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       # taz.de -- Kommentar Barrierefreiheit: Man wird behindert
       
       > Behinderte stoßen überall auf Barrieren – besonders in den Köpfen der
       > Politiker. Es braucht ein radikales, umfassendes Teilhabegesetz.
       
   IMG Bild: Rollstuhlfahrer in der Öffentlichkeit: mehr Schatten als Licht
       
       Es gibt Dinge, die machen einen rasend. Bordsteinkanten zum Beispiel. Oder
       diese pittoresken Treppenstufen vor nahezu jedem Altbau. Als Fußgänger
       hüpft man ja gern darüber weg. Aber man muss nicht einmal versuchen, sich
       in die Lage eines Rollstuhlfahrers, einer Blinden hineinzuversetzen – das
       klappt eh nicht. Es reicht schon, eineN von ihnen im Alltag zu begleiten,
       schon kocht man vor Wut.
       
       Denn plötzlich tun sich überall Hürden auf. Die Stufe vor der
       Lieblingskneipe. Die Treppe in den Kinosaal. Die zugeparkte
       Bordsteinabsenkung. Der Weg hoch in die eigene Wohnung. Man wird:
       behindert. Nicht weil man seine Körperteile nicht so benutzen kann wie
       andere. Sondern weil sich an viel zu vielen Orten viel zu wenig Gedanken
       darüber gemacht wurden, wie Behinderte sich dort bewegen sollen.
       
       Das ist letztlich nicht überraschend, denn das mit dem Hineinversetzen in
       die Rolle des Rollifahrers – siehe oben – ist schwer. Und selbst wenn ein
       Nichtbehinderter alle möglichen Wünsche des Rollstuhlfahrers beachtet,
       vergisst er doch die speziellen Bedürfnisse der Tauben, Blinden,
       Amputierten, Spastiker.
       
       Genau deshalb braucht es ein Teilhabegesetz, das in aller Radikalität
       Vorgaben macht. Nicht nur, wie derzeit geplant, für Behörden, Schulen,
       Bahnhöfe, sondern gerade auch für privat errichtete Häuser und für alle
       neuen Geschäfte.
       
       Man muss und kann nicht jeden Altbau umrüsten. Doch jede neu angelegte
       Stufe, jede zu schmale Tür, jede vergessene Behindertentoilette bedeutet
       mindestens 50 weitere Jahre ein unüberwindbares Hindernis. Und davon gibt
       es wahrlich genug.
       
       Ja, das ist mit Kosten verbunden. Ja, es überrascht wenig, dass
       Privatinvestoren jammern. Ja, vielleicht kann man da über finanzielle
       Unterstützung durch den Staat nachdenken. Aber wirklich hilfreich ist nur
       eins: ein Teilhabegesetz, das barrierefreies Bauen als Normalzustand
       festschreibt. Schließlich kann es spätestens im Alter jeden von uns auch
       persönlich betreffen. Und wer unbedingt dennoch Barrieren bauen will, kann
       sich das dann ja gesondert genehmigen lassen.
       
       Die größte Barriere in Deutschland ist leider immer noch das Brett vorm
       Kopf der verantwortlichen Politiker. Aber man muss die Dinge positiv sehen:
       Nimmt man das Brett erst mal ab, wird daraus schnell eine Rampe.
       
       12 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gereon Asmuth
       
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