URI: 
       # taz.de -- In Belgien marschieren Gewerkschaften: Machtkampf auf der Straße
       
       > Die rechtsliberale Regierung plant drastische Kürzungen und eine
       > Verlängerung der Arbeitszeit. Dagegen wird in Belgien demonstriert.
       
   IMG Bild: Rund 60.000 Menschen nahmen am Protestzug in Brüssel teil
       
       Brüssel taz | Zwei Monate stand Belgien unter Schock. Nach den
       Terroranschlägen vom 22. März trauten sich viele Menschen kaum noch auf die
       Straße. Nun machen die Belgier wieder mobil: Rund 60.000 Menschen gingen am
       Dienstag auf die Straße, um gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der
       rechtsliberalen Regierung Charles Michel zu protestieren.
       
       „Das Maß ist voll“, lautete das Motto der landesweiten Kundgebung, zu der
       alle Gewerkschaften aufgerufen haben. „Wir wollen eine Politik, die den
       Menschen wieder Perspektiven gibt“, sagte Marie-Hélène Ska,
       Generalsekretärin der christlichen Gewerkschaft CSC. „Diese Regierung spart
       Milliarden auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit.“
       
       Es war bereits die dritte Großkundgebung gegen die Regierung seit
       Amtsantritt Ende 2014. Stein des Anstoßes ist diesmal vor allem die
       geplante Arbeitsmarktreform. Arbeitsminister Kris Peeters möchte die
       Wochenarbeitszeit von derzeit 38 Wochen flexibler gestalten und auf bis zu
       47,5 Stunden verlängern. Überstunden sollen schlechter bezahlt werden,
       Ruhezeiten werden verkürzt, prekäre Arbeitsverhältnisse erleichtert.
       
       Ähnlich wie in Frankreich wird die „Loi Peeters“ mit der hohen
       Arbeitslosigkeit und Empfehlungen der EU-Kommission begründet. Die
       Brüsseler Behörde fordert eine „Flexibilisierung“ der Arbeit, die Lockerung
       von Tarifverträgen und eine Erhöhung des Rentenalters. In Belgien hat sie
       zudem neue Einsparungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro durchgesetzt.
       
       ## Viele unhaltbare Zustände
       
       Die Sparmaßnahmen treffen den öffentlichen Dienst, Polizei und Justiz. Dort
       herrschen schon jetzt unhaltbare Zustände. Bereits seit vier Wochen streikt
       das belgische Justizpersonal für höhere Gehälter und mehr Personal. Da die
       Bundespolizei wegen Überlastung nicht einspringen konnte, hat die Regierung
       das Militär zur „Aushilfe“ in die Gefängnisse geschickt.
       
       Doch nicht nur die Gefängnisse, auch die Gerichte sind überlastet. Der
       oberste Richter Belgiens, Jean de Codt, hat nun Alarm geschlagen: Die
       Justiz verfüge nicht mehr über die Mittel, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
       Belgien sei auf dem besten Weg zum „Schurkenstaat“.
       
       So weit wollten die Gewerkschaften bei ihrer Kundgebung am Dienstag zwar
       nicht gehen. Doch auch sie verstärken den Druck auf Premier Michel. „Diese
       Regierung vertritt nicht die Interessen der Arbeitnehmer“, klagt ein
       Demonstrant. „Wenn sie nicht endlich nachgibt, dann müssen wir sie
       stürzen.“
       
       Unterstützung bekommen die Gewerkschaften von der Opposition. „Diese
       Regierung betreibt eine Politik der Zerstörung“, sagt der frühere
       sozialistische Premierminister Elio di Rupo. „Wenn Charles Michel nicht auf
       die Straße hören will, denn wird er sich bald selbst auf der Straße
       wiederfinden“, warnt Jean-Pascal Labille von der sozialistischen Bewegung
       Solidaris.
       
       Die nächsten Eskalationsstufen sind schon geplant: Ende September wird es
       eine neue landesweite Protestkundgebung geben, am 7. Oktober sogar einen
       Generalstreik.
       
       24 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
       ## TAGS
       
   DIR Belgien
   DIR Streik
   DIR Kürzungen
   DIR Straßen
   DIR Protest
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Schwerpunkt TTIP
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
   DIR EU-Türkei-Deal
   DIR Schwerpunkt Krise in Griechenland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Protest und Repression in Frankreich: Da musst du durch
       
       In Frankreich demonstrieren die Menschen erbittert gegen neue Sozial- und
       Arbeitsmarktgesetze. Deutschland schaut weg. Warum?
       
   DIR SPD-Europaabgeordneter über TTIP: „So gut wie keine Annäherung“
       
       „Ich bin weder für noch gegen TTIP“, sagt Bernd Lange, Europaabgeordneter
       der SPD. Er sieht vor allem viel Klärungsbedarf.
       
   DIR Forschungsförderung zur Kernkraft: EU will Mini-Atomkraftwerke fördern
       
       Die EU-Kommission plant den Ausbau der Kernkraft mit rentablen
       Kleinreaktoren. Das belegt ein Leak aus der Generaldirektion für Forschung.
       
   DIR Visum-Liberalisierung für die Türkei: Der Deal wackelt
       
       Im Machtkampf um den Flüchtlingsdeal reagiert das EU-Parlament zögerlich.
       Die Türkei droht damit, Flüchtlinge loszuschicken.
       
   DIR Kommentar EU-Hilfe für Griechenland: Vom Drama zur Farce
       
       Die Eurogruppe ist unfähig, sich in der Schuldenkrise zu einigen.
       Griechenland droht endgültig zur Schuldenkolonie zu verkommen.