sollte das Rundfunkgesetz so
       geändert werden, dass die Regierung nicht mehr selbst über die Vergabe und
       den Entzug von Sendelizenzen entscheiden könne. Zweitens müssten die
       Begriffe in Gesetzen zum Geheimnisschutz und gegen Informationslecks
       genauer definiert werden, um einen Missbrauch auszuschließen. „Der schwache
       Schutz von Whistleblowern könnte zu einer Austrocknung von
       Informationsquellen führen“, meinte Kaye. Außerdem forderte der
       UN-Berichterstatter ein Verbot der sogenannten Kisha-Klubs in Ämtern und
       Ministerien. Dabei erhalten nur ausgewählte Presseorgane direkten Zugang zu
       Informationen.
       
       Gleich mehrere regierungskritisch eingestellte TV-Kommentatoren sind in den
       vergangenen Monaten vom Bildschirm verschwunden. Diese Häufung sei
       „überraschend, da solche Journalisten über Jahrzehnte bei ihrem Arbeitgeber
       bleiben“, so Kaye.
       
       Zum Beispiel Hiroko Kuniya. 23 Jahre lang hat die Journalistin die Sendung
       „Close-up Gendai“ („Aktuelle Nahaufnahme“) geleitet. Das halbstündige
       Programm nach den 19-Uhr-Nachrichten auf dem öffentlich-rechtlichen
       TV-Sender NHK kommt in Japan mit seinem scharfen Blick auf aktuelle Themen
       dem westlichen Investigativjournalismus am nächsten. „Es ist immer
       schwieriger geworden, seine Meinung auszudrücken“, kommentierte Kuniya ihre
       Absetzung, die von NHK nicht begründet wurde. Sie hatte es gewagt,
       Regierungssprecher Yoshihide Suga in einer Livesendung nicht abgesprochene
       Fragen zu stellen.
       
       Die Regierung übt ihren Druck subtil aus. Premier Abe trifft Chefredakteure
       und Verleger regelmäßig zu Abendessen. In Hintergrundrunden von Politikern
       werden einzelne Journalisten und Programme kritisiert, Protokolle der
       Runden kursieren dann bis hinauf in die Chefetagen der Verlagshäuser. Auch
       das Instrument von schriftlichen Beschwerden ist bei Politikern der
       regierenden LDP beliebt. „Eigentlich sollten die Medien die Politik
       beobachten, aber jetzt beobachtet die Regierung die Medien“, meinte der
       renommierte Journalist Shuntaro Torigoe.
       
       Die Verlagshäuser reagieren mit vorauseilendem Gehorsam und untersagen die
       Umsetzung von sensiblen Themen wie dem AKW Fukushima und den Sexsklavinnen
       der kaiserlichen Armee im Zweiten Weltkrieg. UN-Berichterstatter Kaye
       empfahl den Journalisten, sich über die Gründung eines eigenen
       Berufsverbandes zu wehren. „Diese Gewerkschaft könnte sich für die
       Einhaltung der Grundprinzipien der Unabhängigkeit einsetzen“, sagte Kaye.
       
       20 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Fritz
       
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