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       # taz.de -- Cristiano Ronaldo – eine Liebeserklärung: Er gelt. Er glänzt. Er irritiert.
       
       > Vergesst Messi. Cristiano Ronaldo liebt sich, liebt Dramatik. Er der
       > einzige Popstar der Fußballwelt und entscheidet Spiele mit seiner Frisur.
       
   IMG Bild: Cristiano Ronaldo beim Spiel gegen Manchester City. Welche Rolle seine Frisur wohl dabei spielte?
       
       Real Madrid steht im Finale der Champions League. Das ist schön, obwohl
       kein anderer Verein diesen Wettbewerb bereits so oft gewonnen hat. Denn das
       bedeutet: Es gibt noch ein Spiel mehr mit Cristiano Ronaldo.
       
       Jetzt wird es Leute geben, die sagen, oh my God, ein Finale mit Lionel
       Messi, mit dem sich Ronaldo Jahr für Jahr um den Titel des Weltfußballers
       streitet, wäre hübscher. Ronaldo hat einfach nur die Haare schön. So ist es
       immer. Der süße, mäusegesichtige Messi hat vielleicht ein paar Millionen
       Probleme mit der Steuer, aber hey, Cristiano Ronaldo gelt sich den Kopf.
       Auf ihn!
       
       Ronaldo, einer der besten Spieler der Welt, ist auch der meistverlachte,
       weil er – es ist so simpel – sich gerne im Spiegel anschaut, dramatisch
       gucken kann, ein Freistoßanlaufritual pflegt, das Assoziationen zu einem
       Kleinkind mit voller Windel weckt, und seine Selbstverliebtheit in einen
       albernen Torjubel übersetzt. Geht natürlich nicht, so was.
       
       In Fußballkneipen steigt daher verlässlich die Bierlaune, wenn Cristiano
       Ronaldo auf dem Platz etwas misslingt: Mag zwar in der Champions League
       schon wieder die meisten Tore geschossen haben, der alte Schleimbeutel,
       kann aber wirklich gar nix. Bei der Weltmeisterschaft 2014 schoss er einmal
       einen Freistoß punktgenau in die Einmannmauer der Deutschen. Da war was
       los.
       
       Aber es ist alles ein großes Missverständnis.
       
       In Cristiano Ronaldo sind der sportliche und der Unterhaltungscharakter des
       Spiels organisch vereint. Ihn zu verachten, ist, wie in ausgeleierter
       Skiunterwäsche auf der Couch zu sitzen, Erbsen aus dem Glas zu löffeln und
       dabei über Michael Jackson zu lästern. Total bescheuert.
       
       Nun ist es immer gut, einen Professor in der Hinterhand zu haben, wenn man
       sich gegen den Konsens stellt. Anruf bei der Deutschen Sporthochschule in
       Köln. Kann bitte jemand was zu Ronaldo sagen? Vermittelt wird der Kontakt
       zu: Professor Daniel Memmert vom Institut für Kognitions- und
       Sportspielforschung.
       
       ## Messi: trockenes Brötchen
       
       Übertüncht Ronaldo mit seinem dramatischen Gestus, dass er ein Rumpelfüßler
       ist? Memmert sagt: nein. „Er ist gewissenhaft und hat eine herausragende
       Schusstechnik.“ Er kenne die Kritik an Ronaldo. „Im Freundeskreis habe ich
       keinen einzigen Menschen, der sagt, er finde Cristiano Ronaldo gut.“ Wie
       der vor dem Freistoß dastehe, da kriegten viele Menschen zu viel. „Aus
       sportwissenschaftlicher Sicht aber“, sagt Memmert, „kann ich diese Meinung
       nicht nachvollziehen. Ronaldo hat mentale Rituale. Er misst die Schritte
       ab, seine Körpersprache zeugt vom Willen, ein Tor zu machen. Er macht in
       der Situation alles richtig.“
       
       Woher kommt die Häme selbst derer, die doch glauben, sie verstünden etwas
       von Fußball? Warum mögen sie Messi, dieses trockene Brötchen, und verachten
       Ronaldo?
       
       Die Antwort ist, dass Messi und Ronaldo unterschiedliche Startypen sind.
       Bei Messi sind Mensch und Fußballer getrennt. Bei ihm gilt der alte Satz:
       Was zählt, is aufm Platz. Nach dem Abpfiff ist er wieder ein Mann, bei dem
       jeden Tag Bad hair day ist. Einer von uns. Es ist einfach, ihn zu mögen, in
       Zeiten, in denen Stars beliebt sind, wenn sie den Anschein erwecken, man
       könne mit ihnen in Sachen Anzahl der Liebesbeziehungen pro Jahrzehnt
       mithalten.
       
       ## Ronaldo: Schampustrinker
       
       Cristiano Ronaldo dagegen ist der Typ Star, von dem man glauben würde, dass
       er zum Frühstück Schampus aus Lackstiefeln säuft. Der romantische Vorwurf
       an ihn lautet, er störe mit seiner Egozockerei die Reinheit des
       Mannschaftsspiels; sein Glamour beeinträchtige das Eigentliche. Das
       Gegenteil ist der Fall: Profifußball ist eine Unterhaltungsindustrie; die
       Show ist vom Spiel nicht zu trennen. Dafür steht Cristiano Ronaldo: für die
       transparente Zusammenführung der Ebenen.
       
       Man könne, sagt Daniel Memmert, nicht nur seine Taktik und seine Technik,
       sondern auch sein Auftreten als Talentfaktor betrachten: Der Glaube an
       sich, seine Präsenz, all das könne spielentscheidend sein. „Wir können
       experimentell nachweisen, dass Körpersprache eine Wirkung auf den Gegner
       hat.“
       
       Es ist also nicht nur für die Gala, sondern auch sportlich ein Unterschied,
       ob Ronaldo perfekt gegelt aufläuft oder wie Hausmeister Schluffikowski. Der
       VfL Wolfsburg hat das kürzlich in der Champions League mitbekommen. Ronaldo
       schoss drei Tore. Das entscheidende sah erst aus wie eines, das auch in der
       albanischen zweiten Liga mal fallen könnte. Er ballerte einen Freistoß
       irgendwie in die gegnerische Mauer. Die Wolfsburger Naldo und Josuha
       Guilavogui drehten sich im letzten Moment weg, der Ball ging exakt durch
       die Lücke, die sich zwischen ihnen auftat.
       
       Die Kollegen von Zeit Online schrieben: „Hätten Naldo und Guilavogui ihren
       Job gemacht, wäre der Freistoß wie beim Schülerfußball billig in die Mauer
       geprallt. Wie übrigens sehr oft bei Ronaldos Freistößen.“ Hm ja. Hier ist
       die Gegenthese: Ronaldo zwang Naldo und Guilavogui zum Fehler, weil er bis
       in die Haarspitzen ausstrahlt, dass er das Ding eh reinmacht. Daniel
       Memmert sagt es so: „Ronaldo ist perfekt gegelt, um perfekt zu spielen.“
       
       Man kann daher sagen, dass er der einzige Fußballer der Welt ist, der
       Spiele mit der Frisur entscheiden kann. Er irritiert. Er glänzt. Das macht
       ihn zum einzigen Popstar der Fußballwelt. Wenn er in zehn Jahren ein
       Schönheitssalonimperium gründet, dann sei es ihm von Herzen gegönnt.
       
       6 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Raab
       
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