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       # taz.de -- Antifaschismus in Sachsen: Mit viel Geduld die Pegida bekämpfen
       
       > Albrecht von der Lieth, Sprecher des Bündnisses „Nazifrei – Dresden
       > stellt sich quer“, erzählt vom Widerstand gegen die Rechten.
       
   IMG Bild: „Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der Straße stattfinden“
       
       Albrecht von der Lieth, Sprecher des „Bündnis Dresden Nazifrei“. Student d.
       Theologie, arbeitet seit einem Jahr im sozialen Bereich. Aufgewachsen u.
       Schulbesuch in Cottbus u. Dresden. Wollte eigentlich Gitarre studieren,
       dann aber Aufnahme eines geisteswissenschaftl. Studiums.
       Auslandsaufenthalte in Israel u. Graz. Danach Studium d. Theologie in
       Münster. Nach d. Abschluss Übersiedelung nach Dresden, dort Arbeit an
       seiner Dissertation u. politisches Engagement gegen rechte Aktivitäten. Er
       wurde 1979 in Berlin-Friedrichshain (DDR) geboren, sein Vater ist
       Bauingenieur, die Mutter Sozialpädagogin. 
       
       Albrecht von der Lieth ist von erfreulicher Pünktlichkeit, hat die
       erbetenen schriftlichen Materialien mitgebracht und beginnt nach einem
       Schluck Tee ruhig und sortiert von seiner politischen Arbeit zu erzählen:
       
       „Anfangs habe ich mich jährlich am 13. 2. an den ‚Februar Blockaden‘ in
       Dresden zur Verhinderung der Naziaufmärsche beteiligt – anlässlich dieses
       Gedenkdatums gibt es ja immer Aufmärsche. Also ich ging da hin, aber
       sozusagen nicht konzentriert, eben immer wenn es passte. Das war relativ
       unverbindlich. In diesem Kontext der Blockaden ist dann im Oktober 2009 das
       Bündnis ‚Nazifrei – Dresden stellt sich quer‘ entstanden. Im Prinzip
       sozusagen als Angebot der Radikalen an die bürgerliche Gesellschaft.
       Letztlich als Versuch, mit einem breiten gesellschaftlichen Bündnis einen
       entsprechend großen und wirksamen Widerstand gegen rechts zu organisieren.
       
       2010 gab es die erste Blockade. Meines Wissens war das zugleich die erste
       Blockade von Naziaufmärschen, also sozusagen eine Dresdner Errungenschaft,
       die sich etabliert hat inzwischen. Nein, ich war kein Gründungsmitglied.
       Ich habe aber im Laufe der Zeit mit einiger Entrüstung festgestellt, dass
       Leute auf einmal anfingen, noch mehr zu marschieren, und zwar auch
       außerhalb dieser jährlich wiederkehrenden Aufmärsche.
       
       Im Oktober 2014 erschien Pegida. Ich habe das erst gar nicht so richtig
       ernst genommen, dachte – wie so viele Leute –, das sind irgendwie harmlose
       Spinner. Dann wurde aber schnell klar, dass die gefährlich sind und man
       dagegen Widerstand leisten muss. Mir war das eigentlich gar nicht recht,
       denn ich musste sozusagen jede Woche mindestens einen Tag von meiner Diss
       opfern.
       
       ## Einen Dialog führen
       
       Die URA (undogmatische radikale Antifa, Anm. G.G.), die haben in den ersten
       vier Wochen damals den Protest gemacht gegen Pegida. Die haben von Anfang
       an die Gefahr erkannt. Und ein paar Wochen später hat Dresden Nazifrei
       beschlossen, wir müssen was tun und darauf hinweisen, dass hier was
       brodelt. Wir müssen einen Dialog führen, zwischen den antirassistischen,
       weltoffenen Akteuren und Akteurinnen in der Stadt, die bereit sind, auch
       gegen Pegida und für die geflüchteten Menschen aktiv zu werden.
       
       Ich bin dann fast zufällig bei einem Montagsprotest gewesen, den Dresden
       Nazifrei organisiert hatte. Und irgendwie ist mitten während der Demo die
       ganze Kommunikationsstruktur zusammengebrochen. Keine Ahnung, was da
       schieflief. Mit einem Mal rannten Gruppen von Menschen konfus
       durcheinander. Ich schrieb danach eine Mail an Dresden Nazifrei und habe
       meine Hilfe angeboten: Falls ihr jemanden braucht, der Twitter bedient oder
       so, dann mache ich das. Meldet euch.
       
       Tatsächlich kam bald die Antwort: Ich soll doch einfach mal hinkommen. Und
       so fing das an, dass ich da reingerutscht bin. Jedenfalls habe ich mich
       dann im Bündnis engagiert, u. a. in der Pressearbeit, habe auch
       mitgeschrieben, und weil ich im Prinzip relativ viel Zeit zur Verfügung
       stellen konnte, habe ich mich um Dinge gekümmert, die sonst liegen
       geblieben wären. Und später war es dann so, dass der bisherige Sprecher
       ausgeschieden ist und ich seine Stelle übernommen habe.
       
       Am Anschwellen der Pegida-Teilnehmerzahlen zeigte sich früh, dass das nicht
       so bald im Sande verlaufen wird. Am Anfang waren es wenige Hundert, aber es
       ging fix in die Tausenderzahlen. So um die Jahreswende 2014/15 waren es
       regelmäßig 10.000 und mehr. Ich glaube, die höchsten Zahlen waren so um
       25.000. Neonazis waren von Anfang an mit dabei, aber damals fielen sie
       wegen der vielen Teilnehmer optisch nicht so auf. Das wurde auch relativ
       offen kommuniziert, dass sie Skins als Ordner benutzen wollen, als Schutz
       gegen die, wie sie sagten, ‚gewaltbereite Antifa‘.
       
       Die Zahlen sind allerdings von der Polizei und waren relativ unzuverlässig.
       Das hat die Gruppe ‚Durchgezählt‘ gezeigt – eine wissenschaftliche
       studentische Forschungsgruppe der Uni Dresden, die seit März 2015 Zählungen
       macht und zu anderen, wesentlich niedrigeren Ergebnissen kam. Daraufhin war
       die Polizei beleidigt und hat gesagt, sie zählt nicht mehr.
       
       ## Männer um die 50 aus der Mittelschicht
       
       Aber ich denke, ob es jetzt 20.000 sind oder 25.000, ist eigentlich nicht
       der Punkt. Es gab diese Überlegung: Für jeden Demonstranten sitzen 10
       Gesinnungsgenossen zu Hause. Und wenn man das bedenkt, dann sind ja 10.000
       schon ein riesiges Problem, selbst 3.000 sind mehr als genug! Inzwischen
       hat es sich eingependelt auf zwei- bis dreitausend Teilnehmer. Im
       Frühsommer werden es erfahrungsgemäß weniger, wir vermuten, es liegt daran,
       dass mancher um diese Zeit lieber im Garten ist, zum Grillen oder so.
       Voriges Jahr wurden es im Herbst dann wieder mehr.
       
       Es hat sich auch, was die Teilnehmer betrifft, etwas umgeschichtet. Am
       Anfang gab’s noch sozusagen den Opa, der gegen die GEZ, die
       Gebühren-Einzugszentrale, und ihre Zwangsgebühren protestiert hat. Aber
       viele von diesen zu Recht frustrierten Menschen sind im Laufe der Zeit
       weggeblieben, weil ihnen das zu sehr in eine unliebsame Richtung ging.
       Altersmäßig sind es jetzt weitgehend Männer so um die 50, durchaus in
       Arbeit, sozusagen Mittelklasse, mit Eigenheim und Auto vor der Haustür.
       Relativ wenige Frauen sind zu sehen.
       
       Also übrig geblieben ist sozusagen der harte Kern, letztlich Leute, die
       kein Problem damit haben, dass irgendwelche Redner jeden Montagabend ihre
       rassistische Hetze und ihr Nationalitäts- und völkisches
       Ideologiegeschwurbel ins Mikro, in ihre Ohren brüllen. Das ist eine endlose
       Leier, da kommt nichts Neues mehr.
       
       ## Jeden Montag sind sie wieder da
       
       Es gibt so eine Art Abstumpfungsprozess. Auf allen Seiten. Aber das ändert
       nichts, jeden Montag sind sie wieder da. Voriges Jahr haben wir uns gesagt,
       es hat ja keinen Sinn, dieses Ritual jede Woche zu vollziehen, wir haben
       alles gesagt dazu, alles getan dagegen. Die, die da jetzt noch jeden Montag
       in der Stadt rumrennen, sind für kein Argument mehr erreichbar. Deshalb war
       der strategische Sinn eines wöchentlichen Protests, der beim politischen
       Gegner absolut nichts ausrichtet, für uns nicht mehr zu erkennen. Jetzt
       noch mehr Protest zu machen unsererseits, hätte ihnen nur noch mehr
       Aufmerksamkeit gegeben.
       
       Und da haben wir uns entschlossen, wir stellen vorerst mal den
       Montagsprotest ein und widmen uns den Flüchtlingsheimen. In dieser Zeit
       nahm die Zahl der Übergriffe auf die Heime ständig zu. Naziaufmärsche zu
       blockieren, das war zwar unser Markenzeichen sozusagen, unser
       Aktionskonsens, es war das, was wir können, wofür wir eine Infrastruktur
       haben, aber das hat leider nicht gefruchtet. Also mussten wir uns Gedanken
       machen. Totschweigen war auch keine Option, denn das Problem existiert ja
       weiterhin. Also, was tun? Und wir sagten uns, wir brauchen Hilfe von außen,
       müssen irgendwie auf neue Formen des Widerstands kommen, und so entstand
       die Idee einer Strategiekonferenz.
       
       ## Neue Vernetzungen
       
       Die Strategiekonferenz war im Januar 2016 im Hörsaalzentrum der TU. Wir
       hatten als Teilnehmer ganz unterschiedliche Gruppen und Personen
       eingeladen. Also eben nicht sozusagen die Antifa-Gruppe aus Dortmund oder
       so, sondern lokale Bündnisse vor Ort. Natürlich niemanden von Pegida und
       dergleichen, wir sprechen nicht mit Rassisten! Aber sonst luden wir ein,
       was es so an gesellschaftlichen Initiativen gibt in Dresden, auch
       kirchliche Verbände, Sportvereine und sogar Wirtschaftsverbände – weil ja
       immer gesagt wird, Pegida wirkt sich negativ auf die Hotelübernachtungen
       aus. Die kamen natürlich nicht! Auch kaum Rückmeldungen von den
       Kirchengemeinden.
       
       Die Sportvereine haben ihr Couscous-Essen gemacht. Und die Wirtschaft
       gründete das so genannte City Management, eine findige Initiative von
       Geschäftsleuten, um die Shopping-Flaute in der Innenstadt zu bekämpfen.
       Unter dem Slogan ‚Dresden geht aus‘ soll nicht etwa demonstriert werden,
       nein, die Dresdner sollen künftig jeden Montag von 17 bis 20 Uhr mit
       speziellen Events, freiem Streichquartett und Rabattaktionen usw. dazu
       verlockt werden, zum Shoppen anzumarschieren, um den zwanzigprozentigen
       Umsatzverlust wieder auszugleichen.
       
       Und ansonsten, die Bündnisse – besonders die Willkommensbündnisse, waren
       natürlich auf dem Kongress. Es bildeten sich viele Workshops, es ergaben
       sich spannende Diskussionen, neue Vernetzungen. Also alles in allem war der
       Kongress sehr erfolgreich. Aber es zeigte sich für mich, dass es relativ
       viele Menschen gibt, die bereit sind, sich für etwas zu engagieren, aber
       die Bereitschaft zu einem Engagement gegen etwas, die ist wesentlich
       geringer.
       
       Das Problem ist eben, dass man beim Versuch einer stadtweiten Vernetzung
       natürlich immer auch mit Gruppen zusammen arbeiten muss, die nun nicht
       gleich das System stürzen wollen. Es gibt sehr viele, auch ganz
       konservative Gruppen und Einzelpersonen, die eine andere Vision von
       Gesellschaft haben als wir, die sich aber energisch für die Geflüchteten
       einsetzen. Die kommen dann plötzlich selbst unter Generalverdacht, werden
       als linke Chaoten tituliert, und das ist für die ein großes inneres
       Problem. Sie wollen einfach nur anderen Menschen in Not helfen. Und das ist
       vollkommen in Ordnung. Für uns greift das aber zu kurz, auch in Bezug auf
       das Problem Pegida.
       
       ## Analyse von Pegida
       
       Die Strategiekonferenz hat – grob zusammengefasst – für uns am Ende
       Folgendes ergeben: Es stand ja das jährliche Gedenken zum 13. 2. bevor, in
       diesem Zusammenhang wurde unser Erfolgskonzept, der ‚Mahngang Täterspuren‘,
       sozusagen wissenschaftlich erweitert. Zusammen mit einem Dozenten der
       Evangelischen Hochschule für Soziales wird ein Konzept erarbeitet für ein
       Studium-Generale-Angebot, das die Studenten mit dem Thema ‚Mahngang
       Täterspuren‘ vertraut macht. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie
       Vernetzung zu ersten konkreten Ergebnissen führen kann.
       
       Und was unsere zukünftige Arbeit betrifft, so kristallisierte sich kurz
       Folgendes heraus: Die Auseinandersetzung mit Pegida soll nicht nur auf der
       Straße stattfinden. Zwar bleibt unser Anspruch auf jeden Fall weiterhin,
       Naziaufmärsche zu blockieren. Woran es aber bisher fehlte, ist eine genaue
       inhaltliche Analyse von Pegida und der Tatsache, dass sie ausgerechnet in
       Dresden derart groß werden konnte. Daran müssen wir arbeiten. Sehr wichtig
       auch, wir müssen Bildungsarbeit machen.
       
       Generell muss sich das Bündnis durch breitere Vernetzung in der Stadt
       ausweiten und seine Kommunikation und seine Strukturen besser organisieren.
       Auch soll eine Demo-Beobachtungsgruppe eingerichtet werden, eine Gruppe von
       Leuten, die dafür sorgt, dass auch Polizeiverhalten konsequent und objektiv
       dokumentiert wird. Und nicht zuletzt soll der Schutz von Flüchtlingsheimen
       gegen jegliche Art von rechten Übergriffen verstärkt werden.
       
       ## Wasserfeste gelbe Aufkleber
       
       Damit hatten wir ja schon Erfahrungen gesammelt. Freital war der erste
       große Eklat, das war Mitte/Ende Juni 2015. Dort wurde im Prinzip von jetzt
       auf nun, mit einer Ankündigungsfrist von drei Tagen, in vollkommen
       chaotischer Art und Weise eine Erstaufnahmeeinrichtung für 350 Flüchtlinge
       etabliert. Man nutzte dafür das seit Kurzem leerstehende Hotel Leonardo am
       langen Rain, auf einem Hügel über der Stadt. Dagegen erhob sich dann in
       Freital massiver Protest. Typisch, die wasserfesten gelben Aufkleber die
       man überall, auch am Bahnhof platziert hat, sie tragen folgenden Text:
       ‚BITTE FLÜCHTEN SIE WEITER! ES GIBT HIER NICHTS ZU WOHNEN! REFUGEES NOT
       WELCOME!‘
       
       Das ist nur eine der zahlreichen fremdenfeindlichen Aktivitäten ‚besorgter
       Bürger‘. Freital ist eine recht große Kreisstadt, mit knapp 40.000
       Einwohnern, südwestlich von Dresden, 10 S-Bahn-Minuten entfernt. Es gibt
       dort mehrere größere Arbeitgeber, z. B. Stahlindustrie, ein Ziegelwerk usw.
       Freital trägt seinen Namen übrigens nicht zu Unrecht, es war mal Anfang des
       20. Jahrhunderts, zu Beginn der Weimarer Republik, sozusagen eine
       Sozialistenhochburg. Man führte zahlreiche soziale Errungenschaften ein,
       besonders in der Gesundheitspolitik, im Schulsystem, im Bau von
       vorbildlichen Arbeitersiedlungen.
       
       Die Stadt bekam deshalb den Spitznamen ‚Rotes Wien in Sachsen‘. Das ist
       dann im Nationalsozialismus – und auch in der SED-Zeit – vollkommen
       erodiert. Aber es gab auch nach 1933 in Freital noch sehr aktive
       Widerstandsgruppen gegen das Naziregime. Also die Stadt hat eine ganz
       andere Herkunft, als man heute vermuten möchte.
       
       ## Hilfe für Freital
       
       Heute herrscht dort eine erzkonservatives, ein schwarzbraunes Klima, von
       einigen Aufrechten mal abgesehen. Es ist ja viel berichtet worden in den
       Medien über die Vorfälle in Freital. Ich will mal versuchen, meine
       persönlichen Eindrücke zu schildern. Ich sah dort vor allem eins: eine
       grölende Menschenmenge, die ihrem Hass freien Lauf ließ. In Freital gibt es
       einen Pegida-Ableger, die nennt sich ‚Frigida‘. Es gibt Videoaufzeichnungen
       im Netz mit Interviews, da werden ‚besorgte Bürger‘ z. B. gefragt, ob sie
       nicht vielleicht mehr Angst haben müssten vor denen, die da grölen, Steine
       und Böller schmeißen, als vor den Flüchtlingen. Antwort: ‚Die schmeißen ja
       nicht auf Deutsche!‘ Also, das ist schon schlimm, wenn die Leute gar nicht
       mehr merken, was sie da sagen.
       
       Es gibt allerdings, wie gesagt, auch die anderen. Zum Beispiel das
       ‚Willkommensbündnis Freital‘, bestehend aus etwa 5 Menschen. Die sind an
       uns herangetreten und sagten: Wir schaffen’s alleine nicht, bei uns gibt es
       kein Potenzial für eine Gegendemo, keine Gruppe, die sich vor das
       Flüchtlingsheim stellen würde. Wir brauchen eure Hilfe! Die haben wir
       natürlich zugesagt und angefangen, im Prinzip täglich zu mobilisieren nach
       Freital. Immer am Nachmittag um vier sind wir hin gefahren und standen dann
       dort vor dem Gebäude bis, na, sagen wir mal, bis abends um 10. So etwa zwei
       Wochen lang.
       
       Das Hotel Leonardo liegt etwa 1 Kilometer vom Bahnhof entfernt, und da geht
       man dann eben als Gruppe im Außenbereich am Hang entlang, den ‚langen Rain‘
       hoch. Man bewegt sich besser nicht durch den Ort. Bei der Ankunft vor der
       Unterkunft wird man dann sozusagen umgehend von der Polizei empfangen und
       einsortiert. ‚Protestbürger‘ waren auch schon da um diese Zeit, einige aus
       den umliegenden Wohnanlagen. Also, wir standen zwischen den ‚besorgten
       Bürgern‘ und dem Eingang des Heims. Mit der Zeit, so nach Betriebsschluss,
       wurden es mehr. Die Sprechchöre wurden lauter und richteten sich auch gegen
       uns.
       
       Es gibt dort so ein kugeliges rechtes Mädel, mit zur Hälfte geschorenem
       Kopf und Ordnerbinde, die hat ziemlich schrille Vorgaben gemacht und die
       Menge hat brav wiederholt. Was da so skandiert wurde, war vollkommen
       abstrus, z. B.: ‚Volksverräter‘; ‚Ami go home‘ – ich muss mal überlegen, –
       ja, ‚Antifa, ha, ha, ha …‘; ‚Lügenpresse‘; ‚Raus aus der Nato‘; ‚Merkel
       muss weg‘. Sie trugen die üblichen seltsamen Fahnen und ein Spruchband mit
       der Aufschrift: ‚Kein Ort zum Flüchten!‘ Aber wir haben das einfach
       ignoriert und uns lieber den Geflüchteten zugewandt.
       
       Diese kleine Freitaler Unterstützergruppe hatte schon ein gutes Verhältnis
       hergestellt zu einigen Familien, sodass die rauskamen uns auch vertraut
       haben. Sie haben schon gesehen, dass wir die ‚Guten‘ sind.“ Er lacht leise,
       streicht sich über die Glatze und fährt fort: „Bei uns gibt es übrigens
       signifikant mehr Frauen und junge Leute, die sehr kommunikationsfreudig
       sind. Wir hatten immer Spiele dabei, Federball, Frisbee, und haben mit
       Geflüchteten nicht nur gesprochen, sondern auch gespielt, das entspannte
       die Situation total. Da sind ja auch viele Kinder dabei. Mit ihnen kann man
       mit Malkreiden auf der Straße Hüpfspiele machen, das geht alles und macht
       allen viel Vergnügen. Ja gut, das war halt so Freital. Es war das erste
       Mal, dass sich diese böse Fratze sozusagen überregional so unverhüllt
       gezeigt hat.
       
       ## Scharmützel mit Nazis
       
       Danach gab es etwas, das in den Medien kaum Wellen geschlagen hat, das war
       im Juli 2015 in Dresden. Auch dort wurde Hals über Kopf auf einer
       Industriebrache ein Zeltlager für 1.000 Flüchtlinge vom THW und Roten Kreuz
       errichtet. Die NPD hatte zu einer Demo aufgerufen. Wir waren natürlich auch
       dort, und da gab es dann wirklich Scharmützel. Sogar Rotkreuzhelfer wurden
       tätlich angegriffen. Viel zu wenig Polizei war im Einsatz, die hatten nicht
       mal Helme dabei, standen da einfach nur rum, vollkommen unorganisiert.
       
       Und dann kam schon bald Heidenau, erste Augustwoche 2015. Heidenau ist eine
       kleine Stadt mit etwa 16.000 Einwohnern, südöstlich von Dresden, zwanzig
       S-Bahn-Minuten entfernt. Dort war ebenfalls eine Erstaufnahmeeinrichtung
       eingerichtet worden, direkt an der Hauptstraße liegend im Gewerbegebiet, in
       einem ehemaligen Praktiker-Baumarkt. Und dort kam es durch die Rechten zu
       Blockadeversuchen von Bussen mit ankommenden Geflüchteten. Es gab in der
       ersten Nacht massive Ausschreitungen, das war wirklich wie ein
       Kriegsschauplatz, überall Rauchschwaden, die Nazis haben permanent diese
       hier bei uns verbotenen, sehr lauten Böller gezündet, mit Bierflaschen und
       Steinen geworfen. Sie hatten schon ordentlich Promille intus, man sah so
       gut wie keinen, der nicht eine Bierflasche in der Hand gehabt hätte.
       
       Die Polizei schoss Tränengas ab. Die Rechten haben auch die Polizei
       angegriffen – worüber die sehr erstaunt war, denn normalerweise sind die
       Nazis ja sehr autoritätshörig. Am Ende gab es 30 verletzte Polizisten. Wenn
       die Polizei tatsächlich mal ihren Job macht, sozusagen Recht und Gesetz
       durchsetzt, um die Flüchtlinge zu schützen, dann sind sie natürlich nicht
       mehr die Guten, sondern nur noch die Feinde. Wir waren dort auf dem
       Parkplatz etwa 200 Leute, die Gegenseite wahrscheinlich doppelt so viele.
       Und wir hatten uns eigentlich verstanden sozusagen als moralischer Support.
       Die Scharmützel zogen sich über mehrere Nächte hin. Wir haben versucht, den
       Zugang zur Unterkunft gegen die Nazis zu blockieren, und fanden das total
       krank, gegen traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge, Familien und ihre
       Kinder, mit Böllern vorzugehen. Die haben ja Angst, dass sie jetzt
       vielleicht doch noch umgebracht werden.
       
       Als Reaktion auf diesen Praktiker-Angriff haben wir, das ‚Bündnis
       Nazifrei‘, dann eine Woche später – zusammen mit der ‚Interventionistischen
       Linken Berlin‘ – ein Willkommensfest für die Bewohner des Baumarktes auf
       die Beine gestellt. Zwei Tage zuvor war übrigens Kanzlerin Merkel in
       Heidenau und hat zum ersten Mal eine Erstaufnahmeeinrichtung für
       Geflüchtete besucht. Sie wurde mit Hupkonzerten und dem Ruf:
       ‚Volksverräter, Volksverräter!‘ begrüßt von den ‚besorgten Bürgern‘. Zwei
       Tage später kamen dann wir, und bei uns geht es ja nicht um die
       Imagepflege, wir wollten wirklich etwas tun für die Familien und Kinder,
       mit Hüpfburg, Grill, Musik, Limonade, Kuchen und vielen Spielen. Es gab
       auch einen Neuntonner voller Spenden aus Berlin. Und auf diese Weise haben
       wir den Diskurs wieder so ein bisschen ins Lot gebracht und medial
       aufgefangen.
       
       ## Fest in Heidenau
       
       Es gab natürlich rechtliche Probleme, einen Konflikt mit dem
       Innenministerium, das unser Willkommensfest eigentlich verbieten lassen
       wollte, weil die Nazis gedroht hatten es zu sabotieren. Sicherheitsfragen,
       polizeilicher Notstand, das waren so die Begründungen. Die wurden dann aber
       vor Gericht abgeschmettert und das Fest konnte tatsächlich stattfinden.
       Aber nicht nur die Antifa war da, es kamen an diesem Tag auch anders
       denkende Heidenauer Bürger. Einige sagten: Schön, dass es euch gibt, ich
       denke genau so wie ihr! Cem Özdemir ist aus Berlin gekommen.
       
       Es kam auch ein vollkommen ungebetener Gast, der sächsische Innenminister,
       der eben noch das Fest hatte verbieten lassen wollen. Er wurde aber,
       zusammen mit seinen Bodygards, ganz schnell vom Hof gescheucht mit
       resoluten Sprechchören, Buhrufen und Pfiffen. Er hatte nicht mal
       Gelegenheit, die Fotos für die Imagepflege machen zu lassen. Er sah sehr
       verlegen aus. Angesichts dieser peinlichen Situation ist er geradezu
       geflüchtet zu seiner Dienstlimousine. Und weg war er. Auf
       Nimmerwiedersehen, hoffentlich!
       
       Ansonsten verlief das Fest vollkommen ungestört. Es waren so etwa 300 bis
       400 Menschen da, überall Geflüchtete, die haben auf der großen Wiese Ball
       und Frisbee gespielt, miteinander getanzt, gegessen und waren fröhlich und
       entspannt. Besonders die Kinder, die in der Hüpfburg herumsprangen und mit
       den gespendeten Spielsachen spielten.
       
       Das waren Freital und Heidenau, die beiden wichtigsten Auslöser dafür, dass
       Pegida wieder mehr Zulauf bekam. Und in diesem Kontext haben wir uns dann
       auch gesagt, jetzt müssen wir nachdenken und uns etwas einfallen lassen.
       Und wir müssen uns auf viel Geduld einrichten. Es ist einfach so, dass es
       langer, langer Arbeit bedarf, um so einen generellen Rechtsruck in der
       Gesellschaft irgendwie wieder aufzufangen.“
       
       3 Jun 2016
       
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   DIR Rechter Terror in Sachsen: Anklage gegen „Gruppe Freital“
       
       Sieben Männer und eine Frau aus Freital sollen unter anderem Anschläge auf
       Flüchtlingsheime verübt haben. Sie stehen nun unter Terrorismusverdacht.
       
   DIR Angriff auf Dresdener Stadtfest: Neonazis verprügeln Jesiden
       
       Die Polizei meldete zum Stadtfest eine Schlägerei unter Nordafrikanern.
       Eine Woche später zeigt sich: Es war ein rechtsextremer Überfall auf
       Flüchtlinge.
       
   DIR Rechtsterrorismus in Freital: Gerichtsprozess im Flüchtlingsheim
       
       Ein Gericht in Dresden will über die acht mutmaßlichen Rechtsterroristen an
       einem symbolhaften Ort urteilen. Aus rein organisatorischen Gründen.
       
   DIR Flüchtlingshelferin zu Staatsaufgaben: „Jetzt geht es ums Bleiben“
       
       Tanja van de Loo spricht am Wochenende auf einem Kongress zu mehreren
       Willkommensinitiativen. Über mögliche Streiks und eine zynische Kunstpause.
       
   DIR „Tag der deutschen Zukunft“ in Dortmund: 1000 Nazis und ein Hitler-Transparent
       
       Mit offenen Bezügen auf den Nationalsozialismus haben Neonazis in Dortmund
       demonstriert. Die Polizei griff bei Volksverhetzung nicht ein.
       
   DIR Anti-Nazi-Demo in Dortmund: 2.500 Menschen protestieren
       
       In Dortmund haben tausende Menschen gegen eine Neonazi-Demonstration
       protestiert. Linksautonome versuchten, den Aufmarsch zu blockieren.
       
   DIR Sachsen und die Flüchtlinge: Das Bedürfnis nach einem Feind
       
       Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat erzählt, wer Pegida und AfD in
       die Hände gespielt hat. Und wie er trotzdem optimistisch bleibt.
       
   DIR Demografie als Angstmacher: Gefährliche Zauberformel
       
       Jenseits der Panikmache: Statistikprofessor Gerd Bosbach hinterfragt seit
       langem Hintergrunddaten zum demografischen Wandel.
       
   DIR Armut in Deutschland: Die Ärztin der Armen
       
       Zu Besuch bei Jenny De la Torre Castro in Berlin-Mitte. Die Ärztin hat dort
       ein Gesundheitszentrum für Obdachlose aufgebaut.
       
   DIR Armut in Deutschland: Der Suppenküchenstaat wächst
       
       Der Armutsforscher Christoph Butterwegge erzählt von der Umwandlung des
       Sozialstaats. Er malt ein beunruhigendes Bild unserer gespaltenen
       Gesellschaft.