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       # taz.de -- Die Wahrheit: Dies ist kein Liebeslied
       
       > Absonderliche Sexualität: Neueste Varianten der erstaunlichen
       > Geschlechtlichkeit treiben ihr Unwesen in der Gesellschaft.
       
   IMG Bild: Das muss verdammt guter Sex der absonderlichsten Art sein
       
       In alten Zeiten war es für die Menschen überlebensnotwendig, auf keinen
       Fall die allgemeinen Konventionen zu verletzen. Denn Außenseiter wurden aus
       dem Dorf gejagt und dann im Wald von wilden Tieren zerrissen.
       
       Doch heutzutage gilt genau das Gegenteil: Distinktion um jeden Preis, sonst
       geht man in der Menge unter. Wer nicht auffällt, zieht im Kampf um Likes,
       Jobs und vor allem Sexualpartner den Kürzeren. Und zur Not lassen sich die
       so wichtigen Alleinstellungsmerkmale ja auch konstruieren.
       
       So macht seit geraumer Zeit der Begriff „Sapiosexualität“ (von lat.:
       „sapere“ = wissen) die Runde ([1][sogar die taz berichtete]). Sapiosexuelle
       reklamieren für sich die therapiebedürftige Vorliebe, sich auch von Witz
       und Geist einer Person angezogen zu fühlen, anstatt nur von deren Aussehen.
       
       Also im Gegensatz zu normalen Menschen, die selbstverständlich wissen,
       dass, wer mit jemandem wie ihnen ins Bett geht, schwerlich alle Tassen im
       Schrank haben kann. Die Schlauficker wischen nur noch Brillenträger nach
       rechts, die Kritik der reinen Vernunft ist ihnen aufregender Dirty Talk.
       Intelligenz wird als schriller Fetisch hart an der Grenze zur Perversion
       verhandelt.
       
       ## Sapiosexuelle treffen sich heimlich
       
       In kulturell konservativeren Gesellschaften wird man für die Ausübung solch
       unappetitlicher Praktiken nach wir vor ausgegrenzt. Sapiosexuelle treffen
       sich dort heimlich in Schachclubs und auf Leseabenden. Ganz anders in den
       urbanen Milieus mitteleuropäischer Prägung: Hier übertrumpft man sich
       gegenseitig mit immer tolleren Volten eskapistischen Schweinkrams.
       
       So haben einige – man kann das bei aller Aufgeschlossenheit nicht anders
       nennen – abnorme Freaks die Comissexualität (von lat.: „comis“ = nett,
       freundlich) für sich entdeckt. Sie finden nette Leute geil. Während
       harmlose Sonderlinge gesellschaftsverträglich im stillen Kämmerlein auf mit
       eigenem Kot gefüllte Suppenteller ejakulieren, senden Comissexuelle
       einander in aller Öffentlichkeit dreiste Erkennungssignale: Hier ein
       Lächeln, da ein freundliches Zwinkern, und haben sich auf diese Weise zwei
       dieser paraphilen Monster gefunden, dann geht die Post erst so richtig ab:
       Blumen, Geschenke, Komplimente. Häufig werden leider auch triebgesunde
       Unbeteiligte angelächelt und so in das ekelhaften Treiben mit
       hineingezogen. An dieser Stelle hört der Spaß dann spätestens auf, wenn aus
       einer bizarren Neigung eine massive Belästigung für andere erwächst.
       
       Und es geht immer noch schlimmer. So munkelt man in feuchtfröhlichen
       Runden, da zu später Stunde der Anstand für Sensationslust und frivolen
       Tratsch das Feld räumt, von sogenannten Anthroposexuellen (von altgriech.:
       „anthropos“ = Mensch), die geschlechtlich ausschließlich auf Menschen
       fixiert sind. Im Kontakt mit Gegenständen, Pflanzen und selbst attraktiven
       Tieren bleibt es hingegen in der Buxe trocken. Einige Sexualwissenschaftler
       möchten daher Sapio- und Comissexuelle bloß als Unterarten einer zuvorderst
       anthroposexuellen Orientierung sehen, eine Kategorisierung, die in jedem
       Fall auf Homo- und auf Heterosexuelle zutrifft.
       
       ## Heterosexuelle erfinden aggressive Lügenkonstrukte
       
       Während die Homosexualität (von altbulg.: „homo“ = schwul) mit ihrer Liebe
       zum gleichen Geschlecht und damit Ebenbild wenigstens noch einer
       rudimentären Restlogik folgt, sehen sich Heterosexuelle (von altgriech.:
       „heteros“ = der andere, ungleich) im ausweglosen Strudel ihrer
       widernatürlichen Zwangshandlungen gefangen, deren Hauptleidtragende sie
       natürlich selber sind – das sollte bei allem Schaden, den auch die
       Gemeinschaft davonträgt (Kinder, Liebeslieder, Mord und Totschlag) nicht
       vergessen werden.
       
       Der Rechtfertigungsdruck, unter dem Heterosexuelle stehen, lässt sie –
       Angriff ist die beste Verteidigung – aggressive Lügenkonstrukte wie
       Religion und Familie zur Rechtfertigung ihrer Präferenzstörung erfinden,
       die – man höre und staune! – in der Anziehung durch das jeweils andere
       Geschlecht besteht.
       
       Denn wie jedes Kind weiß, stehen sich hier zwei unversöhnliche Antagonisten
       gegenüber: Zum einen die Frau mit ihrer Hysterie, die weder durch Lobotomie
       noch Abspritzen mit eiskaltem Wasser einzudämmen ist, zum anderen der
       maulfaule Mann mit seinem selbstherrlichen Besitzanspruch auf alles Lebende
       und Tote. Wie vernünftig erscheinen im Vergleich Nekrophilie (von
       altgriech.: „nekros“ = Leiche), Kannibalismus oder Litterasexualität (von
       lat.: „littera“ = Buchstabe, Alphabet), der Sex mit Büchern.
       
       Kein Wunder, dass sich Heterosexuelle nur noch auf Schmutzportalen wie „Er
       sucht sie“ oder „Sie sucht ihn“ im Blacknet treffen, einem geheimen
       Nebenzweig des Darknets, den man nur mithilfe eines Passworts betreten
       kann, das man den gellenden Flüchen einer auf dem Scheiterhaufen brennenden
       Hexe entnommen hat. Da wendet sich jeder mit Schaudern ab, der doch einfach
       nur ein bisschen Nähe, Wärme, Liebe sucht: Nein danke, dann schon lieber
       sapiosexuell.
       
       13 May 2016
       
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