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       # taz.de -- Warten in Wilhelmshaven: Ein Schiff ist gekommen
       
       > Lange wurde der Jade-Weser-Port vor allem als „Geisterhafen“ geführt.
       > Doch das ändert sich gerade, ein bisschen zumindest
       
   IMG Bild: In Reih und Glied stehen sie da, und warten, die roten Van Carrier am Jade-Weser-Port
       
       Wilhelmshaven taz | Ein einziger Anhänger steht in der „Straße von
       Malakka“, verlassen, ganz am Ende eines Parkplatzes, gebaut für Hunderte
       davon. Der böige Ostwind zerrt an der blauen Plane, pfeift über die Steppe
       entlang des „Pazifik“ hinunter zur „Barentssee“. Das Gras hier ist braun
       und verwittert jetzt im Frühling, ein paar Wühlmauslöcher zeugen davon,
       dass es hier doch Leben gibt. In der Ferne tollt ein junger Schäferhund
       über die Wiese, die einmal ein „Güterverkehrszentrum“ werden soll, ein
       Industriegebiet für den An- und Abtransport von Waren.
       
       Sie sind auf alles vorbereitet hier am Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven.
       Die seit Jahren so gut wie unbenutzten Wege links und rechts der Firmen,
       die noch kommen sollen, sie sind in bestem Zustand, ebenso wie die
       Bürgersteige und Fahrradrouten. Ganz vorn, am „Pacific One“, gibt es
       inzwischen eine vollautomatische Tankstelle, ganz ohne Shop und Café und
       so. Und am Horizont sieht man noch den alten, rot-weiß gestreiften
       Leuchtturm, am Ende der neuen Straße, die sie „Atlantik“ nennen. Er ist
       lange außer Dienst. Die Autobahn dahinter hört man kaum; auch staut sich da
       nichts.
       
       Weit über 100 Hektar Industriefläche liegen brach an Deutschlands einzigem
       Container-Tiefwasserhafen. 50 Meter hoch dürfte hier gebaut werden, wegen
       der Hochregallager. Gekommen ist bisher ein einziges: von „Nordfrost“. Als
       Pioniere haben sie schon vor Jahren ein großes Lager am „Pazifik“ gebaut,
       für Obstimporte aus Übersee. Aber in Wilhelmshaven läuft kein Schiff aus
       Südamerika mehr ein. Und so kommt das Obst jetzt aus Bremerhaven. Mit dem
       Laster. Trotzdem bauen sie gleich daneben nun ein neues Tiefkühlhaus, für
       Frischfleisch, das nach Asien verschifft werden soll. Und den Rechtsstreit
       mit dem Jade-Weser-Port haben sie friedlich beigelegt. Es ging um die
       Frage, ob so wenig Hafen so viel Pacht wert ist. „Wir fühlen uns
       getäuscht“, hatte der Nordfrost-Chef noch im vergangenen Jahr dem Fernsehen
       gesagt – die Prognosen hier in Wilhelmshaven, sie waren andere.
       
       ## Mit dem Bau kam die Krise
       
       „Wir sind froh um die vielen freien Kapazitäten“, sagt Anke Sturhan, die am
       Jade-Weser-Port fürs Marketing zuständig ist, und dass sie im Bremer
       Güterverkehrszentrum auch zehn Jahre gebraucht haben, eh es voller wurde.
       Das liegt mitten in der Stadt. Und den Jade-Weser-Port gibt es erst seit
       2012. „Es ist viel Druck aufgebaut worden“, sagt Sturhan, „und es ist die
       Frage, ob das realistisch war zu der Zeit.“ Mit dem Bau des neuen Hafens
       kam der Zusammenbruch der Lehman-Bank, die Finanzkrise, die Rezession.
       Zweifel haben sie hier in Wilhelmshaven trotzdem keine. „Weitsichtig“ war
       die Planung, sagt die Sprecherin des Jade-Weser-Ports, und
       „zukunftsweisend“. Man erwarte eine „Vervielfachung der Umschlagsmenge“.
       Bis 2030. Da sind sie wieder, die Prognosen. Der Blick schweift in die
       Ferne, weit über 200 Fußballfelder sind es von hier bis zum Güterbahnhof
       mit seinen 16 Gleisen. Selbst im 5. Stock des „Pacific One“ kann man ihn
       nur erahnen. Ob sie zufrieden ist mit der Entwicklung? „Ja“, sagt Sturhan.
       „Vor dem Hintergrund der Verhältnisse.“
       
       Ein Schiff wird heute kommen, so wie gestern, so wie morgen und so wie
       übermorgen.
       
       Die „Neuenfelde“, die an diesem Tag um 14 Uhr anlandet, ist keiner jener
       Containerfrachter, für die der Jade-Weser-Port einst gebaut wurde, keiner
       wie die „MSC Oscar“, dem mit rund 400 Metern Länge und 16 Metern Tiefgang
       derzeit größten Containerschiff der Welt. Über 19.000 Standard-Container
       (TEU) haben darauf Platz. Damit könnte es in Wilhelmshaven zu jeder Tages-
       und Nachtzeit einlaufen. Das geht weder in Bremerhaven noch in Hamburg. „No
       Tide. No Limits.“ Das ist ihr Slogan hier. Ihr Vorteil. Ihre Hoffnung. Vier
       der größten Schiffe der Welt hätten im Jade-Weser-Port einen Platz.
       Gleichzeitig.
       
       Die „Neuenfelde“, die unter der Flagge von Antigua und Barbuda fährt, fasst
       nicht mal 900 TEU. Immerhin, morgen kommt die „Maersk Stadelhorn“: 10.000
       Container, maximal. Erst seit ein paar Jahren werden Schiffe dieser Größe
       überhaupt gebaut.
       
       ## Früher war es noch ruhiger
       
       „Es ist lange nicht mehr so ruhig, wie es schon mal war“, sagt Mikkel
       Andersen, der Geschäftsführer des Hafenbetreibers Eurogate. Vor seinem Büro
       im „Terminal House“ von Wilhelmshaven verlieren sich ein paar Dutzend Autos
       auf einem Parkplatz für ein paar Hundert. Ab und zu fährt ein Laster außen
       herum. Hinten, wo es an der 1,7 Kilometer langen Kaje zu den größten
       Containerbrücken der Welt geht, über 80 Meter hoch, bereit für Schiffe, so
       groß, dass sie heute noch keiner baut, hinter dem „Terminal House“ also,
       stehen die roten Van Carrier von Eurogate, stelzenförmige Portalhubwagen,
       mit denen man Container auf Züge und Laster verladen kann. Mehr als ein
       Dutzend von ihnen ist hier aufgereiht, in Reih und Glied stehen sie da,
       warten. Doch, ab und zu fährt einer durch den Hafen.
       
       Neun Schiffe kommen in der Woche an, sagt Andersen, im Schnitt. Drei davon
       fahren in Liniendiensten zwischen Europa, dem Mittleren Osten und Asien,
       weitere vier nach Skandinavien. Das reicht nicht für alle 400, die hier
       arbeiten. Aber es ist genug, um nicht mehr kurzarbeiten zu müssen.
       
       Allein die deutschen Häfen haben heute Überkapazitäten von acht Millionen
       Containern. Und die Wachstumsraten im Containerverkehr sinken seit Langem,
       und so hoch, wie sie in den Neunzigern oder noch in den Nullerjahren waren,
       „werden sie nie wieder“, sagt Andersen. Was jetzt noch nicht in einen
       Standard-Container passt, wird auch in Zukunft nicht reinpassen. In den
       ersten Jahren haben sie gerade mal 70.000 von ihnen in Wilhelmshaven
       umgeschlagen, eine vernachlässigenswert geringe Menge in einer Branche, die
       in Millionen denkt. Gut drei Millionen pro Jahr, das könnten sie hier
       schaffen. Bremerhaven ist doppelt, Hamburg drei, Rotterdam sogar viel Mal
       so groß.
       
       ## Hoffnung auf eine „leichte Steigerung“
       
       2015 kamen im Jade-Weser-Port 426.000 Standard-Container an. Ein Wachstum
       gegen den Markttrend. Und dieses Jahr? Andersen will da keine Prognose
       abgeben. „Wir hoffen auf eine leichte Steigerung“, sagte Eurogate-Chef
       Emanuel Schiffer dieser Tage. Und dass das nächste Jahr das entscheidende
       wird für Wilhelmshaven. Dann werden die vier Reederei-Allianzen, die
       weltweit den Markt kontrollieren, neu gemischt. Die größte unter ihnen
       heißt „2M“, sie betreibt das Container-Terminal in Wilhelmshaven, zusammen
       mit Eurogate. Daneben gibt es noch die „G6“, ihr Heimathafen ist Hamburg.
       Ihre Schiffe müssen 80 Seemeilen tief die Elbe hinunter, und, wenn die Tide
       stimmt, unter der Köhlbrandbrücke durch. Das ist ihr Manko. Doch ohne „2M“
       hätte es den Aufschwung in Wilhelmshaven vom vergangenen Jahr nie gegeben.
       
       Es sei ihm „ziemlich egal“, was die da „auf der grünen Wiese“ machen, sagte
       einer der Hamburger Hafenmanager vor einiger Zeit – „die sollen nur nicht
       denken, dass sie uns hier die Chancen wegnehmen können“. Ein neuer Hafen?
       „In Nordeuropa ist das noch nie gelungen“, sagt ein anderer Hamburger. Gern
       wird an dieser Stelle auf die Tradition der Hansestadt verwiesen.
       
       Dass sie das ein bisschen arrogant finden, das sagen sie in Wilhelmshaven
       nur hinter vorgehaltener Hand. „Wir hatten nie den Anspruch, Hamburg
       Konkurrenz zu machen“, sagt die Marketingfrau Anke Sturhahn. „Die Branche
       ist ziemlich konservativ“, sagt Eurogate-Geschäftsführer Mikkel Andersen.
       Und so sehr sie in Niedersachsen die Dimensionen ihres Tiefwasserhafens
       preisen, mit immer neuen Superlativen, so unbekannt ist er am anderen Ende
       der Welt, wo die Schiffe herkommen und ihre Ladung. Jene, die dort
       entscheiden, wo sie am Ende hinfährt, sind „sehr vorsichtig“, sagt
       Andersen. „Sie gucken sich die Entwicklung lange an, ehe sie was ändern.“
       Hamburg kennen sie schon. Wilhelmshaven ist dort Niemandsland.
       
       In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nennen sie den Jade-Weser-Port gern
       einen „Geisterhafen“. Einen wie Andersen ficht das nicht an. „Sonst wäre
       ich nicht mehr hier.“ Zu oft musste er sich das schon anhören, in den
       letzten Jahren. Aber Gespräche wie diese, sie werden seltener. Die Zeit
       arbeitet für ihn. Die Welt titelte vor ein paar Tagen: „Die wundersame
       Auferstehung des Pleitehafens“.
       
       ## 60 neue Schiffsriesen
       
       Die Schiffe werden größer, und größere Schiffe sind effizienter. So ist die
       Logik der Branche. In den nächsten gut zwei Jahren wollen die weltgrößten
       Reedereien 60 neue Schiffsriesen in Dienst stellen. Noch können die, wenn
       sie nicht voll beladen sind, oder nicht mehr, wenn die Bedingungen stimmen,
       auch in Bremerhaven oder Hamburg anlanden. Aber am Jade-Weser-Port stimmen
       die Bedingungen immer. Keine Ebbe, kein Stau, keine Ampeln, kein
       Platzmangel. Die Kunden wüssten das zu schätzen, sagt Andersen.
       
       In Niedersachsen redet die Politik schon von einer Erweiterung des
       Tiefwasserhafens, wollen sie dem Meer noch mal eine fast zwei Kilometer
       lange Kaje „abringen“. Eine Machbarkeitsstudie gibt ihnen recht. Doch
       Eurogate hat vorerst abgewunken. Erst mal muss Ladung her, die man von hier
       aus verschiffen kann. Zum Beispiel aus dem benachbarten
       Güterverkehrszentrum, wo bislang eben nur Nordfrost sitzt. „Da muss was
       passieren“, sagt Andersen. Also machen sie jetzt mehr Werbung, fahren nach
       Göttingen, nach Bielefeld und Nürnberg, nach Österreich, sprechen mit
       Spediteuren und Verladern. „Man muss nur Geduld haben“, sagt Anke Sturhan.
       
       Die noch immer unbenutzten Gullydeckel auf der Brache an der „Barentssee“
       entlang des „Pazifik“, sie sind schon rostbraun.
       
       10 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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