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       # taz.de -- Matthias Machnig über TTIP: „Die EU hat klare rote Linien“
       
       > Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium verspricht: TTIP bringe
       > keine Absenkung von Standards im Umwelt-, Sozial- oder
       > Gesundheitsbereich.
       
   IMG Bild: Ist TTIP ein Trojanisches Pferd, wie Aktivisten am Freitag in Budapest suggerierten?
       
       In seinem Vorzimmer hängt ein Fanschal von Borussia Dortmund, Matthias
       Machnig ist ein Herzkammer-Typ für die SPD – und Staatssekretär im
       Bundeswirtschaftsministerium. Der Sauerländer gilt als ewiger Spindoktor
       der Partei – und als eine Art sozialdemokratische Geheimwaffe. Schließlich
       hat er 1998 für Gerhard Schröder den Wahlkampf geleitet. Jetzt muss Machnig
       sich mit einem für die Bundesregierung lästigen Thema rumschlagen: TTIP.
       Das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA hat es gerade besonders
       schwer.
       
       taz.am wochenende: Herr Machnig, ist TTIP noch zu retten?Matthias Machnig:
       Die EU ist mitten in einem schwierigen Verhandlungsprozess. Was jetzt durch
       TTIP-Leaks auf dem Tisch liegt, sind Forderungen, insbesondere von
       US-Seite. Forderungen sind noch lange keine Ergebnisse.
       
       Was haben Sie gedacht, als Sie in der Zeitung lasen, dass der drei Jahre
       lang streng geheim gehaltene TTIP-Verhandlungsstand durch das Leak
       öffentlich wurde? 
       
       Was vorliegt, ist eben kein Verhandlungsstand. Dass bei Verhandlungen auch
       Taktik eine Rolle spielt – Dinge gefordert werden, obwohl sie nicht
       durchsetzbar sind –, gehört dazu. Nach dem, was jetzt veröffentlicht wurde,
       kann man sich überhaupt noch kein Bild davon machen, wie das Abkommen
       einmal aussehen könnte.
       
       Von Horst Seehofer bis François Hollande wird die Kritik immer lauter. All
       die Versprechungen der Kommission, über Chlorhühnchen oder Genfleisch werde
       nicht verhandelt, klingen fragwürdig, wenn man liest, dass Autoexporte der
       Europäer gegen mehr Agrarexporte der Amerikaner ausgespielt werden sollen –
       ist das nicht ein absolutes PR-Desaster?
       
       Einen solchen Kuhhandel wird es nicht geben. Für die Verhandlungslinien ist
       die EU-Kommission verantwortlich. Dafür gelten rote Linien: Es wird keine
       Absenkung von Standards durch TTIP geben, weder im Umwelt-, noch im Sozial-
       noch im Gesundheitsbereich oder von Arbeitnehmerrechten oder sonst wo …
       
       … selbst Ärzteverbandschef Montgomery warnt vor einem „ McDonald ’
       s-Gesundheitssystem“ … 
       
       … wird es nicht geben! Das kann ich nicht nachvollziehen. Die Standards für
       das deutsche Gesundheitssystem werden nicht in Frage gestellt. Das
       europäische Vorsorgeprinzip bleibt erhalten. Wir wollen die öffentliche
       Daseinsvorsorge schützen, es wird keinen Zwang zur Privatisierung
       öffentlicher Einrichtungen geben. Wenn diese Leitplanken nicht beachtet
       werden, wird TTIP keine Mehrheit in den Parlamenten finden. Was nicht
       passt, wird nicht passend gemacht.
       
       Sie sind ja gelernter Wahlkampfmanager … 
       
       … ich bin Staatssekretär …
       
       … auf jeden Fall kampagnenerfahren. Kann man noch etwas tun, um die
       öffentliche Meinung zurückzuholen? 
       
       Die Debatte ist schwierig. Am Anfang hat es die Angst vor den
       US-Chlorhühnchen gegeben, obwohl es immer klar war und ist: Unter geltendem
       EU-Recht wird man die nie importieren können. Aber dann sind immer wieder
       neue „Chlorhühnchen“ auf die Tagesordnung gekommen.
       
       Sind das denn nur unberechtigte Ängste? 
       
       Beim Investitionsschutz, bei den Standards, bei der regulatorischen
       Kooperation, bei vielen anderen Themen ist immer klar definiert worden, was
       geht und was nicht. Das ist in den Mandaten für die EU-Kommission
       niedergelegt. Trotzdem wird eine Art Hase-und-Igel-Spiel veranstaltet: Es
       wird viel behauptet, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass es klare rote Linien
       für die EU gibt.
       
       Warum? 
       
       Weil unterstellt wird, das sind Geheimverhandlungen.
       
       Sie sind ja auch geheim. 
       
       Geheimverhandlungen wären Verhandlungen, von denen niemand etwas weiß. Das
       ist nicht der Fall. Aber solche Verhandlungen finden eben nicht vor
       laufenden Kameras statt. Es gibt viele Befürchtungen und Sorgen und
       Meinungen. Es gibt einen Generalverdacht, dass die USA ihre Forderungen
       einseitig durchsetzen werden. Das wird nicht passieren. Es ist schwierig,
       das auszuräumen. Fragen zu TTIP sind ausführlich beantwortet worden – und
       es ist trotzdem nicht erreicht worden, Akzeptanz zu schaffen. Es geht um
       Vertrauen, dass die Kommission solide verhandelt. Und darum, dass die
       demokratische Legitimation für das Abkommen zwingend ist.
       
       Die Transparenzfrage ist Ursprung des Misstrauens. Weil die Verhandlungen
       im stillen Kämmerlein stattfinden, glaubt die Öffentlichkeit an Mauschelei. 
       
       Das ist die Unterstellung. Dass Verhandlungen zwischen Regierungen aber
       nicht öffentlich stattfinden, ist nichts Ungewöhnliches. Stellen Sie sich
       mal vor, wir würden an Koalitionsverhandlungen dieselben
       Transparenzansprüche stellen wie an TTIP – dann würden diese nicht nur
       schwierig, sondern nahezu unmöglich. In Baden-Württemberg bildet sich
       gerade Grün-Schwarz. Wenn man ganz am Anfang die vorbereiteten Papiere der
       CDU-Seite und die der Grünen-Seite nebeneinandergelegt hätte, wäre man zu
       der Einschätzung gekommen: Diese Koalition wird nie zustande kommen. Ich
       stelle fest: Das Gegenteil ist der Fall.
       
       Die Vertrauenskrise ist nachvollziehbar. Private Schiedsgerichte, vor denen
       Investoren von Staaten Entschädigungen verlangen können, halten Kritiker
       für eine Aushebelung nationaler Rechte. Sigmar Gabriel betont, ihm sei es
       zu verdanken, dass es diese nicht geben werde. Aus den Leaks wird klar,
       dass darüber nicht mal gesprochen wurde. Das erscheint zumindest unlauter. 
       
       Was ist daran unlauter? Vor einem Jahr hat niemand in der EU außer dem
       Bundeswirtschaftsministerium das Thema Investitionsschutz kritisch gesehen.
       Mittlerweile haben wir erreicht, dass unser Modell eines bilateralen
       Handelsgerichtshofs im Mandat der EU verankert ist. Nicht nur für TTIP,
       sondern für alle künftigen Handelsabkommen. Es ist mittlerweile Teil von
       Ceta …
       
       … dem EU-Abkommen mit Kanada.
       
       Das hat sich durchgesetzt, weil die Kritik an TTIP in diesem Punkt
       berechtigt war und ist. Es sind nun rechtsstaatliche, finanziell
       kalkulierbare, transparente Verfahren zwingend, die von unabhängigen
       Richtern geführt werden – und nicht von Anwaltskanzleien. Wenn nicht, wird
       die EU nicht zustimmen können.
       
       TTIP zerreißt die SPD: Fraktionschef Oppermann sagt: „so nicht“, der
       Parteilinke Miersch will die Verhandlungen abbrechen, der
       SPD-Handelsbeauftragte des EU-Parlaments, Lange, glaubt nicht an einen
       Abschluss der Verhandlungen in diesem Jahr. 
       
       Das ist eine ganz andere Frage: Bei dem Stand, der heute erreicht ist, ist
       es völlig offen, ob es überhaupt zu einem Abkommen kommen kann. Bislang
       sind 17 von 25 Kapiteln erörtert worden, dazu liegen konsolidierte Texte
       vor. Dies sind noch keine verhandelten Texte, sondern es heißt nur, dass
       Angebote beider Seiten vorliegen. Also müssen noch für acht Kapitel
       Angebote ausgetauscht werden. Erst dann kann man bewerten, ob es überhaupt
       eine Chance auf Verständigung gibt.
       
       Unwahrscheinlich bis zur letzten Verhandlungsrunde im Juli. 
       
       Nein. Bis Ende des Jahres soll laut EU und USA verhandelt werden.
       
       Ist überhaupt klar, ob der oder die neue US-PräsidentIn das Abkommen will? 
       
       Welche Agenda die neue US-Regierung verfolgt, kann heute niemand sagen. Auf
       jeden Fall dauert es mindestens ein Jahr, bis die neue Administration die
       Prioritäten ihrer Politik definiert hat.
       
       Warum macht man keinen Schnitt und schließt mit dem ab, was da ist? 
       
       Eindeutig nein. Alle 28 EU-Staaten wollen, wenn, ein umfassendes und in
       zentralen Fragen klares Abkommen. Es wird kein TTIP light geben.
       
       Wieso eigentlich nicht? 
       
       Das ergibt keinen Sinn. Es wäre beliebig, wichtige Bereiche einfach offen
       zu lassen. Ein gutes Abkommen wäre das nicht.
       
       Wieso riskieren Sie für dieses Thema den fortschreitenden Bruch Ihrer
       ohnehin daniederliegenden Partei? 
       
       Die SPD liegt nicht danieder. Die SPD hat bei einem Konvent und bei ihrem
       Bundesparteitag ein inhaltliches Anforderungsprofil definiert. Das ist die
       Messlatte für TTIP. Daran wird sich die SPD orientieren. Am Ende
       entscheiden die Mitgliedsstaaten und Parlamente.
       
       Wie viele Leute müssen noch demonstrieren, damit die TTIP-Verhandlungen
       gestoppt werden? 
       
       Handelsabkommen brauchen Akzeptanz. Die gibt es bislang nicht ausreichend.
       Das nehme ich sehr ernst. Aber bislang gibt es gar keine Ergebnisse. Ich
       weiß nicht, ob TTIP am Ende Wirklichkeit wird.
       
       8 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
   DIR Kai Schöneberg
       
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