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       # taz.de -- Polizeipräsenz am 1. Mai in Berlin: Zeit für Abrüstung
       
       > Zum siebenten Mal in Folge bleibt es in Kreuzberg überwiegend friedlich.
       > Doch die Polizei will sich den neuen Gegebenheiten nicht anpassen.
       
   IMG Bild: Überwiegend friedliche Demo, bewacht von viel, viel Polizei
       
       Berlin taz | Bunte Rauchtöpfe in Gelb und Grün geben gegen 18.20 Uhr das
       Startsignal: Tausende starten vom Oranienplatz aus mit dem gerichtlich
       untersagten Zug durchs MyFest. Ganz vorne ein Block, der an die
       Schildkrötentaktik der Römer erinnert: Neben Front- und Seitentransparenten
       halten die Demonstranten ein großes Banner über ihre Köpfe – und sind damit
       völlig abgeschirmt.
       
       Der in diesem Teil martialisch wirkende Aufzug bahnt sich die nächsten 20
       Minuten friedlich seinen Weg durchs Fest, unbehelligt von der Polizei.
       Lediglich kurz vor Erreichen des offiziellen Startpunktes der
       „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ am Moritzplatz werden ein paar
       Flaschen auf Polizisten in einer Seitenstraße geworfen.
       
       Zwei Stunden später, am Endpunkt der Demonstration, kommt es dann zu den
       erwartbaren Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei: Stein-
       und Flaschenwürfe aus einem vielleicht 200 Personen starken schwarzen Block
       und Eingreifgruppen der Polizei, die wild in die Menge rennen, um die
       Angreifer zu zerstreuen.
       
       Doch es bleibt ein kurzer Ausbruch. Nach einer Viertelstunde hat sich die
       Lage rings um den Lausitzer Platz schon wieder beruhigt. Die Bilanz des
       Tages liegt mit 42 Festnahmen und 59 leicht verletzten Polizisten, die
       überwiegend Prellungen davontrugen, wieder auf dem Niveau der Vorjahre.
       „Der positive Trend der letzten Jahre setzt sich fort“, sagte
       Polizeipräsident Klaus Kandt am Montag.
       
       ## Neue Realität
       
       Doch als Trend lassen sich die Ereignisse rund um den Berliner 1. Mai nicht
       mehr beschreiben. Der Prozess der Veränderung hin zu einer friedlicheren
       18-Uhr-Demo kann vorerst als abgeschlossen gelten, das exzessive
       Gewaltritual ist eine verblassende Erinnerung. Zum siebenten Mal infolge
       waren die Krawalle kaum mehr als eine Randnotiz eines ansonsten friedlichen
       Tages der Arbeit.
       
       Die Zahlen der Festnahmen und verletzten Polizisten, die statistische
       Währung dieses Rituals, bewegen sich schon genauso lange im überschaubaren
       zweistelligen Bereich. Nur noch ein kleiner Teil der Demonstranten sucht
       die militante Auseinandersetzung – Potenzial für mehr bietet die
       linksradikale Szene der Stadt nicht mehr.
       
       Doch Polizei – und auch die verantwortliche Innenbehörde – weigern sich
       beharrlich, diesen Zustand als feste Basis anzunehmen. Erneut waren mehr
       als 6.000 Polizisten im Einsatz, darunter über 2.300 Unterstützungskräfte
       aus anderen Bundesländern – als gelte es, bürgerkriegsähnlichen Zuständen
       zu begegnen. Auch die Weddinger Walpurgisnachtdemo am Vorabend wurde von
       einem unverhältnismäßigen Aufgebot von 900 Beamten begleitet. Insgesamt
       waren 2.500 Polizisten am Abend des 30. April im Einsatz. Bilanz: eine
       Festnahme. Null verletzte Beamte.
       
       ## Strategie der Deeskalation
       
       Einsatztaktisch hat die Polizei dagegen schon vor Jahren dazugelernt. Neben
       der Strategie des harten Eingreifens setzt sie auch auf Deeskalation. Die
       unerlaubte Runde durch das MyFest, an der sich bis zu 5.000 Menschen
       beteiligten, ließ sie gewähren – und verhinderte damit Chaos inmitten der
       unbeteiligten Festbesucher.
       
       Für die Autonomen, die angekündigt hatten, sich nicht an das Verbot einer
       Demo durchs MyFest halten zu wollen, war die Aktion ein „kleiner Erfolg“,
       so bewertete es jedenfalls die Gruppe „Radikale Linke Berlin“, mit deren
       Transparent der spontane Aufzug angeführt wurde, am Montag auf ihrer
       Facebookseite.
       
       Die offizielle Demonstration fiel mit etwa 13.000 Teilnehmern kleiner aus
       als in den Vorjahren, als sich bis zu 20.000 Menschen beteiligten. Auch
       hier beschränkte sich die Polizei auf eine Präsenz vor und hinter dem
       Aufzug sowie in den Nebenstraßen. Eine enge Begleitung des Zuges, selbst
       des Blocks der teilweise vermummten Autonomen, unterließ sie. Den wenigen,
       die auf Auseinandersetzungen aus waren, bot sie somit keinen Angriffspunkt.
       
       ## Henkel weicht aus
       
       Innensenator Frank Henkel (CDU) zog am Montag eine „überwiegend positive
       Bilanz“ der beiden Tage. Das Niveau der Gewalt unterscheide sich „deutlich
       von dem, was wir früher gewohnt waren“, sagte er. Auf die Frage der taz, ob
       der Polizeieinsatz angesichts dessen nicht überdimensioniert sei,
       antwortete Henkel ausweichend. Er verwies lediglich auf den Mauerpark, in
       dem in der Walpurgisnacht deutlich weniger Polizisten als früher eingesetzt
       gewesen seien und erstmals seit Jahren kein Glasflaschenverbot galt. Ergo:
       „Die Polizei reagiert sehr wohl auf Entwicklungen.“
       
       Auf eine Diskussion über ein generelles Abrüsten rund um diese Tage ließen
       sich Henkel und Kandt dagegen nicht ein. Angekündigt wurde lediglich, dass
       die Erfahrungen dieses Jahres in die Planung des nächstes eingehen würden.
       Nach einer deutlichen Verringerung der eingesetzten Polizeikräfte hört sich
       das freilich nicht an. Ebenso Henkels Aussage: „Solange wir verletzte
       Polizisten haben, können wir nicht von einem friedlichen 1. Mai sprechen.“
       
       2 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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   DIR Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
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