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       # taz.de -- Debatte Wahl in Österreich: Die trostlose Avantgarde
       
       > Der Erfolg der FPÖ in Österreich zeigt, dass die Rechte auch im Westen
       > nach der Macht greifen kann. Die Linke ist sprachlos.
       
   IMG Bild: Der Rechtspopulismus ist auf dem Vormarsch: Fast wäre Norbert Hofer Bundespräsident Österreichs geworden
       
       Am Ende blieb der Triumph für Norbert Hofer aus. Aber dass die Hälfte der
       Österreicher für den smarten Nationalisten votierte, ist ein Markstein. Er
       symbolisiert den Erfolg einer aggressiven Rechten, die Völkisches mit
       Anti-EU-Affekten und modernem Politmanagement verbindet. Viktor Orbán in
       Ungarn und die PiS in Polen lassen sich noch als Phänomene der fragilen,
       postkommunistischen Demokratien deuten. Der Vormarsch der FPÖ, die 2018 die
       Machtübernahme in Wien anvisiert, zeigt, dass gerade eine Gewissheit
       zerbricht – dass Rechtspopulisten im Westen nicht die Mehrheit erobern
       können.
       
       Zum ersten Mal wählte die Hälfte der Bürger einer westeuropäischen Republik
       eine Politik, die antimuslimisch, antieuropäisch und chauvinistisch ist.
       Und es war keine Protestwahl, bei der die Frustrierten den Mächtigen bloß
       mal den Stinkefinger zeigen wollten. Die Hälfte der Österreicher will eine
       andere Republik.
       
       Was die neue Rechte von Strache über Le Pen bis Trump beflügelt, ist der
       Affekt gegen die liberalen Eliten. Den Rechtspopulisten gelingt es, sich
       geschickt als authentische Advokaten aller Beleidigten zu inszenieren. Das
       ist, wenn man sich den Milliardär Trump oder die etablierte FPÖ vor Augen
       führt, von beachtlicher Dreistigkeit. Und doch mobilisieren sie auf diese
       Weise Ressentiments: den Neid auf „die da oben“ und den Hass auf Schwächere
       wie Migranten. Hinzu kommt ein paranoider Grundton. Man fühlt sich von den
       Herrschenden verkauft und wittert überall Manipulation. Es ist kein Zufall,
       dass Pegida die Nazivokabel Lügenpresse benutzt.
       
       Vielleicht werden die mäßigenden Kräfte des Parlamentarismus diese
       wutschnaubende Rechte allmählich zivilisieren. Doch das ist nicht mehr als
       eine Hoffnung. FPÖ und Front National sind jedenfalls nicht bloß lautere,
       marktschreierische Varianten des Konservativismus. Sie ähneln vielmehr
       Kampfverbänden, die autoritär geführte Regime etablieren wollen.
       
       ## Ein Laborversuch
       
       Österreich ist in diesem Panorama ein Laborversuch. Hier ist zu erkennen,
       wie rasch sich ein bis zur Langeweile stabiles und auf die Mitte
       zentriertes System polarisieren kann: in rechts gegen links, Land gegen
       Stadt, Modernisierungsgewinner versus -verlierer. Zwischen Innsbruck und
       Graz sind Prozesse sichtbar geworden, die künftig auch Deutschland prägen
       können.
       
       Erstens: Die Erinnerung an den Weltkrieg, den Terror des entfesselten
       Nationalismus und den Judenmord hat in Westeuropa eine Weile wie ein Wall
       gegen Rechtsextremismus und offenen Rassismus gewirkt. Diese Mauer ist mit
       der Historisierung der NS-Zeit porös geworden – und die Löcher werden sich
       auch durch entschlossene historische Aufklärung nicht kitten lassen.
       Völkische Ideen haben die Quarantäne rechtsextremer Zirkel verlassen. Was
       vor zehn Jahren noch Skandal war, wird heute achselzuckend zur Kenntnis
       genommen. Alexander Gauland, Chefideologe der AfD und gern gesehener
       Talkshowgast, redet 2016 selbstverständlich von dem Gegensatz zwischen dem
       „Volkskörper“ und Flüchtlingen.
       
       Österreich ist in Sachen NS-Vergangenheit ein trüber Sonderfall. Dort
       fühlte man sich nach 1945, obgleich eifriger Mittäter der Nazis, als erstes
       Opfer von Hitler. Nur in Österreich konnten sich, so der österreichische
       Schriftsteller Robert Menasse, Austrofaschisten als echte Patrioten und
       Nazigegner aufführen. Die Wand gegen das völkische, biologistische
       Nazivokabular war in Österreich immer nur aus Papier. Kein Wunder, dass
       Ideologen mit rechtsextremer Vergangenheit wie Hofer und FPÖ-Chef Strache
       hier wählbar sind. Österreich ist 2016 auf kuriose, trostlose Art
       Avantgarde. Denn die Erinnerung an NS-Regime und Krieg bleicht in dritter
       Generation in ganz Europa aus.
       
       Zweitens: 86 Prozent der Arbeiter haben rechtspopulistisch gewählt. Dieser
       Trend war auch schon in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zu beobachten.
       Das Modell Österreich zeigt, wie es weitergehen kann: Arbeiter und
       Arbeitslose, die von der dynamischen Wissensgesellschaft und dem digitalen
       Kapitalismus nur die Schattenseiten zu spüren bekommen, verabschieden sich
       in eine politische Parallelwelt. Der autoritäre Rechtspopulismus ist
       gewissermaßen die hässliche Wiederkehr von dem, was in der Welt
       technokratisch ausbalancierter Konflikte und alternativloser Sachpolitik
       keinen Platz hat. Die politische Leidenschaft, die im pragmatischen Diskurs
       von Christdemokraten bis Grünen ausklammert wird, kehrt als Fratze zurück.
       
       ## Die Illusion der Linksliberalen
       
       Damit zerplatzt womöglich auch die Illusion der Linksliberalen: Dass es
       möglich ist, ohne schroffe Kontroversen immer mehr individuelle Freiheiten
       für immer mehr Minderheiten zu generieren. Das ist eine schöne, kraftvolle,
       menschenfreundliche Idee, das lichte Erbe von 1968. Es ist ein liberales
       Konzept, zugeschnitten auf selbstbewusste Bürger. Der frustrierte
       Hartz-IV-Empfänger und der schlecht ausgebildete Arbeiter, dessen Kinder es
       auch nicht besser haben werden, fühlen sich damit verständlicherweise nicht
       gemeint.
       
       Die Rechtspopulisten sind dabei, das Soziale und die kollektiven
       Gerechtigkeitsideale zu kapern. Sie besetzen das vormalige Stammrevier der
       sozial- und christdemokratischen Arbeiterbewegung. Das Dümmste wäre nun, in
       einer Art vorauseilender Kapitulation Emanzipationsgewinne rückgängig zu
       machen. Der FPÖ-Erfolg beweist ja, dass ein Appeasement der Mitte in
       Richtung rechts außen kontraproduktiv wirkt: Es stärkt die Extremisten.
       
       Vielleicht sollte man sich an den linksliberalen US-Philosophen Richard
       Rorty erinnern, der vor zwanzig Jahren hellsichtig jene Bruchlinie
       beschrieb, die nun Österreich scheinbar in zwei Hälften teilt und auch eine
       Blaupause für Trumps Aufstieg ist. Rorty attestierte der Post-68er-Linken,
       dass sie die Gesellschaft nur noch im Tunnelblick wahrnimmt: als Kampf für
       die Rechte von Minderheiten. „Interessiert euch jetzt bitte mal wieder für
       die Probleme weißer heterosexueller Männer, die keine Arbeit finden und
       ihre Familien nicht versorgen können“, forderte er 1997 vergeblich.
       
       Die politische Kunst wird darin bestehen, eine Sprache für
       Modernisierungsverlierer zu finden, ohne Freiheitsgewinne in Frage zu
       stellen. In hübsch renovierten Altbauwohnungen die Unterschicht zu
       verachten, die jetzt auch noch falsch wählt, wird nicht helfen.
       
       24 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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