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       # taz.de -- Lucky Luke wird 70: Schießt immer noch schneller
       
       > Die Ausstellung „Going West!“ dokumentiert über 100 Jahre Western-Comic
       > und feiert seinen größten Star: Cowboy Lucky Luke wird 70.
       
   IMG Bild: Fluppe im Mundwinkel, kopfüber aufm Pferd, Knarre in der Hand: alles kein Problem für Lucky Luke
       
       Lucky Luke, der Comicheld, der schneller zieht als sein Schatten, wird
       dieses Jahr 70 Jahre alt. Sein Schöpfer, der Belgier Maurice de Bevere
       alias Morris, veröffentlichte erstmals 1946 im Jahresalmanach der
       Zeitschrift Spirou eine Episode um den einsamen Cowboy. Es war der Beginn
       einer langen Comickarriere. Morris starb 2001, seine berühmteste Figur lebt
       jedoch fort, stilgetreu weiter gezeichnet von dem Franzosen Achdé (Hervé
       Darmenton).
       
       Der jüngste Band, „Martha Pfahl“, richtet sich an jüngere Leser. Er erzählt
       von Lucky Kid, der kindlichen Version des Meisterschützen. Die einseitigen
       Strips enthalten lehrreiche Fußnoten über den „echten“ Westen. Für Kenner
       früherer, insbesondere der von René Goscinny („Asterix“) geschriebenen
       Abenteuer erreichen die Achdé-Bände jedoch nicht deren Niveau.
       
       Morris hatte in „Lucky Luke“ annähernd die gesamte Vielfalt des
       Westerngenres abgebildet und geistreich karikiert. Reale Verbrechermythen
       wurden verarbeitet – von der Daltonbande über Calamity Jane hin zum
       selbsternannten Richter Roy Bean – und zahlreiche Westernphänomene
       thematisiert: Goldrausch, Konflikte mit Indianern, technische Entwicklungen
       wie Eisenbahn- oder Telegrafenbau.
       
       Während in der südfranzösischen Stadt Angoulême eine große
       Morris-Ausstellung das Jubiläum feiert, kann man im Deutschen
       Zeitungsmuseum des saarländischen Städtchens Wadgassen die Ausstellung
       „Going West!“ besuchen, die das Thema Western im Comic umfassend
       beleuchtet. Sie ist nicht nur für Westernfans eine Reise wert. Kurator
       Alexander Braun hatte bereits 2012 mit einer Winsor McCay gewidmeten
       Wanderausstellung Standards für die Präsentation und historische Einbettung
       von Comics gesetzt. Auch diesmal gelingt ihm eine differenzierte Schau, die
       allzu naheliegende Klischees vermeidet. Besonders sinnfällig im Ambiente
       des Zeitungsmuseums erscheint die große Auswahl an Originalseiten früher
       US-Zeitungsstrips.
       
       ## Er liebte die Wüste als Motiv
       
       Der Western spielte anfangs als Genre noch keine herausragende Rolle wie
       etwa im Groschenroman und im Film. Eine Großstadtkulisse war für den
       Slapstickhumor der meisten Comics passender. Allmählich entdeckten Zeichner
       die visuellen Attraktionen des Westens als Motive, wie das Monument Valley
       oder die Mammutbäume Kaliforniens. So verortet George Herriman die
       tierischen Protagonisten seines absurd-komischen „Krazy Kat“-Strips (ab
       1913) in einer surrealen Westernlandschaft.
       
       Besonders intensiv widmet sich Braun der Darstellung der Ureinwohner. Auf
       einer Sunday-Page von Winsor McCays „Little Nemo“-Strip aus dem Jahr 1910
       werden Indianer – in Analogie zu vorher abgebildeten Raubtieren – als
       gefährliche Wilde vorgeführt. Richard Outcault hingegen porträtierte in der
       beliebten Lausbubenserie „Buster Brown“ bereits 1908 auf für die damalige
       Zeit ungewöhnlich differenzierte Weise die Lebensumstände der
       Puebloindianer in New Mexico und lässt die blonde Titelfigur wie
       selbstverständlich mit Indianerkindern kommunizieren.
       
       A. T. Crichtons Strip „Little Growling Bird in Windego Land“ (1906–07) war
       der erste Comic, der eindeutig dem Westerngenre zuzuordnen ist. Er handelt
       von einem kleinen Indianerjungen und zeugt von intimer Kenntnis des
       Zeichners von der Lebenswirklichkeit der Anishinabe im Nordosten der USA.
       James Swinnerton liebte die Wüste als Motiv, machte Skizzen vor Ort und
       stellte in seiner Serie „Canyon Kiddies“ (ab 1922) Indianer ebenfalls in
       den Mittelpunkt. Unter anderem lässt er Kachinageister der Puebloindianer
       (in der Ausstellung auch als indianische Holzpuppen zu sehen) in den
       Geschichten auftreten, um authentische Riten des Stamms wiederzugeben.
       
       ## Bécassine kennt keine Angst
       
       Hal Fosters „Prince Valiant“ (Prinz Eisenherz), eigentlich ein Ritter von
       König Artus’ Tafelrunde, entdeckt bei der Verfolgung eines Wikingerstammes
       bereits um 458 n. Chr. wie nebenbei Amerika. Im Jahr 1947 gab Foster damit
       erstmals – auf naturalistisch gezeichnete Weise und bis in kleinste Detail
       recherchiert –, ethnologisch genau indianische Gebräuche wieder, würdigte
       etwa deren Fertigkeiten im Hausbau oder deren Kampfspiele wie Lacrosse.
       Erstaunlich auch, dass Foster Indianer als den Rittern ebenbürtig
       porträtierte, die nicht kriegerischer erscheinen als andere Zivilisationen
       und offen für kulturellen Austausch sind.
       
       Trotzdem waren derart seriöse Darstellungen eher die Ausnahme. In
       US-Comicheften der 1940er bis 1960er Jahre wurden aus Radio oder Kino
       beliebte Figuren („Rauchende Colts“, „Lone Ranger“) übernommen, die
       publikumswirksam auf triviale Rollenmuster im Stile von Edelwestern
       zurückgriffen. In Europa reiste die unbekümmerte bretonische Comicheldin
       „Bécassine“ von Joseph Pinchon schon 1923 zu Indianern. Sie kennt keine
       Angst vor der fremden Kultur, studiert vor allem deren Küche und kann die
       Magenschmerzen des Häuptlings mit Pfefferminzöl heilen.
       
       Während „Tim und Struppi“-Erfinder Hergé in seiner Serie über den
       Pfadfinder „Totor“ (1926–29) Indianer noch als grausame Wilde zeichnete,
       zeigte er bereits wenige Jahre später (1931/32) in „Tim in Amerika“
       Empathie für die damalige desolate Situation der Ureinwohner, was äußerst
       ungewöhnlich zu dieser Zeit war. Auf einer einzigen Seite gelingt Hergé
       eine geniale satirische Zuspitzung des unbarmherzigen kapitalistischen
       Systems der USA: Nachdem auf trockenem Indianerland Erdöl gefunden wurde,
       werden die Ureinwohner mit Waffengewalt verjagt. Über Nacht wird eine
       moderne Großstadt hochgezogen.
       
       Ab den 1960er Jahren begannen zahlreiche europäische Comicautoren, das
       Thema Western ernst zu nehmen und schufen zunehmend moderne Erzählungen mit
       weniger heldenhaften als ambivalenten Charakteren.
       
       ## Schmuddelige Ästhetik der Italo-Western-Filme
       
       Der italienische Zeichner Hugo Pratt zeichnete (zunächst noch in
       Argentinien) historisch genaue Indianergeschichten wie „Ticonderoga“ oder
       „Wheeling“ vor dem Hintergrund der Zeit der Pilgerväter, der Kolonialkriege
       und des Unabhängigkeitskriegs – bislang wenig beachtete Epochen.
       
       Im frankobelgischen Raum erzählten Zeichner Jean Giraud und sein Szenarist
       Jean-Michel Charlier mit „Leutnant Blueberry“ realistisch aus der Zeit des
       amerikanischen Bürgerkriegs, während die „Comanche“-Comics von Hermann/Greg
       die schmuddelige Ästhetik der Italo-Western-Filme aufgriffen.
       
       Und der Schweizer Derib interessierte sich in den 70er Jahren, angeregt
       durch die Hippie-Bewegung, für den Überlebenskampf eines einfachen Trappers
       in der rauen Bergwelt der Rocky Mountains („Buddy Longway“) und schuf mit
       dem Indianerjungen „Yakari“ eine beliebte Identifikationsfigur für Kinder.
       
       Alexander Braun hinterfragt in der Ausstellung und in dem exzellenten
       Katalog die amerikanischen Mythen und stellt den vielfältigen
       Comicexponaten historische Fotografien zur Seite, die von der unglamourösen
       Härte des Lebens im damaligen Westen erzählen.
       
       21 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralph Trommer
       
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