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       # taz.de -- Die taz lässt laufen: Jedermann-Rennen für Hunde: Oskar rennt
       
       > Zweimal im Jahr dürfen beim Windhundclub Weser alle Hunde auf die Strecke
       > gehen und einmal rennen wie ein Windhund.
       
   IMG Bild: Beim Jeder-Hund-Rennen in der Nähe vom Bremen dürfen auch Mini-Hunde mitmachen: taz-Hund Oskar soll sich schließlich auch mal fühlen wie ein Windhund.
       
       Hoope taz | Oskar kauert am Start. Bekleidet ist er mit einer roten
       Rennjacke, ordentlich gelabelt mit taz-Aufklebern. „Der nächste ist Oskar“,
       tönt es aus den Lautsprechern. „Er startet für die taz aus Bremen.“ Beifall
       brandet auf. Einer muss jetzt vorwegrennen, den Hund auf die Rennstrecke
       locken. Das hatte uns vorher niemand gesagt. Der Kollege läuft also los.
       Das Startsignal wird gegeben und dann passiert – nichts. Oskar geht ein
       paar Schritte. Kehrt um. Pinkelt gegen das Netz, das die Rennstrecke vom
       Publikum trennt. Das Publikum ist immer noch begeistert. Oskar auch, er hat
       eine nette Hündin gefunden und die beiden beschnüffeln sich ausgiebig
       hinter dem Startzelt.
       
       An Himmelfahrt findet in Hoope bei Wulsbüttel, etwa 40 Kilometer von Bremen
       entfernt, traditionell das Jeder-Hund-Rennen statt. Gastgeber ist der
       Windhundclub Weser, der hier sein weitläufiges Trainingsgelände hat.
       Zweimal im Jahr dürfen hier auch die Normalos an den Start gehen, am Tag
       der Deutschen Einheit und an Himmelfahrt.
       
       Das Motto lautet: Einmal rennen wie ein Windhund. Hier darf jeder Hund
       mitmachen, der eine gültige Tollwutimpfung vorweisen kann. Für die
       Startgebühr von acht Euro gibt es eine Packung Hundekekse, den Aufkleber
       mit der Startnummer und Gummibärchen und Hanuta für die Besitzer. Die Hunde
       werden nach Größe in Gruppen von XS bis XL eingeteilt. 94 Hunde wurden
       heute zum Start gemeldet. Jeder Hund läuft alleine über die Rennstrecke–
       wenn er denn läuft.
       
       Die Profis unter den etwa 450 Besuchern haben sich mit ihrer kompletten
       Picknickausrüstung direkt an der Absperrung zur Rennstrecke postiert. Dort
       sitzen sie auf Campingstühlen, auf den Klapptische stehen die Thermoskannen
       und Picknickkörbe, darunter liegen die Hunde. „Wir sind mit einem ganzen
       Trupp aus der Hundeschule hier, das macht echt Spaß“, sagt Sandra Bollmann.
       Ihr Hund Muffin ist der Vorjahres-Sieger aus der Gruppe L und liegt mit der
       Gelassenheit eines Champions neben ihr im Gras.
       
       Bollmann und ihr Hund arbeiten beide fürs Rote Kreuz. Muffin ist ein
       Therapiebegleithund für Demenzkranke. Der „Trupp“ aus der Hundeschule
       besteht fast nur aus speziell ausgebildeten Tieren. „Mal sehen, wie heute
       die Chancen sind“, sagt Bollmann und schaut sich um. Ein
       hyperventilierender Terrier liegt einige Meter weiter im Gras, die
       restliche Konkurrenz ist bunt gemischt: Vom Dackel bis zur Dogge ist alles
       vertreten.
       
       Nicole Dittrich von der Rettungshundestaffel Osterholz ist fast jedes Mal
       dabei, ihr Hund Flash hat schon sieben Pokale gewonnen. „Man braucht vorher
       eine Taktik“, erklärt sie. Ist der Hund verfressen, können Leckerlies
       helfen. Fallen eher Quietsche-Enten in sein Beuteschema, läuft man eben
       damit vorweg. „Wir machen es so: Am Start wird gequietscht, dann rennt mein
       Mann vor.“ Der protestiert, als seine Frau allzu bereitwillig ihr
       Erfolgsgeheimnis ausplaudert. Schließlich ist das Rennen noch nicht
       gelaufen, und man muss den anderen ja nicht noch Tipps geben.
       
       Heinz-Joachim Rohlfs ist seit sieben Jahren einer der Organisatoren des
       Jeder-Hund-Rennens. „Eins ist mal sicher: Die Leute mit den normalen Hunden
       sind mindestens so ehrgeizig wie die Windhundleute. Wenn nicht noch mehr.“
       Und tatsächlich ist die Renn-Atmosphäre ansteckend und selbst sonst völlig
       entspannte Hundebesitzerinnen mutieren plötzlich zu Eislauf-Muttis.
       
       Auch Oskar, der nicht einmal einen abgeschlossenen Hundeschulkurs vorweisen
       kann und auch ansonsten nicht zu Höchstleistungen motiviert wird, hat heute
       Morgen nur wenig zu fressen bekommen. Kurz vor dem Rennen geht es noch
       einmal in den nahen Wald. Kann ja nicht schaden, wenn der Hund so leer wie
       möglich ist vor dem Start.
       
       Die 100 Meter lange Rennstrecke ist fertig präpariert. Start- und
       Zieleinlauf sind mit Lichtschranken ausgerüstet, zur Sicherheit wird mit
       Stoppuhren eine zweite Messung durchgeführt. Hier wird nichts dem Zufall
       überlassen, ein letzter Maulwurfshaufen wird plattgemacht, damit kein Hund
       darüber stolpert.
       
       Rennleiter Manfred Bartnik begrüßt über das Mikrofon die Besucher. Er
       moderiert das Rennen, ruft die Startnummern und die Namen der Hunde auf und
       gibt das Signal: „Auf die Plätze, fertig, los!“ Der Starthelfer, der bis
       dahin den Hund festgehalten hat, gibt den Hund frei, der prescht los. Die
       Zuschauer jubeln und die Besitzer spornen ihre Hunde mit rudernden Armen
       und quietschendem Spielzeug an. Gestandene Erwachsene rennen vor ihren
       Tieren her und schreien: „Amyyyyyyy, koooooomm!!! Kooooomm!“ Die Stimmen
       überschlagen sich, die Geräuschkulisse ähnelt inzwischen einem
       Apachen-Angriff aus Winnetou I. Die Besitzer geben wirklich alles. Das
       Publikum feuert die Hunde an und kurz vor dem Ziel meist auch die Halter:
       „Schnell, der überholt dich gleich!“
       
       Zur Mittagspause werden die Ergebnisse des ersten Durchgangs ausgehängt.
       Gucci, Amy und Flower liegen in der XS-Gruppe, in der auch Oskar mitläuft,
       vorn. Der taz-Hund belegt einen sehr ordentlichen vierten Platz, was daran
       liegt, dass er nach dem verpatzten Anfang nochmal rennen durfte. Und
       diesmal wurde nichts dem Zufall überlassen, mit allen Mitteln gearbeitet:
       Leckerli direkt vor dem Start. Ein dezenter Hinweis, dass es noch mehr
       gibt, schließlich enthusiastisches Losrennen, Armrudern und Schreien –
       jetzt ist alles egal, es geht um die Ehre. Und tatsächlich, der Hund
       schafft die 100 Meter in 8,9 Sekunden und ist damit besser als
       Weltrekordhalter Usain Bolt. Geht doch.
       
       In der Pause zeigen die Windhunde, was sie können. Der 1996 gegründete
       Windhundclub Weser ist einer von 45 Windhundvereinen in Deutschland. Die
       meisten Mitglieder kommen aus Niedersachsen und Bremen, aber zum Beispiel
       auch aus den Niederlanden. Das Gelände ist riesig, die Windhunde können
       hier in einem Parcours trainieren, „Coursing“ genannt. Da wird an einer
       Seilwinde ein flatternder gelber Fetzen befestigt, der aussieht wie ein
       Wischmob. „Bei Windhunden muss immer was vorwegflattern, sonst sind die
       nicht so schnell“, sagt Rohlfs, der Besitzer eines Afghanen ist. Die
       sehnigen Tiere rasen über das große Gelände dem gelben Fetzen hinterher.
       Davon können die Jeder-Hunde nur träumen. Ihre Besitzer nutzen die Pause
       für Bratwurst und Pommes und schauen sich das Windhund-Spektakel an.
       
       Anschließend machen sich alle bereit für den zweiten und letzten Durchgang
       des Tages. Da alle Hunde einzeln laufen und die Teilnehmerzahlen zuletzt
       „geradezu explodiert sind“, wie Rohlfs sagt, dauert die Veranstaltung
       inzwischen fast den ganzen Tag. Zur Motivation sind vor dem Siegertreppchen
       schon die Preise aufgebaut worden. Die Pokale glänzen golden in der Sonne,
       riesige Futtersäcke des Sponsors sind um den Tisch gruppiert.
       
       Nicole Dittrichs Taktik ist wieder aufgegangen: Ihr Hund Flash kriegt als
       Tagesschnellster eine Medaille um den Hals gehängt und einen glänzenden
       Pokal für die Sammlung zu Hause. taz-Hund Oskar verteidigt seinen soliden
       vierten Platz und erhält dafür eine Urkunde. Stolz sieht er nicht aus, aber
       zufrieden. Die rote Rennjacke ist ein bisschen ausgefranst, seine
       taz-Aufkleber hat er längst verloren. Das verleiht ihm einen Hauch von
       Anarcho-Look. Steht ihm.
       
       8 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karolina Meyer-Schilf
       
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   DIR Tierschutz
       
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