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       # taz.de -- Ausstellung im „Tennis Café“: Dilettanten für alles Mögliche
       
       > Die Musiker Hendrik Otremba und Nagel können auch bildende Kunst. Sie
       > zeigen Porträts in einem neuen Neuköllner Café.
       
   IMG Bild: Hat einen Faible für historische Figuren: Hendrik Otremba
       
       Es wird in diesem kleinen Text um Punk und Kreation, um „Do it yourself“
       und Dilettantismus, um Film und Fanzines, um Kompaktkassetten und Romane,
       um Tusche und um Aquarelle und um die beiden Künstler Hendrik Otremba und
       Thorsten Nagelschmidt gehen, den alle nur als Nagel kennen. Und irgendwie
       wird es auch um Tennis gehen. Daher ist man gut beraten, zunächst etwas
       Ordnung in diese Geschichte zu bringen.
       
       Tennis ist der Name des frisch eröffneten Neuköllner Cafés, in dem derzeit
       Hendrik Otremba und Nagel ihre Aquarelle (Ersterer) und Linoldrucke
       (Letzterer) ausstellen. Beide Künstler haben einiges miteinander gemein:
       Sie sind eher als Musiker denn als bildende Künstler bekannt – Otremba ist
       Sänger der Gruppe Messer, die mit Postpunk-Sound bekannt wurde, Nagel war
       jahrelang Gitarrist und Frontmann bei Muff Potter.
       
       Beide lebten eine Weile in Münster und leben heute in Berlin, sie eint eine
       gewisse Kunstbetriebsferne. Beide sind Do-it-yourself-Allroundkünstler
       oder, wie Hendrik Otremba es beim Gespräch im Café Tennis mal
       übergangsweise nennt, „Dilettanten für alles Mögliche“.
       
       ## Düster und dionysisch
       
       Wie viel im Zuge des Dilettierens so entstehen kann, sieht man, wenn man
       mit dem 31-Jährigen einen kleinen Rundgang durchs Café macht und er seine
       Porträts erläutert. Otremba hat ein Faible für historische Figuren – meist
       Künstler – mit abgründigen, rätselhaften, kaputten Biografien.
       
       Zum Beispiel zeigt er in Neukölln sein Porträt des japanischen Künstlers
       und politischen Wirrkopfes Mishima Yukio, der 1970 durch einen
       ritualisierten Selbstmord (Seppuku) starb und dessen wahnwitziger
       Lebenslauf bereits in japanischen Filmen thematisiert wurde.
       
       Man trifft in der Gemäldereihe auf Figuren wie den russischen Politiker,
       Terroristen und Autor Boris Sawinkow, aber auch auf Charles Bronson – Filme
       sind wichtige Inspirationsquellen für den aus dem Ruhrgebiet stammenden
       Otremba. Dabei gelingt es ihm mit seinen farbigen Aquarellen, das Düstere,
       Beschädigte, auch das Janusköpfige an diesen Figuren herauszuarbeiten.
       
       Nagel zeigt ebenfalls Porträts, und auch seine Figuren sind der Sphäre des
       Dionysischen zuzuordnen. Im Kontrast aber wirken die von ihm ausgewählten
       Charaktere um einiges vitaler und dem Leben zugewandter (viele Motive sind
       aus seiner „Raucher“-Reihe). Süchte, Künste, Leidenschaften, Sex sind die
       Themen in den überwiegend kleinformatigen Porträts des 39-jährigen
       Musikers, Autors und Künstlers.
       
       ## Tape-Veröffentlichung
       
       Parallel zur Ausstellung veröffentlicht Messer-Sänger Otremba eine
       Kassette, die im Package mit einem von ihm erstellten Fanzine und einem mit
       Siebdruck gestalteten Umschlag erscheint. Das Fanzine enthält
       Textfragmente, Gedichte und Songtexte.
       
       „Ich hatte ein paar Mammutprojekte hinter mir“, sagt Otremba, der gerade
       einen Roman geschrieben und mit Messer ein neues Album aufgenommen hat,
       „jetzt wollte ich etwas machen, wo man nicht gleich Verwertungsstrategien
       im Kopf hat, wie es bei anderen Projekten zwangsläufig der Fall ist.“
       
       Schön „schmutzig“ klinge die Kassette nun, „contre le perfectionnisme“, mit
       naivem Zugang – und genau so sollte es auch sein. Das Tape ist fast im
       Alleingang entstanden, nur Messer-Gitarrist Milek und Philipp Hülsenbeck
       (Sizarr) haben mitgewirkt.
       
       Um Songs im eigentlichen Sinne handelt es sich bei dieser knappen halben
       Stunde Musik nicht, eher sind es Fragmente und nicht verwirklichte
       Messer-Songskizzen, die ineinander überfließen. Wie bei Messer singt oder
       spricht Otremba dazu klinisch-kühl, an die Wave-Bands der Achtziger
       gemahnend. Musikalisch ist „Drek“ – so der Titel des Tapes – sehr
       vielfältig: Repetitives Geplucker zu Sprechgesang ist genauso zu hören wie
       Klangminiaturen, quietschende Synthies und schräge Geräusche wie schöne
       Gitarrenmelodien.
       
       Auch das mag dann irgendwie dilettantisch sein – aber es versprüht auch den
       unbedingten und kraftvollen Charme des Spontanen.
       
       19 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
       ## TAGS
       
   DIR Postpunk
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