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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Blau gegen Grün
       
       > Was sind „richtige“ Grüne? Warum Alexander Van der Bellen
       > österreichischer Bundespräsident werden kann. Obwohl er Grüner ist.
       
   IMG Bild: Innovative Wähleransprache beherrscht Alexander Van der Bellen: Buttons, farbig sortiert, grün fehlt
       
       Der Antagonismus zweier Volksparteien, gesellschaftlicher Gruppen und
       Welterklärungen ist perdu. Die Linderungen der Gegenwarts- und
       Zukunftsprobleme sind nicht durch eine Entscheidung zwischen links oder
       rechts, Union oder SPD, ÖVP oder SPÖ zu haben. Dialektischerweise führt
       deren Zusammenklucken in Koalitionen dazu, dass das immer mehr Wählern
       auffällt. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten. Ungünstigerweise sind es
       rechte (Protest-)Parteien, die das am leichtesten ausnutzen können.
       
       Wenn man nicht zu dem Grünen-Typus gehört, der ein grundsätzlich negatives
       Resonanzverhältnis zur Welt pflegt und jetzt schön seine Schnappatmung
       genießt, wird man bei aller berechtigten Sorge prüfen, welche positiven
       Möglichkeiten sich ergeben. Das ist die Situation von Alexander Van der
       Bellen, 72, dem langjährigen Chef der österreichischen Grünen, der es in
       die Stichwahl um das Bundespräsidentenamt geschafft hat.
       
       Die Ex-Volksparteien sind k.o. Es heißt: Blau gegen Grün. Ja, der
       FPÖ-Kandidat Norbert Hofer liegt mit 35 Prozent klar vorn. Aber 20 Prozent
       für einen Grünen, das ist außergewöhnlich viel. Von Baden-Württemberg mal
       abgesehen.
       
       Jetzt wird der eine sofort sagen, dass Van der Bellen ja „gar kein
       richtiger Grüner“ sei.
       
       So was kann man reflexhaft verdammen, wie der denkfaule Spiegel, der den
       Grünen letzte Woche vorwarf, sie hätten ihre Ideale verraten. (Und nächste
       Woche wieder höhnt, sie seien weltfremde Idealisten.) Oder man kann
       verstehen, dass diese Unterstellung derzeit die Voraussetzung für
       demokratischen Erfolg ist. Wer für Repräsentation oder gar Problemlösungen
       gewählt werden will, darf kein „richtiger Grüner“ sein, weil das zwar
       maximale Gesinnung unterstellt, aber eben auch vernagelte Fixierung auf
       Partikularinteressen und nicht Politik für die ganze Gesellschaft.
       
       Das ist teilweise ungerecht, aber gegen die Projektionen von Menschen
       helfen keine Zeigefinger. So was ändern nur Grüne Politiker, die das
       Vertrauen der Gesellschaft gewinnen. Das tun sie, indem sie sich auf der
       Basis politischer Ziele – Entwicklung der sozialökologischen
       Transformation, EU und offener Gesellschaft – die Probleme managen, die die
       Leute haben.
       
       Die Gleichstellung der „Mitte“ mit politischem oder gar moralischem
       Substanzverlust ist Unfug. Das Problem sind die wachsenden Ränder. Obwohl
       in der österreichischen Situation der emotionale Impuls Gut vs. Böse
       naheliegt: Van der Bellen muss die Mitte für EU und offene Gesellschaft
       vereinigen, das gelingt mit einem moralischen Lagerwahlkampf schwerlich.
       Dafür sind die bisherigen Wähler von Griss, SPÖ und ÖVP zu heterogen. Er
       kann nicht einfach mit Endzeitrhetorik gegen den FPÖler mobilisieren, er
       muss dabei für die ganze Gesellschaft sprechfähig bleiben.
       
       Schleswig-Holsteins stellvertretender Ministerpräsident Robert Habeck hat
       beim Landesparteitag seine Kandidatur als Spitzenkandidat der
       Bundestagswahl forsch umrissen. Die Grünen seien „nicht die Umweltapp, die
       sich SPD oder CDU wahlweise herunterladen dürfen.“ Er will sie „zur
       prägenden Kraft unserer Zeit machen“. Grüne, sagte er, müssten
       „anschließen, nicht mehr ausschließen.“ Die Erfolge der Grünen in den
       Ländern kämen, „weil wir nicht die Ankläger, sondern die Vertrauensleute
       der Gesellschaft geworden sind.“
       
       Das ist die Basis, auf der die Grünen in Baden-Württemberg stärkste Partei
       geworden sind. Womöglich die Basis, auf der Alexander Van der Bellen
       Bundespräsident wird. Vielleicht sogar die Basis, auf der die Grünen im
       Bund doch noch Relevanz für unsere Zukunft bekommen.
       
       Man kann keine Ideale verraten. Nur Menschen.
       
       1 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
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