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       # taz.de -- Aufbruchstimmung im Iran: Zwischen Flower und Power
       
       > Gay Talk über Jesus. Pflaster als Botschaft. Unsicherheit und Öffnung:
       > Nach dem Ende der Sanktionen streben die Iraner in eine neue Zeit.
       
   IMG Bild: Cheese! – bei der Blumenausstellung in Karaj, Iran, im April
       
       Ein Flackern ist in ihren Augen auf dem Messegelände an Stand 24 in Halle
       35 im Norden von Teheran. Sie sagt, „Monshi“ sei kein korrektes Wort für
       das, was sie macht. Sie studiere und helfe am Stand der Firma. Ferienjob
       also.
       
       Kein Monshi?
       
       Sie: Nein. Früher ja. Aber jetzt nicht mehr.
       
       Ihre Augen hetzen hin und her unter ihrem Kopftuch. Sie will, sie muss das
       aus der Welt schaffen, sei Studentin der Außenwirtschaft. Kein Monshi!
       
       In einer der riesigen Hallen am Rand Teherans auf der Irantex & Iran Mode
       am Stand von Texofin reagiert sie verärgert auf die Frage, ob sie guten
       Gewissens in den Spiegel schauen könne als Monshi. Ob sie eine Pistole
       habe. Sie lächelt hilflos.
       
       Lächelt zu viel. Verteilt Prospekte, vermittelt Termine, verkauft
       Schmieröl. Ist wie alle Iraner neugierig, will viel über Deutschland
       erfahren. Dass sie Monshi sei, hat einer erzählt, als wir den Stand
       aufbauten.
       
       Monshi?
       
       Lange Pause, seltsamer Blick, etwas leiser zwischen den Zähnen
       durchgesprochen beim Stemmen gegen eine wacklige Trennwand, die wir
       festschrauben: „Security.“
       
       Panik in meinen Augen. Weil ich mit einem erlogenem Visum in den Iran kam.
       Als „Consultant“ einer Firma, die Maschinen in 268 Firmen im Iran betreut,
       begleite ich einen Kaufmann, der mit Ersatzteilen für Textilmaschinen
       handelt. Business- statt Journalistenvisum. Bin aufgesprungen. Ein
       Journalistenvisum hätte zu lange gebraucht, und es bestand die Gefahr,
       keines zu bekommen.
       
       ## Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitskomplex
       
       Security? Geheimdienst? Der Iran hat ein autoritäres Regime, revolutionäre
       Garden, Religionspolizei, öffentliche Hinrichtungen, Auspeitschungen,
       religiösen Eifer, Schleier. Und ich: Angst.
       
       Vorsichtig, unwissend, anfällig für Gerüchte, irren Europäer umher in
       dieser Farsi-Psycho-Geschichte in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern,
       von denen die Hälfte jünger als 25 Jahre ist. Auch die haben
       Orientierungsprobleme, jetzt, wo neue Zeiten anbrechen. Sie litten lange
       unter dem Embargo. Erlebten heftige Inflation. Entwickelten einen
       kollektiven Minderwertigkeitskomplex und ein starkes Verlangen: Wir gehören
       auch dazu, unterschätzt uns nicht, nehmt uns ernst, wir sind mehr als
       Religion.
       
       Also brodelt nun ein Mischmasch aus übertriebenem, protzigem
       Selbstbewusstsein und einem Minderwertigkeitskomplex. Die Iraner sind nahe
       an dem, was meiner Definition von Schizophrenie entspricht. Haben bei allem
       Optimismus Angst und bei aller Angst Vertrauen zu Einzelnen. Immer
       vorsichtig und gleichzeitig vertrauensvoll. Ständig auf der Suche nach
       Rückzugsräumen. Haben dabei aber diesen Zusammenhalt gegen das System, der
       in einem autoritären Staat entstehen kann.
       
       Es ist das Jahr 1394 nach der Flucht Mohammeds aus Mekka, als ich auf der
       Messe stehe. Das Jahr, in dem sich das Ende der Handelssanktionen gegen den
       Iran andeutet. Gerade hat es eine Annäherung im Atomstreit gegeben. Habe es
       im Hotelfernseher gesehen. Einen Monat später, im Januar 2016, tritt das
       Wiener Abkommen tatsächlich in Kraft. Das Ende der Sanktionen.
       
       ## Deutsche, putzig wie Teddybären
       
       Die Lobby des 15-stöckigen Homa Hotels in der Khoddami Street im Zentrum
       Teherans ist voller Männer in Businessanzügen. Gierig lauernde Männer aus
       dem Westen. Italiener in schickem Tuch. Amis mit Fitnessstudiomuskeln und
       lauten Stimmen. Deutsche, viele mit putzigem Teddybär-Auftreten. Franzosen,
       elegant und arrogant. Lebende Klischees. Alle bestellen Milchshakes. Bier,
       Whiskey, Wein darf es nicht geben in der Islamischen Republik Iran. Die
       Kellnerinnen tippen auf flache Handhelds die Bestellung: Aprikosen- oder
       Mandel- oder Erdbeershake.
       
       Bezahlen außerhalb des Hotels ist schwer. Karten funktionieren nicht. Am
       Morgen stehen Schlangen am Hotelcounter. Alle wollen Dollars und Euros in
       Rial tauschen. Oft aber kann das niemand, alle werden auf morgen und
       übermorgen vertröstet. Irgendwer organisiert irgendwie iranisches Geld.
       Eine Inflationswährung. Der Einfachheit halber gibt es eine Zweitwährung.
       Neben dem offiziellen Rial auf der Straße den Toman. Das sind 10 Rial. Wer
       ein Preisschild sieht, auf dem 100 steht, muss klären, ob es 1.000 oder 100
       sind. Eigentlich sind es immer 1.000. Es gibt keine Toman-Scheine, es gibt
       nur Rial-Scheine, von denen man im Kopf eine Null streichen muss, je
       nachdem, was der Verkäufer sagt. Was billig schien, kostet das Zehnfache.
       Auf dem Heimweg hieß es in Dubais Wechselstuben „Schmeiß es weg“, als ich
       mit den Resten meiner iranischen Rial kam. Niemand wollte sie.
       
       Nach der Messe besuche ich in Teheran, Karaj, Kashan und Yazd Firmen, die
       Stoffe und Teppiche herstellen mit alten deutschen Textilmaschinen aus dem
       Jahr 1969 oder 1958. Ich sehe sogar eine aus dem Jahr 1938, die noch
       arbeitet. Das ist auch eine Geschichte über deutsche Wertarbeit. Die
       Firmenchefs sind alte Männer mit großen Armbanduhren und bunten Hemden, die
       von Vätern und Großvätern erzählen. Sie berichten, wie sie mit Koffern voll
       Geld über die Grenzen gingen wegen der Sanktionen. Dreimal hörte ich so
       eine Geschichte. Wie sie clever tricksten, die alten, stolzen Helden.
       
       Ein anderes wichtiges Thema ist die deutsche Abwrackprämie von 2008. Gilt
       als Politik in Perfektion, „wie wir sie im Iran nie hinbekommen“. Sie
       wollen alles wissen: Was, man konnte auch einen Toyota oder Fiat kaufen,
       bekam dennoch 2.500 Euro Zuschuss, auch für ausländische Autos? Einer der
       drei Brüder, denen Payabaf gehört – hier gibt es viele Familienbetriebe –,
       kriegt sich nicht mehr ein, er verschüttet Tee. Der Chef von Yazdbaf fragt
       zweimal nach.
       
       ## „Flughafen“ heißt: Ich war mal draußen
       
       Sie sitzen ja alle hier und warten auf Autos aus dem Ausland. Eine der
       beiden staatlichen Autofirmen ist insolvent. Garantien gelten nicht mehr.
       Die Autos hier seien so schlecht wie die Luft der Städte. Jeder erzählt
       eine Horrorgeschichte über die schlechte Qualität der Autos von Ikco und
       Saipa. Einer der Firmenchefs hat einen Porsche, erzählt er. Mit dem er aber
       zurzeit nicht fahre. Zu viel Neid. Daimler gibt es oft. Der Iran mag ja
       eine Revolution gehabt haben, aber er ist ein kapitalistisches Land.
       
       Businessvisa kriegt man in Teheran am Iman-Khomeini-Airport nach der
       Landung, wenn man eine Einladung einer iranischen Firma hat. Dann bekommt
       man vom Iran Ministry of Foreign Affairs eine Mail mit einer Folge von
       sieben Ziffern und muss innerhalb von drei Tagen am „Ikap“ sein. Was ich
       lerne: Wer „cool“ ist, und „cool“ wollen alle sein, sagt Ikap und meint den
       Flughafen. Ikap bedeutet, man war mal draußen.
       
       Jeder um mich herum weiß inzwischen, dass ich Journalist bin. Weil die
       Iraner, auf deren Stand ich stehe, mich oft als Journalisten vorstellen.
       Das Wort wird als Code benutzt. Mit ihm teilen sie anderen mit, dass sie
       ihnen vertrauen. Du und ich, wir haben jetzt ein Geheimnis, der Typ neben
       mir ist Journalist. Ich bekomme ein Feeling auf der Messe, das, so vermute
       ich, Säuglinge in Kinderwagen haben, wenn sich, „Oh ist der süß“, fremde
       Menschen darüber beugen.
       
       Das hätte eine langweilige Geschichte werden können. Jedoch, sie spielt im
       Iran und enthält Comedy-Elemente. Wochen später fahre ich mit einem Iraner
       und seiner Frau, die ich am Messestand kennengelernt habe, zur Hochzeit
       ihrer Cousine. Die Fahrt dauert sieben Stunden, führt durch die Wüste auf
       achtspurigen vollen Autobahnen. Kilometerweit immer geradeaus. Links und
       rechts nichts. Wie in Arizona, nur breitere Straßen. Ich erkundige mich
       nach dem Geheimdienst, nach Monshi. Wie? Wir brauchen Stunden, das zu
       klären und sie lachen ihr Auto nass. Da hat wer bei der Übersetzung
       gepatzt. Monshi heißt Secretary. Nicht Security.
       
       In den folgenden Tagen genügt das Wort „Monshi“, und alle grölen.
       
       Iraner sind kommunikativ. Überhaupt, sie wirken italienisch. Mit viel
       eindrucksvoll vorgetragener Sprache, Wohlklang mit nicht ganz so viel
       Inhalt. Stil. Stolz. Eitelkeit. Esskultur. Speiseeis. Unpünktlichkeit.
       Mama. Übergroßer Respekt vor Mama. Immer die beste aller Köchinnen, die
       beste aller in allem. Männermode ist extrem wichtig. Die Frisur des Mannes
       muss sitzen, die Haare sind hinten eher länger. Die Gestik ist lebhaft, die
       Standardmimik besteht aus einem netten Lächeln, das ein bisschen
       herablassend wirken kann. Sonnenbrillen sind entscheidend und das
       Mobiltelefon, immer das neuste.
       
       ## Frauen mit Pflaster auf den Nasen
       
       Es gibt viele Kommunikationsprobleme, weil die Codes sich unterscheiden.
       Das Paradebeispiel: Frauen, alle mit Hidschab, das Kopftuch ist
       vorgeschrieben, haben oft Pflaster auf der Nase. Das bedeutet, denkt man
       doch, Schönheitsoperation, und fragt sich, warum denn überhaupt, wo die
       Frauen doch verschleiert sind. Gerade deshalb, habe ich gelernt. Da sind
       nur ein paar Zentimeter Gesicht, die eine Frau zeigen darf, also sind die
       wichtig. Der Fokus des Betrachters wird aufs Gesicht gezwungen. Also auf
       Kosmetik und eben kosmetische Operationen.
       
       Aber ein Pflaster auf der Nase bedeutet nicht unbedingt
       Schönheitsoperation. Ist eher ein Kosmetikding. Der weiße Streifen über dem
       Nasenrücken gilt als modische, provokante Botschaft, entspricht in etwa
       einem Minirock im Stuttgart der siebziger Jahre oder einem Pelzkragen
       heute. Hinzu kommt: Das Pflaster ist Statussymbol: Ich kann mir eine OP
       leisten. Sollte dem nicht so sein, musst du das erst mal beweisen.
       
       Es gibt noch eine Botschaft per Nasenpflaster: Ich bin nicht tiefreligiös.
       Keine Religionspolizei kann etwas sagen, meine Haare sind bedeckt, ich
       trage die geforderte Hose. Korrekt nach Vorschrift. Meine Botschaft aber
       klebt in meinem Gesicht. In der Endphase der Sanktionen habe ich viele
       Pflaster mit roter Farbe gesehen. Dachte anfangs: Blut! Doch Operation.
       Falsch. Das ist Kosmetikfarbe, die den Pflastereffekt steigern soll.
       
       Wenige tragen das Tuch so, dass man die Haare nicht sieht. Meistens so,
       dass man sie gut sieht. Der Trick: Ein Zopf wird so gebunden, dass er
       waagerecht nach hinten zeigt, den Kopf verlängert. Manche nehmen kleine
       Stoffkissen, um Dutts zu zaubern. Auf den Haaren hängt das Tuch, der Kopf
       ist sichtbar, das vorgeschriebene Tuch auch, nach hinten verschoben. Wirkt
       wie Futur. Die Frauen haben verlängerte Köpfe. Wie Aliens in
       Science-Fiction-Filmen. Auf der Messe sehe ich Frauen mit pinkfarbenem
       Haar. Mit blauem. Schrille Strähnen. In Lokalen gibt es das Ritual, den
       Hidschab zu richten: Abnehmen. Haare zeigen. Ordnen. Tuch wieder aufziehen.
       Dabei lächeln. Botschaften wie Pflaster rot-weiß.
       
       Die Mitarbeiterin der Firma, die meine Einladung organisierte, sagte, man
       dürfe offiziell nicht mit Apple-Produkten in den Iran. Die Monteure der
       Firma, die dort Maschinen reparieren, würden ihre jedoch mitnehmen. Ohne
       sie könnten sie nicht auf Montage. Alle Daten, die man für so eine bis zu
       vierzig Meter lange Maschine braucht, seien da drauf. Monteure nehmen Macs
       mit. Mir riet sie ab. Ich nahm Mac und iPhone mit.
       
       ## Einziges deutsches Wort: „Abwrackprämie“
       
       Als ich nach der Ankunft nachts vom Ikap ins Hotel fuhr, sah ich zweimal
       Apple-Werbung. Groß. Beleuchtet. Eindeutig. In den folgenden Wochen überall
       iPhones. Noch nie erlebte ich so eine Ballung. Visitenkarten interessieren
       keinen. Alle sind, obwohl sie eigentlich nicht dürfen, bei WhatsApp,
       Facebook, Instagram, vor allem aber Telegram. Sie wollen sofort Kontakt.
       
       Oder Coca-Cola, amerikanischstes aller Getränke. Gibt es im Iran nicht. War
       ich überzeugt. Gibt es by authority of The Coca-Cola Company by Khoshgovar
       Tehran Company, Imam Khomeini Boulevard, Caspian Industrial City, Qazvin,
       Iran. Gleiches Geschäftsprinzip wie in Deutschland: lokale Firmen, die von
       Coca-Cola Formel und Lizenz kaufen. Schon immer.
       
       Es ist ein journalistisches Muss, die Namen der Interviewpartner zu nennen.
       Soll ich? Die Iraner sagen: „Ja klar, kein Problem.“ Aber ich will sie
       nicht schreiben, um sie zu schützen. „Ach was“, mailen sie. Monshi heißt
       Mozhgan Khanali, 26. Abdul Mashadi, 46, ist der Besitzer von Texofin.
       Nashme, 42, seine Frau. Mohsen Fatuhi, 28, arbeitet für ihn. Dessen Frau,
       Mahsa, 26, in einer Fabrik, die Ikea-Teppiche produziert. Die beiden nehmen
       mich mit zur Hochzeit ihrer Cousine. Die alten Firmenlenker, die als
       einziges deutsches Wort „Abwrackprämie“ kennen und zappeln, wenn man davon
       erzählt, sind Abdul Peidayesh Fard, 70, und Astane Dari, etwas jünger. Wie
       viel, will er nicht sagen.
       
       Im Kino. Wegen „Mohammed Razul“, des teuersten und aufwendigsten Films, der
       im Iran je gedreht wurde. Ein Monster von einem Film, dreieinhalb Stunden
       lang. Schildert die jungen Jahre des Propheten. Gut, er fängt mit dem
       Großvater von Mohammed an, und über den Vater lerne ich auch viel. Tolle
       Kamera, tolles Licht, tolle Ausstattung, opulent, epische Landschaft, so
       viel davon hab ich noch in keinem Hollywoodfilm gesehen. Jedoch, „Mohammed
       Razul“ hat Probleme. Man darf sich als Muslim kein Bildnis von Mohammed
       machen. Das ist auch der Grund des Karikaturenstreits.
       
       So sehe ich dreieinhalb Stunden ein Kind, einen Jüngling, einen Mann von
       hinten, von der Seite, hinter einem Kamel, so in der Sonne, dass sein
       Gesicht unsichtbar ist, von vorne, aber jemand davor verdeckt das Gesicht.
       Wahnsinnsleistung des Regisseurs, eine Abfolge von Zaubertricks, immer
       wieder kommt wer ins Bild, stellt sich vor Mohammed, in letzter
       Millisekunde. Das war spannend, ein ganz besonderer Aspekt. Ich wusste, dem
       sehe ich nie ins Gesicht, und trotzdem hoffte ich drauf. War wie wenn ich
       den Mörder am Anfang erahne und trotzdem weiterschaue. Das Kino riesengroß
       und voll. Viele Familien mit Babys, schreiend, heulend. Popcorn.
       Softdrinks. Pärchen, die Händchen halten. In der Reihe vor uns sah ich …
       ich würde sagen, da waren Hände unter fremder Kleidung.
       
       ## „Do you love Jesus“?
       
       Auf dem Burj Milad, dem Fernsehturm, laut dem großen Schild am Eingang der
       achthöchste Turm der Welt, da sind sie stolz drauf, kam ein junger Mann auf
       mich zu und fragte, woher ich komme und „Do you love Jesus?“. Ich zucke mit
       den Schultern. Er: „Do you love Jesus?“ Gegenfrage: „You?“ Er: „Yes. Do you
       love Jesus?“ Ich auf Englisch: „Kann ich nicht sagen.“ Er bettelt fast: „Do
       you love Jesus?“ Ich, hilflos: „Nein.“ Er, drängend: „Do you love Jesus?“
       Ich auf Englisch: „Genug, ich gehe.“ Ich eile. Später erklärt Monshi, „Do
       you love Jesus?“ sei ein Code, die Frage, ob ich mit ihm ins Bett will.
       „Gay Talk“ sagt sie. Im Iran? Auf Homosexualität steht die Todesstrafe.
       
       Monshi, für mich zu dem Zeitpunkt vom Geheimdienst, sagt, im Iran gebe es
       alles. Er sei nicht anders als der Rest der Welt. Eine wichtige Botschaft,
       hoffend, beschwörend ausgesprochen. Mozhgan Khanali will wissen, wie ich
       wohne. Ob ich ein Auto habe. Was für eines. Ob ich schon mal in New York
       war. Autos sind ein großes Thema im Iran. Was ich arbeite? Consultant halt.
       Wohin ich in Urlaub fahre. Sie will wie ich Alltag lernen. Ich frage wieder
       nach ihrer Pistole. Sie schaut wütend.
       
       Ich führe Interviews mit Funktionären und Firmenchefs. Über allem schwebt:
       Wir wollen endlich Business machen, ernst genommen werden. Oft höre ich:
       „Unterschätzt uns nicht, wir sind nicht so blöd wie die Araber am Golf.“
       Mohammad Moravej Hosseini, der Chef des iranischen
       Textilarbeitgeberverbands, sagt das wortwörtlich. Zweimal. Er ist klein,
       hat ein Doppelkinn, einen runden Kopf mit Haarkranz. Besitzt vier
       Teppichfabriken in Shiraz und Kashan. Sein Büro in Teheran ist ein Palast
       mit einem fünfstöckigen neuneckigen Foyer.
       
       Moravej hat seit zwanzig Jahren ein Apartment in Mönchengladbach. Dort gibt
       es große Textilmaschinenhersteller, Montforts und Karl Mayer, also sei er
       oft dort. Gestern habe er mit dem Minister gesprochen. Der wolle der
       Textilindustrie 450 Millionen US-Dollar zur Verfügung stellen. Für
       Investitionen. Der Iran hat so was wie eine kapitalistische Planwirtschaft.
       „Wir müssen unsere Kapazitäten verdoppeln. Wegen der hohen
       Arbeitslosigkeit.“ Die nächsten vier Jahre gingen 4,5 Millionen Menschen
       von Unis in die Arbeitslosigkeit. Niemand investiere, keiner kaufe neue
       Maschinen. Stillstand. Jetzt aber: „Hunger for new machines“.
       
       Moravej erzählt beim nächsten Glas Tee, „der Iran war immer an Deutschland
       orientiert. Wir mögen die Engländer nicht, die Amis nicht, die Russen
       nicht. Historisch bedingt. In den zwanziger Jahren kamen die Deutschen und
       halfen uns mit Brücken, Schienenstrecken, Elektrizitätswerken,
       Stahlwerken.“ Er habe an der Technischen Hochschule seinen Abschluss
       gemacht. „Deutsche Gründung, deutsche Lehrer.“
       
       Auf der Hochzeit saßen die Männer in einem Raum. Ich dachte immer, wir
       Deutschen schlingen. Nein, im Iran wird Essen geschaufelt. Weltrekordtempo.
       Sie reden über Reissorten wie Deutsche über Weinreben, es geht um
       Feinheiten. Der Bräutigam freut sich, mich zu sehen. Ich bin auf die
       Hochzeit geschleust worden. Der Bräutigam sagt, er sei soooo stolz, mich
       auf dem Fest zu haben. Stellt mich vielen vor. Wieder dieses
       Baby-im-Buggy-Gefühl. Die Frauen sind in einem anderen Raum. Kein Kontakt
       während der Feier. Junge Männer fragen, unabhängig voneinander, dreimal, ob
       ich im Krieg gekämpft habe. Langes Gespräch mit dem ersten, bis klar wird,
       er meint den Zweiten Weltkrieg. Bei den anderen kann ich das dann schneller
       klären.
       
       ## Stau, Smog und Straßenchaos
       
       Die Frauen haben getanzt, erzählt Mahsa. Nach dem Fest fahren wir im Korso
       durch Yazd. An roten Ampeln springen die Männer aus den Autos, tanzen zu
       Musik aus den Autoradios. Es wird gehupt, Menschen klopfen Rhythmen auf
       Autodächer. Ich hatte gelesen, es gehöre zum Protest junger Iraner, mit
       verdeckten Nummernschildern vor Überwachungskameras zu tanzen. Männer und
       Frauen. Bis Polizei kommt. Zuvor, per Mobiltelefon gewarnt, zischen die
       Tänzer ab. Sei das Wildeste, was man hier machen könne. In Yazd kommt die
       Polizei. Ein Polizist tänzelt mit, andere gratulieren dem Bräutigam.
       
       Am Ende der Reise übernachte ich bei Mohsen und Mahsa. Ihre Wohnung liegt
       näher am Ikap als das Hotel. Wenn ich was gelernt habe in Teheran, dann
       Stau, Smog und Straßenchaos. Wir waren sieben Stunden in ihrem Auto nach
       Süden gefahren. Sieben zurück. Stopps an vielen Autobahnraststätten. Sie
       immer mit Hidschab.
       
       Wir kommen in die Wohnung. Mohsen schaltet den Fernseher an und zappt. Auf
       dem Großbildschirm laufen Videos, alle auf Ibiza gedreht. Tanzende,
       schwitzende, zuckende Haut in Großraumdiscos. Die Sender sind türkisch und
       russisch. „Geht es da so zu“, fragt er. „Schon, aber dürft ihr das sehen“,
       frage ich. Er schaut, als hätte ich ihn gefragt, ob er Monshi sei.
       
       Unterdessen nimmt Mahsa ihren Hidschab ab, fängt an, ihre langen,
       schwarzen, glänzenden Haare zu kämmen. Lächelt. Verrückte Situation für
       einen Fremden im Iran. Wahrscheinlich nur für den. So viel Nähe, so viel
       Vertrauen, so viel Unsicherheit. „Willst du Tee“, fragt Mohsen.
       
       24 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Litz
       
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