URI: 
       # taz.de -- Debatte Milchpreis: Weniger wäre mehr
       
       > Wenn der Milchpreis wieder steigen soll, gibt es nur eine Lösung: Der
       > Staat muss die Bauern zwingen, weniger Milch zu liefern.
       
   IMG Bild: Im Gegensatz zur Rampensau läuft die Rampenkuh lieber aus dem Bild raus
       
       Tausende Milchbauern werden in diesen Monaten Opfer einer neoliberalen
       Ideologie. Sie müssen ihre Kühe abgeben, viele verlieren gar den ganzen
       Hof. Denn sie bekommen seit Jahren weniger Geld für die Milch, als sie etwa
       für Löhne, Futter und Energie bezahlen müssen.
       
       Vor Kurzem ist der Milchpreis für die Erzeuger im bundesweiten Durchschnitt
       auf rund 24 Cent pro Kilogramm abgerutscht – die Produktionskosten liegen
       nach Branchenschätzungen bei 43 Cent. Noch nie hat eine derart schwere
       Krise so lange angehalten. Allein vergangenes Jahr gaben laut Statistischem
       Bundesamt [1][4,2 Prozent] der Milchviehhalter auf. Höchste Zeit, dass der
       Staat eingreift und die Produktionsmenge reguliert.
       
       Warum Sie das interessieren sollte? Weil Milchbauern sehr wichtig für das
       Leben in den ländlichen Regionen sind, weil sie Arbeitsplätze bieten und
       Aufträge für andere Branchen. Wenn die meisten der rund 73.000 deutschen
       Milcherzeuger verschwinden, werden noch mehr Dörfer verwaisen.
       
       Es trägt auch nicht zu einer gesunden Wohlstandsverteilung bei, dass wenige
       Megabetriebe Zehntausende kleine und mittlere Unternehmen verdrängen. Die
       Giganten können dank ihrer Größeneffekte langfristig auf Billigstniveau
       produzieren. Und es geht auch um die Umwelt und um das Wohl der Tiere. Wer
       nur noch Verluste macht, dem fällt es schwer, mehr für die Artenvielfalt zu
       tun oder Kühe artgerechter zu halten.
       
       ## Schuld ist die Agrarlobby
       
       Die Hauptursachen des Preisverfalls sind nicht die, die Bundesagrarminister
       Christian Schmidt (CSU) suggeriert. Russlands Präsident Wladimir Putin hat
       zwar im Ukrainekonflikt ein Einfuhrverbot für viele EU-Milchprodukte
       verhängt, und die Chinesen importieren weniger als erwartet; aber der
       Preisverfall begann lange vor dem Inkrafttreten des russischen Embargos im
       August 2014. Nach China gingen laut dem Statistischen Bundesamt
       beispielsweise 2012, vor der Preiskrise, nur 1,5 Prozent der deutschen
       Milchproduktexporte.
       
       Viel stärker auf die Preise drückt aber, dass die Landwirte seit April 2015
       wieder so viel melken dürfen, wie sie wollen. Zuvor hatte die EU mit der
       Milchquote 31 Jahre lang die Menge begrenzt. Aber als Brüssel – getrieben
       zum Beispiel durch die Bundesregierung und ironischerweise den Deutschen
       Bauernverband – die Quote über die Jahre immer stärker aufweichte und dann
       aufhob, produzierten die Landwirte mehr. Allein seit 1. April 2015 wuchs
       die Erzeugung um [2][6,1 Millionen Tonnen] oder 3,8 Prozent. Ähnlich war es
       im Vorjahr. 6 Millionen Tonnen sind ungefähr 10 Prozent der international
       gehandelten Menge.
       
       Europa ist also maßgeblich dafür verantwortlich, dass Milch auf dem
       Weltmarkt so billig ist. Keine andere bedeutende Produktionsregion hat ihre
       Erzeugung in absoluten Zahlen [3][so stark gesteigert].
       
       Ein Grund der Quotenabschaffung war, dass Volkswirte prognostiziert hatten,
       die Nachfrage nach Milch werde insbesondere in Asien dank dem
       Bevölkerungswachstum und neuer Ernährungsgewohnheiten steigen. Diese
       Exportchancen sollten die EU-Bauern nutzen, ohne von der Quote behindert zu
       werden. Aber auf die Wachstumsmärkte drängen auch andere, zum Beispiel die
       Neuseeländer. Außerdem versorgt sich etwa China stärker selbst.
       
       ## An den Symptomen herumdoktern
       
       Statt die Menge zu senken, will Agrarminister Schmidt nun nur ein bisschen
       an den Symptomen der Milchpreiskrise herumdoktern. Bei seinem „Milchgipfel“
       mit Vertretern des Bauernverbands, der Molkereien und des Handels am Montag
       in Berlin wird er wohl Folgendes ankündigen: mehr Kredite für in Not
       geratene Betriebe, ein paar Steuergeschenke, einen Zuschuss für
       Sozialabgaben. Die Rede ist von Hilfen in Höhe von ungefähr 100 Millionen
       Euro.
       
       Das wird die Verluste der Milchbauern kaum kompensieren. Sie gehen in die
       Milliarden. Solche Maßnahmen verlängern allenfalls noch das Leiden
       dahinsiechender Betriebe. Doch da weiterhin zu viel Milch auf dem Markt
       ist, werden die Preise zu niedrig bleiben und Betriebe mittelfristig doch
       pleitegehen.
       
       Genauso wenig wird es bringen, den Lebensmittelhandel an seine
       „Verantwortung“ zu erinnern, wie Agrarminister Schmidt es im Vorfeld des
       Milchgipfels tat. Denn die Supermarktketten tun einfach das, was sie tun
       müssen. Wenn eine Kette nicht den für sie bestmöglichen Preis aushandeln
       würde, unterläge sie irgendwann ihren Konkurrenten. Erst wenn das Angebot
       knapper wird, werden Aldi und die anderen wieder bedeutend mehr für die
       Milch zahlen.
       
       Dieses Marktprinzip gilt auch für die Molkereien. Zwar können Bauern teils
       wegen Knebelverträgen kaum zwischen verschiedenen Abnehmern wechseln, aber
       das ist nicht der ausschlaggebende Grund dafür, dass die Molkereien
       armselige Preise zahlen. Sondern eben das Überangebot.
       
       ## Die EU sollte Limits vorgeben
       
       Diese Wurzel des Übels muss der Staat ausreißen, weil die Marktteilnehmer
       aufgrund ihrer Konkurrenz dazu nicht in der Lage sind. Die EU sollte
       Milchbauern vorschreiben, so lange weniger zu produzieren, bis sich der
       Preis erholt hat. Die Bauern könnten ihren Kühen zum Beispiel weniger
       Kraftfutter und mehr Heu geben. Durch solche Maßnahmen ließe sich die
       Produktionsmenge schnell um [4][2 bis 3 Prozent] reduzieren, rechnet der
       Bundesverband Deutscher Milchviehhalter vor.
       
       Dieses Minus würde ausreichen, um den Preisdruck stark zu senken. So ein
       Eingriff wäre nicht die alte Quote, da das neue Mengenlimit zeitlich
       begrenzt wäre. Die Angst, dass dann Nicht-EU-Länder mehr nach Europa
       exportieren, ist wegen der hohen [5][Importzölle] unbegründet.
       
       Natürlich würde es wenig bringen, wenn allein Deutschland die Menge
       reduzierte. Die europäische Konkurrenz stieße in diese Lücke. Aber die
       Bundesregierung muss endlich ihre Blockade in Brüssel gegen eine EU-weite
       Mengenbegrenzung aufgeben.
       
       Doch das will sie nicht, weil sie derartige Eingriffe in den angeblich
       freien Markt scheut wie der Teufel das Weihwasser. In den Augen von
       Minister Schmidt, Bauernverband und Molkereiindustrie darf der Staat zahlen
       – etwa für Beiträge zur Unfallversicherung der Landwirte. Aber verlangen
       soll er dafür nichts. Typisch neoliberal eben.
       
       30 May 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/12/PD15_484_413.html
   DIR [2] http://www.landvolk.net/Presse/LPD-Meldungen/2016/05/1639/Milcherzeugung.php
   DIR [3] http://ec.europa.eu/agriculture/milk-market-observatory/pdf/world-raw-milk-production-us-nz-au_en.pdf
   DIR [4] http://bdm-verband.org/html/index.php?module=News&func=display&cat=35&sid=1013
   DIR [5] http://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Marktordnungen/Einfuhr-Ausfuhr-von-Marktordnungswaren/Milch-und-Milcherzeugnisse/milch-und-milcherzeugnisse_node.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
       ## TAGS
       
   DIR Landwirtschaft
   DIR Christian Schmidt
   DIR MIlchpreis
   DIR Landwirtschaft
   DIR Landwirtschaft
   DIR Landwirtschaft
   DIR Landwirtschaft
   DIR Milch
   DIR MIlchpreis
   DIR Milch
   DIR Landwirtschaft
   DIR Landwirtschaft
   DIR MIlchpreis
   DIR Höfesterben
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Preispolitik des Deutschen Milchkontors: Der Fluch der Größe
       
       Während mit dem Handel neue Kontrakte ausgedealt werden, schauen
       Milchbauern mit Sorge auf den Branchenriesen Deutsches Milchkontor in
       Zeven.
       
   DIR Strafzahlungen für Landwirte rechtens: Der Milchbauer ist ein armes Schwein
       
       Das Finanzgericht Hamburg hat gegen die Milchbauern entschieden: Die
       umstrittene Abgabe wegen zu großer Produktionsmengen ist rechtmäßig.
       
   DIR Bauernvertreter über schlechte Ernte: „Bio-Preise sorgen für Stabilität“
       
       Die Getreide- und Rapsernte fiel in Deutschland schlecht aus.
       Bauernvertreter Martin Schulz sagt, Bio-Bauern seien besser abgesichert.
       
   DIR Bauerntag in Hannover: Der Markt soll's richten
       
       Der Bauernverband will trotz Milchkrise und Höfesterben nichts ändern.
       Dessen Präsident attackiert lieber Umweltschützer und Grüne.
       
   DIR Milchbauern in der Krise: Stille im Stall
       
       Auf dem Milchgipfel verspricht die Regierung rund 100 Millionen Euro Hilfe.
       Bauer Sebastian Köhler zuckt mit den Schultern: „Sterbegeld“ sei das.
       
   DIR Milchgipfel beschließt Soforthilfe: 100 Millionen Euro für Bauern
       
       Der Milchpreis ist im Keller, viele Höfe fürchten um ihre Existenz. Auf dem
       „Milchgipfel“ von Bundesagrarminister Schmidt gibt es nun einen ersten
       Beschluss.
       
   DIR Milchgipfel soll Milchbauern retten: Minister setzt auf direkte Hilfen
       
       Ein bisschen Einigkeit gibt es schon vor dem Milchgipfel: Der Milchpreis
       sei zu niedrig, Schuld soll vor allem der Handel sein.
       
   DIR Robert Habeck über niedrigen Milchpreis: „System wendet sich gegen Bauern“
       
       Immer mehr, immer billiger, das geht nicht mehr, sagt der grüne
       Landwirtschaftsminister Robert Habeck aus Schleswig-Holstein.
       
   DIR Fragen und Antworten zum Milchpreis: Der Rinderwahnsinn
       
       Zum Teil bekommen die Bauern nur noch 18 Cent für ein Kilogramm Milch. Das
       reicht nicht mal für das Futter der Kühe.
       
   DIR Lebensmittelpreise in Supermärkten: Im Land, wo Milch und Honig fließen
       
       Die Discounter senken erneut die Preise für Milchprodukte. Die Landwirte
       treiben sie damit in den Ruin, die Politik schaut zu.
       
   DIR Christian Meyer über Milchpolitik: „Der Bund setzt auf Höfesterben“
       
       Wenn der Bund die Milchmenge weiterhin nicht steuert, machen norddeutsche
       Bauern Milliardenverluste, warnt Niedersachsens Agrarminister Meyer.