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       # taz.de -- Nordirland gegen den Brexit: In Crossmaglen ist keiner für den Brexit
       
       > Die Befürworter eines Austritts aus der EU vertreten einen klaren
       > Standpunkt. Im Grenzgebiet zu Irland ist ein EU-Austritt aber unpopulär.
       
   IMG Bild: Gedenkmarsch von Sinn Fein in Nordirland zum 100. Jahrestag des Osteraufstandes
       
       Crossmaglen taz | „Ich will den Brexit“, sagt Tommy McKearney. „Reaktionäre
       und Rassisten dürfen kein Monopol auf diese Meinung haben. Die Linke muss
       für ein Ende der Europäischen Union eintreten.“ McKearney, ein schlanker
       64-Jähriger mit dichten, weißen Haaren, betont, dass er das keineswegs
       isolationistisch meine, sondern auf Kooperation in Europa setze.
       
       „Aber wir brauchen eine andere Organisation, die sich für die Rechte der
       Arbeiter einsetzt“, sagt er. „Die EU hat sich immer mehr in eine
       neoliberale Umlaufbahn bewegt, sie wird von den Prinzipien des freien
       Marktes regiert.“ Es gebe keinen allgemeingültigen Mindestlohn in der EU,
       man toleriere Steueroasen wie Irland, Luxemburg oder Großbritannien.
       
       „Es ist ein Club der Kapitalisten auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung“,
       sagt er. „Das hat man zuerst an der Peripherie gemerkt, nun aber fährt auch
       Frankreich erkämpfte Rechte zurück.“
       
       McKearney entstammt einer katholischen Arbeiterfamilie aus der nordirischen
       Grafschaft Tyrone. Er war vierzehn, als der Konflikt ausbrach. Als die
       britische Regierung am 9. August 1971 ihre Truppen nach Nordirland
       entsandte und 300 Katholiken internieren ließ, brach McKearney seine
       Berufsausbildung ab, trat der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) bei und
       stieg alsbald zum Kommandanten der Tyrone-Brigade auf.
       
       ## Keine Grenze zwischen Nordirland und Irland
       
       1977 wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er einen
       Armee-Reservisten erschossen hatte. Nach 16 Jahren kam er frei, heiratete
       Patricia und zog mit ihr in ein kleines Haus am Rande Monaghans in der
       Republik Irland an der Grenze zu Tyrone.
       
       Er ist pessimistisch. „Die Pro-EU-Seite arbeitet mit Angstmache, und die
       Gewerkschaften haben kein Selbstvertrauen“, sagt er. „Dabei wurden die
       Verbesserungen für die Arbeiterklasse lange vor der EU durchgesetzt, und
       zwar durch die organisierte Arbeiterklasse. Das waren ja keine Geschenke
       von der EU.“
       
       Von Monaghan führt die Nationalstraße N 2 Richtung Südosten. Kurz hinter
       Castleblaney, auf der N 53, wird die Straße schmaler und schlechter. Ein
       Schild weist daraufhin, dass die Geschwindigkeitsbegrenzungen nun in Meilen
       angegeben sind. Es ist der einzige Hinweis, dass man die Grenze nach
       Nordirland überschritten hat. Ein paar Kilometer weiter zweigt eine Straße
       nach Crossmaglen ab.
       
       Während des nordirischen Konflikts erwarb der Ort einen legendären Ruf. Die
       einen bezeichneten ihn als Hauptstadt des „Banditenlandes“, die anderen
       verglichen ihn mit dem gallischen Heimatdorf von Asterix und Obelix, das in
       diesem Fall Widerstand gegen die britischen Besatzer leistete. Crossmaglen
       war eine Hochburg der IRA. Wenn die britische Armee die Gegend
       patrouillieren wollte, wurden die Soldaten meistens mit Hubschraubern zum
       Einsatzort gebracht, weil sie sich nicht trauten, mit ihren Panzerwagen die
       Straßen zu benutzen.
       
       ## Crossmaglen ist ein wenig trist
       
       17 britische Soldaten wurden allein auf dem Marktplatz von Crossmaglen
       getötet. Das Denkmal in der Mitte des zubetonierten Platzes, der als
       Parkplatz dient, erinnert jedoch an die IRA-Mitglieder, die im Zuge des
       Konflikts ums Leben gekommen sind. Umgeben ist das Denkmal von der irischen
       Flagge und den Flaggen der vier irischen Provinzen, der Sonnenflagge des
       mythischen Kriegerstamms der Fenier sowie der EU-Fahne.
       
       Der Ort ist trist, und das liegt nicht nur am Nieselregen. Am Tresen im
       einzig geöffneten Pub sitzt Jim Teeling. Er ist 58, sieht aber älter aus.
       Unter seiner Schirmmütze mit dem Aufdruck „Crossmaglen“ ragen Locken
       hervor, er trägt Arbeitskleidung, ist aber arbeitslos. Teeling hat drei
       Töchter, die älteste ist 40, die anderen beiden sind 27. Zwillinge? „Nein,
       es sind irische Zwillinge, es liegen elf Monate zwischen ihnen“, sagt er.
       „Ich habe früh angefangen. Als meine Freundin schwanger wurde, war ich 17.
       Mein Vater hat darauf bestanden, dass ich sie heirate, sonst hätte er mich
       aus dem Ort gejagt.“
       
       Teeling ist in Crossmaglen geboren. Von der EU hält er nicht viel. „40
       Jahre lang waren wir denen in Brüssel egal, und umgekehrt war uns die EU
       egal“, sagt er. Beim Referendum wird er trotzdem abstimmen: „Ich mache mir
       aber keine großen Gedanken darüber. Ich mache das Kreuz dort, wo Sinn Féin
       es haben will.“
       
       ## Klare Mehrheit für den Verbleib in der EU
       
       Sinn Féin, der ehemalige politische Flügel der IRA, will das Kreuz beim Ja
       zur EU haben, und nicht nur in Crossmaglen wird der
       katholisch-nationalistische Bevölkerungsteil dem folgen. 91,2 Prozent der
       Wähler von Sinn Féin und der sozialdemokratischen SDLP werden für den
       Verbleib in der EU stimmen.
       
       Die protestantisch-unionistische Seite ist hingegen gespalten. Die etwas
       gemäßigtere Ulster Unionist Party (UUP) ist für einen Verbleib in der EU,
       die von Pfarrer Ian Paisley gegründete Democratic Unionist Party (DUP), die
       als stärkste Partei mit Arlene Foster die Premierministerin stellt, ist für
       den Brexit. Insgesamt sind 56 Prozent der Nordiren für die EU, gut ein
       Viertel ist dagegen, und der Rest ist noch unentschlossen.
       
       „Brexit-Befürworter wird man in Crossmaglen nicht finden“, sagt Conor
       McFadden, ein 24-jähriger Bauarbeiter. Er ist zu jung, um sich an die
       Grenzkontrollen zwischen beiden Teilen Irlands zu erinnern. „Gerade für uns
       im Grenzgebiet wäre das schrecklich“, sagt er. „Manche Straße kreuzt auf
       einer Strecke von zehn Kilometern fünf Mal die Grenze. Wie soll man das
       überwachen? Und was ist mit den Bauern, die auf beiden Seiten der Grenze
       Land besitzen?“ McFadden ist empört, dass die britische
       Nordirland-Ministerin Theresa Villiers für den Brexit kämpft. „Genauso wie
       wir der EU während des Konflikts egal waren“, sagt er, „scheren sich die
       Brexit-Befürworter drüben in England nicht um uns.“
       
       5 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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