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       # taz.de -- Interview mit Berliner Grünen-Chefs: „Die AfD passt nicht zu Berlin“
       
       > Kann noch verhindert werden, dass die AfD ins Abgeordnetenhaus einzieht?
       > Die Grünen-ChefInnen Jarasch und Wesener über den Umgang mit den
       > Rechtspopulisten.
       
   IMG Bild: „Der Senat liefert der AfD Steilvorlagen“: Berlins Obergrüne Bettina Jarasch und Daniel Wesener
       
       taz: Frau Jarasch, Herr Wesener, wie heißt bei Ihnen Grünen-intern die AfD? 
       
       Bettina Jarasch: Keine Alternative für Deutschland.
       
       Wir meinen: Es ist Ihre härteste Konkurrenz in diesem Wahlkampf. 
       
       Daniel Wesener: Es ist eine Herausforderung für uns und alle anderen
       demokratischen Parteien. Was die unmittelbare Konkurrenz angeht, sagen die
       meisten Analysen, dass es zwischen Grünen und AfD die mit Abstand
       geringsten Überschneidungen gibt – nicht nur inhaltlich, sondern auch bei
       der Wählerwanderung. Wir Grüne sind quasi die Anti-AfD. Das bedeutet aber
       nicht, dass sich für uns damit die Auseinandersetzung erübrigt hat. Im
       Gegenteil.
       
       Die AfD könnte Ihnen die Bilanz versauen: Wenn sie ins Abgeordnetenhaus
       einzieht, dürfte es für eine rot-grüne Koalition in keinem Fall reichen. 
       
       Jarasch: Das ist doch keine Frage grüner Wahlchancen. Wir wollen, dass bei
       der Berlin-Wahl im Herbst die politische Trendwende gelingt. Das heißt, den
       Durchmarsch der AfD stoppen, hier in der Hauptstadt, die zu Recht stolz auf
       ihre Weltoffenheit ist.
       
       Was heißt für Sie „stoppen“: Die AfD nicht über die Eintrittshürde von fünf
       Prozent und damit nicht ins Parlament hineinkommen zu lassen? 
       
       Jarasch: Laut der letzten Umfragen könnte die AfD in Berlin zweistellig
       werden. Damit wollen wir uns nicht abfinden.
       
       Das ist ein niedriger Anspruch für eine weltoffene Hauptstadt, eine Stadt,
       in der in den vergangenen drei Legislaturperioden rechte Parteien nicht den
       Hauch einer Chance hatten. 
       
       Wesener: Die AfD hat schon heute das gesellschaftliche Klima vergiftet. Mit
       ihrer Hetze gegen Flüchtlinge hat sie für eine Atmosphäre der Aggression
       und Angst gesorgt. Sie ist deshalb mit dafür verantwortlich, dass es immer
       mehr gewaltsame Übergriffe auf Menschen gibt, die eigentlich bei uns Schutz
       suchen. Gleichzeitig inszeniert sich die AfD als Anti-Establishment-Partei
       und Opfer der Medien. Eine solche Partei löst in Berlin kein Problem,
       sondern ist selber eins.
       
       Laut der jüngsten Umfrage sehen das in Berlin 13 Prozent anders, also fast
       jeder siebte Wähler. Woher kommt diese große Zahl? 
       
       Wesener: Wir wissen, dass es in Deutschland einen harten Kern von Menschen
       mit einem rassistischen Weltbild gibt, die grundsätzlich gegen Einwanderung
       und unsere offene Gesellschaft sind. Die AfD erreicht darüber hinaus viele
       Menschen, die angesichts der Entwicklungen der vergangenen Monate
       verunsichert sind und die nicht den Eindruck haben, dass die Politik die
       aktuellen Probleme bewältigt.
       
       Jarasch: Es gibt generell eine Verunsicherung in der Gesellschaft, obwohl
       es dem Land wirtschaftlich gut geht und die Finanz- und Eurokrise
       überstanden scheint. Die AfD ist ja nicht zufällig in der Eurokrise
       entstanden. Auf diese Verunsicherung wollen wir Grüne Antworten geben.
       
       Sie sagen, dass die Milieus von AfD und Grünen weit voneinander entfernt
       sind, gleichzeitig aber wollen Sie offensiv mit der Situation umgehen – wie
       erreichen Sie denn die AfDler? 
       
       Wesener: Bei klassischen Protestwählern, die jeweils das neueste Angebot
       auf dem Markt suchen, oder Leuten, die ohnehin eine große Übereinstimmung
       mit der AfD haben, ist das schwer. Wir können aber diejenigen erreichen,
       die aufgrund von Ängsten oder Enttäuschung über die bisherige Politik
       überlegen, AfD zu wählen.
       
       Genau die meinen wir ja. Wie wollen Sie die vom rechten Rand wegkriegen? 
       
       Wesener: Indem wir einerseits sehr deutlich machen, wofür die AfD jenseits
       der Flüchtlingspolitik eigentlich steht – nämlich für ein Frauen- und
       Familienbild von vorgestern, für eine autoritäre und zutiefst ungerechte
       Politik. Die AfD ist eben nicht die Partei der kleinen Leute und für mehr
       Mitsprache, sondern das genaue Gegenteil. Hier müssen wir sie auch stellen.
       Andererseits sagen wir den Menschen, was wir Grüne tun, damit Berlin
       lebenswert und weltoffen bleibt.
       
       Aber auch diese Gruppe wird nicht an Ihre Wahlkampfstände oder zu Ihren
       Veranstaltungen kommen und schon gar nicht Ihr Wahlprogramm lesen. Uns bei
       der taz geht es genauso, weil ebendiese Wähler im Zweifelsfall die taz
       nicht lesen. Wie wollen Sie mit denen in die Diskussion kommen? 
       
       Jarasch: Ein Wahlkampf bietet bekanntlich viele Gelegenheiten, mit Menschen
       ins Gespräch zu kommen – und das werden wir nutzen.
       
       Ganz geht die Verunsicherung, von der Sie sprechen, auch am grünen Milieu
       nicht vorbei. Wenn beispielsweise in die Sporthalle nebenan Flüchtlinge
       einziehen, finden das auch Ihre Wähler nicht alle toll. 
       
       Jarasch: Wie gesagt, den Analysen zufolge sind unsere Wählerinnen und
       Wähler am wenigsten in der Versuchung, zur AfD zu wechseln. Aber natürlich
       wollen auch sie nach Vorfällen wie in der Kölner Silvesternacht hören, was
       wir Grüne dagegen unternehmen und wie wir für öffentliche Sicherheit
       sorgen. Auch wir Grüne müssen ganz klar sagen, wie wir uns die
       Unterbringung und Integration der Geflüchteten konkret vorstellen und was
       wir anders machen würden. Beim Umgang mit der AfD werben wir außerdem für
       ein breites Bündnis für eine hohe Wahlbeteiligung.
       
       Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat das Gegenteil gezeigt: Dort boomte
       die Partei, obwohl so viele Menschen zur Wahl gingen wie seit 1998 nicht
       mehr. 
       
       Wesener: In Berlin hat die Vergangenheit gezeigt, dass eine niedrige
       Wahlbeteiligung im Regelfall vor allem den Rechten nutzt. Die Berlinerinnen
       und Berliner können am 18. September das Zeichen setzen: Die AfD hat in
       dieser Stadt keine Chance.
       
       Sehen es die anderen Parteien auch so? 
       
       Wesener: Ich kann nur hoffen, dass alle erkannt haben, dass bei der AfD
       kein Kuschelkurs, sondern nur klare Kante hilft. Beim rot-schwarzen Senat
       habe ich leider den Eindruck, dass er noch nicht kapiert hat, dass der
       ständige Koalitionskrach der AfD Auftrieb verleiht.
       
       Sie sagen, SPD und CDU haben in Berlin die AfD stark gemacht? 
       
       Jarasch: Sie bieten ihr in jedem Fall Steilvorlagen. In einer Situation, in
       der eine so große Zahl von Flüchtlingen untergebracht werden muss, erwarten
       die Leute zu Recht, dass die Regierung zusammensteht und das Problem gelöst
       kriegt – und nicht, dass sich SPD und CDU in der Flüchtlingspolitik nur
       streiten oder beim Scheitern gegenseitig hämisch zuschauen.
       
       Wenn Ihre Strategie nicht aufgeht und die AfD ins Abgeordnetenhaus
       einzieht: Wie wollen die Grünen mit ihr im Parlament umgehen? 
       
       Wesener: Es ist für jedes Parlament eine Herausforderung, wenn
       rechtspopulistische Parteien dort eine Bühne haben. Erfahrungen, wie seit
       eineinhalb Jahren in Brandenburg, zeigen, was funktioniert und was nicht.
       Dabei müssen die demokratischen Parteien einen Weg finden, wie man die AfD
       inhaltlich isoliert und ihr gleichzeitig den Mythos vom Opfer nehmen kann.
       
       Die AfD hat am Wochenende ihre Liste gewählt; es ist jetzt klar, wer sehr
       wahrscheinlich mit Ihnen ab Herbst im Parlament sitzen wird. Nicht gerade
       sehr erfreulich, oder? 
       
       Jarasch: So weit ist es noch nicht. Wer im Parlament sitzen wird,
       entscheiden im Herbst die Berlinerinnen und Berliner. Was wir von den
       einzelnen AfD-Kandidaten halten – es sind wirklich fast nur Männer –,
       treibt uns nicht an. Unser Ziel ist klar: Wir wollen, dass Berlin
       vielfältig und weltoffen bleibt und wir werden immer wieder deutlich
       machen, wie wenig die AfD zu unserer Stadt passt.
       
       Die AfD hat sich, nicht zuletzt auch mit ihrer Landesliste, deutlich
       rechtsaußen positioniert. Überrascht Sie das? 
       
       Wesener: Die AfD gibt sich nach außen gerne bieder-bürgerlich. Aber die
       Übergänge ins rechtsextreme Spektrum sind fließend, auch personell. In
       ihren Reihen tummeln sich ehemalige NPDler, die Verbindungen reichen bis
       weit in die Neonazi-Szene. Diese Zusammenhänge müssen wir sichtbar machen,
       damit niemand behaupten kann, er wisse nicht, mit wem wir es da zu tun
       haben.
       
       26 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
   DIR Bert Schulz
   DIR Uwe Rada
       
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