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       # taz.de -- Amerika-Hass in der Flüchtlingsdebatte: George ist schuld
       
       > Fluchtursachen sind komplex. Doch Linke und Rechte suchen einfache
       > Erklärungen im Antiamerikanismus. Das ist falsch.
       
   IMG Bild: Eignet sich nach wie vor als Feindbild: der frühere US-Präsident George W. Bush (Archivbild, 2003)
       
       „Im Publikum sitzen rechte Reichsbürger“, warnt die Veranstalterin einer
       Lesung in Sachsen. Es geht um Flüchtlingspolitik und Kritik an der
       Abschottung Europas. Doch der befürchtete Widerspruch seitens der
       Reichsbürger bleibt aus. Hin und wieder nicken sie sogar. Erst am Ende
       kommen sie zur Bühne. „Alles ganz richtig“, sagen sie, „nur die wirklich
       Verantwortlichen – die hätten benannt werden müssen.“
       
       Im Anschluss übernehmen sie das gerne gleich selber. Die Szene wiederholt
       sich, wenn man Podiumsdiskussionen zur Flüchtlingsfrage besucht. Meist sind
       es ältere Herren, die sich zu Wort melden und zum Co-Referat ansetzen. Ihre
       Beiträge ähneln sich. Egal, ob sie sich als links oder rechts verstehen:
       „Die Verantwortlichen sind die USA und ihr globaler Krieg.“
       
       Die Vorstellung ist alt, aber heute beliebter denn je. Als im vergangenen
       Sommer die Flüchtlingszahlen stiegen, waren für Oskar Lafontaine die
       amerikanischen „Öl- und Gaskriege“ verantwortlich. Ebenso waren für Sahra
       Wagenknecht die „Interventionskriege“ der USA der Grund für die
       Flüchtlinge. Antiimperialistische Webseiten schrieben: „Hinter dem IS
       verstecken sich die Nato-Staaten, insbesondere die USA.“
       
       ## Flüchtlinge werden Objekte
       
       Je länger die Flüchtlingskrise dauert und je offensichtlicher ihre
       Komplexität wird, desto größer ist das Bedürfnis nach einfachen
       Erklärungen. Exakt dort treffen sich die linke und rechte Gedankenwelt:
       Flucht, egal ob vor Krieg, Verfolgung oder Armut, sei das Werk der USA.
       Rechte halten Merkel für die Handlangerin des amerikanischen
       Volkszerstörungsprojekts. Die Flüchtling seien demnach die ethnische Bombe,
       die die deutsche Nation endgültig erledigen soll. Und viele Linke sehen das
       Problem von Merkels Flüchtlingspolitik darin, dass sie die amerikanische
       Hegemonie nicht in Frage stellt.
       
       Einige Aktive aus Willkommensinitiativen sehen sich selbst als Opfer der
       amerikanischen Aggression: gezwungen, sich im Ehrenamt aufzureiben, um die
       schlimmsten Auswüchse der US-Kriege abzumildern.
       
       Flüchtlinge werden so zu Objekten. In dieser Logik sind sie unfähig, selbst
       zu entscheiden, ob sie sich gegen ihre Unterdrücker auflehnen oder ob sie
       in der Migration nach einem besseren Leben suchen wollen. Das negiert die
       Autonomie der Arabellion ebenso wie die der kurdischen Befreiungsbewegung.
       Die Vorstellung, dass die Staaten des Nahen Ostens unter inneren
       Widersprüchen leiden, die nicht erst die USA herbeibombten, hat keinen
       Platz in dieser Gedankenwelt.
       
       ## Das Werk Washingtons
       
       Dieses Denkmuster gab es zuletzt beim Libyenkrieg: Die
       „Lampedusa“-Flüchtlinge seien Opfer des Nato-Bombardements. Die
       jahrzehntelange Diktatur Gaddafis? Der Arabische Frühling? Der Bürgerkrieg?
       Egal. Allein das letzte Glied in der Kette, die Nato-Bomben, galten als
       Ursache.
       
       Ähnlich ist es bei Syrien. Viele vergessen, dass Deutschland ewig den
       Assad-Clan stützte. Ließ nicht auch Deutschland Syriens demokratische
       Opposition und die Kurden im Stich? Was ist mit der unheilvollen Rolle der
       Türkei, des Iran, Russlands und Saudi-Arabiens?
       
       Amerika-Hassern ist das egal. Die humanitäre Katastrophe deuten sie als
       Werk Washingtons. Unterstützen die USA Kurden beim Kampf um Kobane, ist das
       ein Weltordnungskrieg. Tun sie dies nicht, führen sie diesen Konflikt eben
       über heimlich aufgerüstete Stellvertreter aus.
       
       Doch nicht die USA vertreiben Menschen nach Europa. Fluchtursachen sind
       komplex. Viele überfordert es, das zu akzeptieren. Gedankenfaulheit,
       Ressentiments und Selbstgefälligkeit bestimmen das Amerika-Bild rechts wie
       links. Trumps Aufstieg wird dies verstärken.
       
       6 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
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