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       # taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Zensur hat eine lange Tradition
       
       > Erdoğan versucht zu vermeiden, dass Journalisten seine Machenschaften
       > aufdecken. Dabei greift er zu rechtswidrigen Methoden.
       
   IMG Bild: Demonstration nach der Verhaftung des Cumhurriyet-Chefredakteurs Can Dündar in Istanbul
       
       [1][Yazının Türkçesi için lütfen buraya tıklayın.] 
       
       Pressefreiheit ist in der Türkei auch ein historisch gewachsenes Problem.
       Bereits als 1831 die erste Tageszeitung erschien, waren die JournalistInnen
       niemals wahrhaft frei und unabhängig. Sie wurden vom Sultan bezahlt.
       Journalismus war Staatsangelegenheit.
       
       Selbst heute, 185 Jahre später, hat sich die Lage nicht wesentlich
       geändert: Noch immer sind die türkischen Medien weder frei, noch
       unabhängig. Das zeigt der Blick auf die Eigentumsverhältnisse der
       Medienunternehmen. Bei fast 90 Prozent gibt es eine direkte oder indirekte
       Verbindung zur Regierung.
       
       Um zu verhindern, dass Nachrichten verbreitet werden, die ihm schaden
       könnten, übt Erdoğans Palast mit meist rechtswidrigen Methoden enormen
       Druck auf die Medien aus. Zum einen durch klassische Zensur. Aber auch
       durch ein Klima, in dem sich Medienschaffende selbst zensieren.
       
       Regimetreue Unternehmen kaufen sich darüber hinaus in Medienunternehmen
       ein. So wurden etwa 2007 die Kredite des Privatsenders ATV und der
       Tageszeitung Sabah, die ihnen zuvor staatliche Banken gewährt hatten, auf
       die Çalık-Gruppe übertragen, eine private Baufirma, die dem Ehemann von
       Erdoğans Tochter, dem späteren Energieminister unterstand.
       
       Regierungsmedien wiederum – so genannte Pool-Medien – werden aus einem Topf
       finanziert, der von loyalen Geschäftsleuten getragen wird. Das Geld dafür
       stammt aus Ausschreibungen, die die Regierung den beteiligten Bauvorhaben
       zuvor zugespielt hatte. Auch Steuerstrafen sind ein Mittel, um Medien auf
       Regierungskurs zu bringen.
       
       Zuletzt machte sich die Regierung geltendes Zivilrecht zunutze und setzte
       Treuhänder ein, um die Medien der konservativ-islamischen Gülen-Gemeinde
       unter Kontrolle zu bringen. Fetullah Gülen, ehemals Verbündeter Erdoğans,
       ist mittlerweiler einer seiner Hauptgegner geworden.
       
       Mithilfe der staatlich eingesetzten Treuhänder wurden die Unternehmen unter
       Zwangsverwaltung gestellt und so mundtot gemacht. Diese Methode missachtet
       nicht nur die Pressefreiheit, sie verletzt auch das Eigentumsrecht.
       
       Die Treibjagd gegen Journalisten, die im Interesse der Öffentlichkeit über
       Machenschaften der Machthaber berichten, geht weiter. Laut einer von der
       türkischen Journalistengewerkschaft veröffentlichten Bilanz wurden seit dem
       Gezi-Aufstand 2013 bis heute 247 Journalisten entlassen oder gezwungen zu
       gehen.
       
       ## Scheiben eingeschlagen
       
       Investigativjournalisten wie Can Dündar und Erdem Gül von der Cumhurriyet
       wurden der Spionage bezichtigt und inhaftiert. Und Reporter der kurdischen
       Tageszeitung Özgür Gündem, sowie der kurdischen Nachrichtenagenturen DIHA
       und ANF wurden der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation beschuldigt
       und festgenommen.
       
       Selbst die populäre Zeitung Hürriyet blieb nicht von den Übergriffen der
       Regierung auf oppositionelle Medien verschont. Eine von einem
       AKP-Abgeordneten angeführte Horde von AKP-Anhängern attackierte das Gebäude
       der Zeitung und schlug die Scheiben ein.
       
       Später wurde Ahmet Hakan, ein Hürriyet-Kolumnist, vor seinem Haus
       zusammengeschlagen. Selbst Kolumnisten der regierungsnahen Presse, die
       nicht voll hinter Erdoğan stehen, verloren ihre Jobs.
       
       Um jede Art Kritik zu unterbinden, werden KritikerInnen als
       „Präsidentenbeleidiger“, „Parallele“ (d.h. Gülen-Anhänger), „Gezi-Anhänger“
       oder „Terroristen“ abgestempelt und angezeigt. Weil auch die Justiz in der
       Türkei nicht frei und unabhängig ist, werden so Tausende Bürger zu
       Verdächtigen und Straftätern gemacht. Weil sie Erdoğan den Gehorsam
       verweigen, und weil sie Frieden und Demokratie für das Land fordern.
       
       ## Schwerwiegende Vorwürfe
       
       Warum nun übt Erdoğan so massiven Druck auf die Medien aus? Gegen den
       Staatspräsidenten liegen schwerwiegende Vorwürfe vor. Sie reichen von
       Waffenlieferung an Dschihadisten in Syrien bis hin zu Bestechung und
       Korruption, wie im Dezember 2013 durch Telefonmitschnitte öffentlich wurde.
       
       Ebenfalls auf seine Rechnung gehen organisierte Massaker in den kurdischen
       Provinzen bis hin zur Verletzung des Rechts auf Leben und der Freiheit auf
       Meinungsäußerung von Hunderten BürgerInnen, Linke, DemokratInnen und
       AlevitInnen.
       
       Würden sich unabhängige Medien und anschließend unabhängige Gerichte mit
       diesen Vorwürfen befassen, könnte das bedeuten, dass Erdoğan sich vor
       internationalen Gerichten oder auch vor dem höchsten Gericht der Türkei
       verantworten muss. Er könnte also seine Macht verlieren. Deshalb versucht
       Erdoğan sämtliche Einrichtungen im Land, darunter auch die Medien, zu
       kontrollieren und, nicht genug damit, auch gegen kritische Medien im
       Ausland vorzugehen.
       
       2 May 2016
       
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