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       # taz.de -- Pressefreiheit in Deutschland: Enthüller im Visier
       
       > Nicht nur im Fall Böhmermann – auch sonst wird immer wieder gegen
       > deutsche Journalisten ermittelt. Nicht alle können sich gegen den Druck
       > wehren.
       
   IMG Bild: Zur Zielscheibe der Staatsanwaltschaft geworden: Regisseur Daniel Harrich
       
       Als Daniel Harrich vor rund einem Monat bei der Verleihung des
       Grimme-Preises auf der Bühne in Marl stand, ließ er sich wenig Zeit für
       üblichen Dankesfloskeln. Der Mann, den die Grimme-Jury Information & Kultur
       für Recherchen zu illegalen Waffenexporten ausgezeichnet hatte, wedelte
       dramatisch mit ein paar Blättern Papier, er hatte Wichtiges zu sagen.
       
       Harrich hielt die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Stuttgart in der
       Hand, gerichtet gegen sechs frühere Verantwortliche der Rüstungsfirma
       Heckler & Koch, die sich wegen „Verstößen gegen das
       Kriegswaffenkontrollrecht und das Außenwirtschaftsrecht“ verantworten
       müssen. Weil seine Mitrechercheure und er nicht zuletzt mit einem
       Themenabend, der aus dem Spielfilm „Meister des Todes“ und der
       Dokumentation „Tödliche Exporte“ bestand, zu der Anklage beigetragen
       hatten, war Harrich, neben der Freude über den Preis, auch wütend: Es sei
       ein Skandal, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart maßgebliche
       Verantwortliche außen vor gelassen habe. Gemeint waren Mitarbeiter des
       Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesausfuhramtes.
       
       Noch erboster wäre Harrich gewesen, hätte er damals schon gewusst, dass ein
       Vorermittlungsverfahren auch [1][gegen ihn und vier seiner Mitstreiter
       läuft]. Initiiert von der Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt die
       Staatsanwaltschaft München I, ob die Journalisten widerrechtlich Dokumente
       veröffentlicht haben, die zu den Ermittlungsakten im Verfahren gegen
       Heckler & Koch gehören. In München sitzt der Heyne-Verlag, der im September
       2015 „Netzwerk des Todes“ veröffentlichte, das Buch zur TV-Doku. 71
       Dokumente, teils mit handschriftlichen Anmerkungen versehen, sind darin
       abgebildet, darunter Mails des Verteidigungs- ans Wirtschaftsministerium
       und behördeninterner Schriftverkehr.
       
       Einiges davon legt den Schluss nahe, dass Mitarbeiter von Behörden
       involviert waren in den illegalen Waffenexport in mexikanische
       Unruheregionen. Das gilt nicht zuletzt für das Protokoll einer Vernehmung
       eines Beamten aus dem Wirtschaftsministerium, der sich selbst belastet.
       
       ## Späte Anklageerhebung
       
       Die mutmaßlich beteiligten Beamten hätten wegen Verjährung nichts mehr zu
       befürchten, kritisiert Harrich. Stattdessen würden jene verfolgt, „die
       Licht ins Dunkel gebracht haben“. Möglich ist das unter anderem aufgrund
       des Paragrafen 353d. Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine
       Geldstrafe droht danach jemanden, der „die Anklageschrift oder andere
       amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens“ veröffentlicht, „bevor sie in
       öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren
       abgeschlossen ist“.
       
       Bizarr ist die Anwendung dieses Paragrafen in diesem Fall auch, weil es
       sich hier um ein Verfahren handelt, für das Harrich und Co. Beweismaterial
       zur Verfügung gestellt haben – etwa Seriennummern von Gewehren. Folgt man
       der Logik des Paragrafen, hätten die ARD-Journalisten mit der Verwendung
       des selbst beschafften Materials warten müssen, bis die Staatsanwaltschaft
       in die Gänge kommt. Die brauchte fünfeinhalb Jahre, ehe sie Anklage erhob.
       
       Harrichs Anwalt Holger Rothbauer sieht den Paragrafen 353d in einer Reihe
       mit dem Paragrafen 103, der die „Beleidigung von Organen und Vertretern
       ausländischer Staaten“ unter Strafe stellt. Der spielt aktuell im Fall
       Böhmermann eine Rolle. Die Paragrafen hätten gemeinsam, dass sie inhaltlich
       befremdlich seien und sich bis vor Kurzem niemand an sie erinnert habe.
       
       Der Fall Böhmermann hat mal wieder die grundsätzliche Frage aufgeworfen,
       welchen strafrechtlichen Einschüchterungsversuchen sich Medienmitarbeiter
       in Deutschland ausgesetzt sehen können. Sie betreffen vor allem jene, die,
       anders als Harrich und Böhmermann, nicht Institutionen wie ARD und ZDF im
       Rücken haben. Zum Beispiel Hubert Denk, Chefredakteur und Verleger des
       Lokalmagazins Bürgerblick aus Passau.
       
       Im Herbst 2013 erfuhr Denk durch eine Vorladung der Kripo Nürnberg, dass
       bereits seit drei Jahren ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft
       München I wegen der „Verletzung der Vertraulichkeit des Dienstgeheimnisses
       sowie der Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses“ gegen ihn lief.
       Anlass war ein Text von 2010, in dem Denk berichtete, dass der
       Laborunternehmer Bernd Schottdorf 2005 20.000 Euro an den damaligen
       CSU-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gespendet hatte.
       
       ## USB-Stick unter der Klobürste
       
       Details zu dem Vorgang kannte Denk dank eines Begleitbriefes, den ihm ein
       Informant auf einem USB-Stick zugespielt hatte. Der Whistleblower hatte den
       Journalisten in die Kabine der Herrentoilette im Münchener Löwenbräukellers
       gelotst, der Datenträger war dort unter einer Klobürste deponiert. Da der
       Begleitbrief aus der Akte einer Sonderkommission stammte, die gegen
       Schottdorf wegen Abrechnungsbetrug ermittelte, konnte das von Denk genutzte
       Material nur aus dem Bayerischen Landeskriminalamt stammen. Die
       Ermittlungen gegen den Journalisten dienten in erster Linie dazu, den
       Maulwurf zu schnappen. Wer den USB-Stick im WC versteckte, ist bis heute
       nicht bekannt.
       
       Im Februar 2014 wurde das Verfahren gegen Denk eingestellt. In einer
       Hinsicht sei er über die Ermittlungen gegen ihn aber froh, sagt Denk: durch
       die Berichterstattung über das Vorgehen gegen ihn habe der Fall Schottdorf
       eine „neue Fallhöhe“ bekommen. Das Handelsblatt und das ZDF-Politmagazin
       „Frontal 21“ recherchierten 2014 und 2015 mehrmals gemeinsam zum
       Schottdorf-Fall. Andererseits erlitt Denk Verdiensteinbußen durch
       entgangene Aufträge und andere Belastungen, die die Ermittlungen mit sich
       brachten. Im Februar 2016 hatte er als Zeuge in einem
       Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags, in dem es auch um
       Schottdorf ging, ein Déjà-vu-Erlebnis: Die Fragen hätten teils denen der
       strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn geähnelt. „Der Vorsitzende wollte
       unbedingt wissen, wer mir den USB-Stick zugespielt hat.“
       
       Denk profitierte von der Aufmerksamkeit anderer Journalisten. Was in weit
       größeren Maße auch für Markus Beckedahl und André Meister von
       netzpolitik.org galt, denen 2015 „Landesverrat“ vorgeworfen wurde, weil sie
       geheime Pläne des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Überwachung
       sozialer Netzwerke online zugänglich gemacht hatten.
       
       Aber nicht jedes Strafverfahren gegen Journalisten hat eine derartige
       Wirkung. Wenig berichtet wurde etwa, als 2005 Reinhard Borgmann,
       Redaktionsleiter des ARD-Politikmagazins „Kontraste“, mit
       staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert war. Auslöser war ein
       Kontraste-Beitrag über Vorfälle in einem Kinderheim des Deutschen Roten
       Kreuzes. Der Film veranlasste den damaligen Leiter der Einrichtung, bei der
       Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen Borgmann zu erstatten. Im Kern
       ging es um die Frage, ob der Anzeigensteller, der, ohne dass sein Name
       genannt wurde, im Beitrag acht Sekunden zu sehen gewesen war, eine relative
       Person der Zeitgeschichte ist. Es dauerte fünf Jahre, bis Borgmanns Anwälte
       einen Freispruch erwirkten.
       
       Schafft man es, den Druck außen vor zu lassen, hat man als Journalist
       natürlich immer die Option, eine Strafverfolgung als „Auszeichnung“ für die
       Brisanz der eigenen Arbeit aufzufassen. Daniel Harrich tut das. Aber nicht
       alle Kollegen, die derzeit von den Ermittlungen wegen der Recherchen zu
       Waffenexporten nach Mexiko betroffen sind, sehen das so. Eine Journalistin
       etwa möchte nicht, dass in den Berichten darüber ihr Name erwähnt wird.
       
       7 May 2016
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
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