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       # taz.de -- Debatte Einwanderungsland Deutschland: Wir sind made in Germany
       
       > Egal ob erste oder dritte Generation: Wir „Bindestrichdeutschen“ heißen
       > uns willkommen. Denn wir sind so deutsch, wie es uns gefällt.
       
   IMG Bild: Unsere Eltern sind der unsichtbare Teil der Weltmarke „Made in Germany“
       
       Der Bundespräsident, die Politik und manche aus der Wissenschaft hätten
       jetzt schon gern ein „neues deutsches Wir“. Klingt schön. Nur: Wenn ich
       „wir“ sage, fühlen sich einige Deutsche eher gemeint als andere.
       
       Mein „Wir“, das ist die zweite Generation, deren Eltern nach Deutschland
       eingewandert sind. Wir sind sehr verschieden. Was trotzdem ein „Wir“ aus
       uns macht, ist die Tatsache, dass wir uns gemeint fühlen und nicht nur
       empört sind, wenn Pegida marschiert und die AfD Menschenfänger spielt. Wir,
       das sind die Kinder der italienischen, griechischen, türkischen,
       jugoslawischen Einwanderer, der Pioniere der deutschen Nachkriegsmigration.
       Unsere Eltern sind der unsichtbare Teil der Weltmarke „Made in Germany“.
       Ihre Kinder sind das Beste, aber nicht das Einzige, was sie diesem Land
       gegeben haben.
       
       Ich weiß: Die meisten Deutschen ohne Migrationsgeschichte haben das alles
       schon gehört, sie sind „durch“ damit. Es wurde doch schon so viel erinnert,
       auch eine Wanderausstellung zum Thema „Gastarbeiter“ gab es. Jetzt gibt es
       Wichtigeres zu diskutieren: Die Willkommenskultur, das Asylthema. Und für
       Elitäre haben wir die Frage nach dem gemeinsamen Narrativ.
       
       Wie üblich fragen solche Bevormunder-Deutsche nicht, ob wir mit unserer
       Geschichte und unserem Platz hier auch „durch“ sind, und wie üblich
       erwarten wir, dass sie uns fragen, und setzen nicht einfach unsere Fragen
       auf die öffentliche Agenda dieses Landes. Wir lassen uns hetzen oder
       vorführen, debattieren noch viel zu oft unter uns – und keiner kriegt es
       mit.
       
       ## Differenziert wird selten
       
       Jetzt diskutieren diejenigen, die als Deutsche ohne Zusatz durchgehen, mit
       den Deutschen, die den Zusatz „türkisch“ tragen. Vorzugsweise über Syrer,
       weil sie ja Glaubensbrüder sind. Differenziert wird nur selten und wenn,
       dann zwischen Badenern und Kurpfälzern, aber doch bitte nicht zwischen
       Kroaten und Serben oder Türken und Syrern und deren Nachfahren mit den
       vielen Hintergründen. Alles Ausländer, irgendwie.
       
       Es gibt sie, seit Thomas Bernhard gestorben ist, viel zu selten: die
       Wutrede. Ich vermisse meine Wut, weil ich angehalten bin, vernünftig über
       Unvernünftiges zu diskutieren. Gerade wir Integrierte sind ja zunehmend die
       besseren Deutschen. Mann, wie das nervt: Die Eingebürgerten, die spießiger
       sein wollen als die Deutschen. Die, wenn sie an der Hotelrezeption oder in
       einer Behörde sitzen, sich verkrampfter geben als jeder Alteingesessene.
       
       Man muss sich an Leute mit drei Generationen deutschem Pass wenden, um eine
       freundliche, lockere Ausnahmeregelung zu erhalten. Der integrierte
       Ausländer, der schafft das nicht, der hat keine Distanz zu seiner
       Identität. Er muss und möchte sich als Deutscher beweisen und bewähren. Den
       Pass hat er sich verdient, denkt er. Ist das das neue deutsche Wir?
       
       Die Deutschen schicken auch gern Menschen mit Migrationshintergrund vor, um
       Ressentiments zu äußern. Gemeinhin wird das mit der profunden Kenntnis über
       die Schwächen der Communitys begründet. Man denke an Necla Kelek, was die
       alles weiß. Oder die Streifenpolizistin Tania Kamouri, die uns von
       „Deutschland im Blaulicht“ berichtet. Interessant, wie das sofort Verleger,
       Rezensenten und Talkshow-Redaktionen fesselt. Während andere dasitzen und
       anklagen, aber dabei die Zuschreibung „Opferrolle“ erhalten. Denn sie
       klagen die Falschen an – sie sollen doch bitte, wenn schon, ihre
       Herkunftskultur anklagen. Da kennen sie sich aus!
       
       ## Bürokratische Existenzgrundlage
       
       Dass Herkunftskultur aus allem besteht, worin man aufgewachsen ist, aus
       Deutschland und aus den Eltern (nicht so sehr dem Land der Eltern),
       geschenkt! Geschenkt auch, dass diese Kultur das Deutsche meint, dem keiner
       entkommen kann, weil er hier sozialisiert wurde. Womit wir beim Deuten des
       Eigenen wären. Wer hat die Hoheit darüber? Die anderen natürlich. Wie sehr
       solche wie ich dem ausgesetzt sind, sollen wir am besten nicht laut sagen.
       Lieber nachbarschaftlich mithelfen, das neue Gemeinsame zu bauen, sonst
       wirken wir undankbar, und überhaupt sind wir doch jetzt alle gemeinsam
       gegen Pegida und die AfD. Unsereiner ist aber noch ein bisschen mehr gegen
       Pegida und die AfD. Denn es ist nicht nur das Gerechtigkeitsgefühl, das da
       angefasst wird – es wird an dem Status gerüttelt, den wir in diesem Land
       haben sollen. An unserer bürokratischen Existenzgrundlage also.
       
       Und was machen deutsche Politiker? Stellen sie sich schützend vor die
       Eingewanderten und ihre Kinder und Enkelkinder? „Aber, Frau Marinić“, höre
       ich da schon, „das hat Frau Merkel doch versucht. Nur kamen dann so viele
       auf einmal, bis es zur Erdrutschwahl der Landtage kam. Außerdem schütteln
       Politiker auf ihren Ochsentouren halt doch nur Einheimischen die Hände,
       weil der Ali immer noch nicht auf die Parteiveranstaltungen will.“ In den
       Köpfen der meisten ist immer noch der Ali schuld, weil er nicht kommt. Dass
       die Veranstaltung mit Alis Welt nichts zu tun hat, ist eben Alis Schuld.
       Sorry für den Ali, er ist halt noch nicht integriert.
       
       Wie schön Intellektuelle über die USA und Großbritannien schwärmen können:
       Die Kreolisierung des Englischen, wie faszinierend! Sie merken gar nicht,
       dass so etwas hierzulande nicht stattfindet, weil das System so früh
       greift. Weil es sich mit aller Macht durchsetzt und jedem klar ist: Er wird
       kaum einen Schritt weiterkommen, wenn er nicht genau tickt wie die
       Maschine. Der staatliche Teil der Willkommenskultur in Deutschland ist: ein
       Apparat, der will, dass wir uns einordnen, einfügen, eingliedern.
       
       Dieses international so bewunderte Land ist nach wie vor nicht bereit, sich
       zu wandeln. Wenn ich das öffentlich sage, ernte ich Aggressionen wie
       Schauspielerinnen Rosen. Ich nehme sie gern entgegen. Sie sind der beste
       Beweis dafür, dass etwas zur Sprache kommt, was gesagt werden muss. Dass
       wir bei Fragen der Teilhabe nicht ewig schöne Ländervergleiche machen
       können und Deutschland kommt dabei vorbildlich weg.
       
       Deutschland kommt erst dann vorbildlich weg, wenn es versteht, dass diese
       erste, zweite und dritte Generation keine Willkommenskultur braucht.
       Willkommen heißen wir uns selbst – denn wir sind Made in Germany. Wir sind
       Deutsche, wie es uns gefällt.
       
       22 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jagoda Marinić
       
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