# taz.de -- Urteil gegen Exdiktator Hissène Habré: Haft für den Schlächter des Tschad
> Folter, Mord, Verschwindenlassen, Vergewaltigung. Ein Sondergericht
> spricht Hissène Habré wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig.
IMG Bild: Geste für seine Anhänger im Saal: Exdiktator Hissène Habré am Montag vor Gericht in Dakar
Berlin taz | Der Horror wurde immer größer, je weiter der Richter in seiner
Urteilsverkündung vorankam. Folter, Hinrichtung, Mord, Verschwindenlassen,
Vergewaltigung, kollektive Bestrafung – kaum etwas blieb ausgespart, als
das Sondergericht der Afrikanischen Union in Senegals Hauptstadt Dakar den
ehemaligen tschadischen Diktator Hissène Habré am Montag wegen Verbrechen
gegen die Menschlichkeit schuldig sprach. Am Ende verkündete der Richter
das einzig folgerichtige Urteil: lebenslange Haft.
Es ging um Habrés Zeit als Präsident des Tschad zwischen 1982 und 1990 –
eine Zeit, als das Land im Herzen der afrikanischen Sahelzone ein enger
Verbündeter des Westens gegen die Hegemonialansprüche des nördlichen
Nachbarn Libyen war. „Systematisch und methodisch“ seien Oppositionelle und
Angehörige missliebiger Volksgruppen verfolgt worden, verhaftet, gefoltert
und schließlich verschwunden.
Im Süden des Landes, wo der Großteil der Bevölkerung lebt, fand ein
„systematischer und ausgedehnter Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ statt;
im Norden, wo Tschads Armee gegen Libyen und von dort unterstützte Rebellen
kämpfte, kam es zu verbreiteten Kriegsverbrechen, vor allem in Habrés
Geburtsstadt Faya Largeau. Hunderte von Kriegsgefangenen wurden
systematisch hingerichtet.
In Tschads Hauptstadt N’Djamena war das Hauptquartier des Geheimdienstes
DDS Szene unvorstellbarer Grausamkeiten: Gefangene schliefen mangels Platz
in überfüllten, überhitzten Zellen auf den Leichen ihrer Mithäftlinge und
entgingen dem Verdursten nur, indem sie den eigenen Urin tranken.
Bis zu 40.000 Menschen, das ergaben Untersuchungen nach Habrés Sturz 1990,
fielen dem Staatsterror direkt zum Opfer. „Feinde des Regimes“, so der
Richter, wurden „auf dem gesamten Staatsgebiet des Tschad und zuweilen
darüber hinaus systematisch gejagt“.
## Vergewaltigt vom Präsidenten
Im Prozess gegen Hissène Habré, der nach Jahrzehnten Hin und Her vor knapp
einem Jahr in Senegals Hauptstadt Dakar begonnen hatte, waren durch
Zeugenaussagen neue Details zur Sprache gekommen. Besonders unfassbar, und
im mündlichen Urteil auch ausdrücklich erwähnt, war die Aussage einer
Gefangenen, die erklärte, von Hissène Habré viermal persönlich vergewaltigt
worden zu sein. Khadidjan Hassan Zidane gehörte mit drei anderen
Opferzeuginnen zu neun Frauen und Mädchen, die als Sexsklaven in ein
Wüstenlager der Armee verschleppt wurden – dies ist in offiziellen
Dokumenten verbürgt. Zidane selbst sagte aus, sie sei vorher in Privathaft
des Präsidenten gewesen und er habe sie dort vergewaltigt.
Die Unterstützer Habrés waren über diese Aussage empört gewesen: Die Frau
sei eine „nymphomanische Prostituierte“, sagten sie. Der Richter aber
glaubte der Opferzeugin: „Die Aussage eines Opfers sexueller Gewalttaten
muss nicht unabhängig bestätigt werden“, stellte er klar.
Das ist eine sehr weitgehende Rechtsauffassung, die beispielsweise in dem
2015 beendeten deutschen Verfahren gegen Führer der ruandischen Hutu-Miliz
FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) nicht geteilt wurde. Das
deutsche Gericht hatte in seinem Urteil Opferaussagen, die nicht
anderweitig bestätigt waren, ausdrücklich unberücksichtigt gelassen. In
Senegal aber gründete der Richter auf Zidanes Aussage eine über die Anklage
hinausgehende Verurteilung Hissène Habrés wegen Vergewaltigung als
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Der Richter bestätigte gegen Habré auch zwei weitere Anklagepunkte, die
ansonsten im Völkerstrafrecht regelmäßig Stolpersteine darstellen. Eines
ist das Vorhandensein einer „Joint Criminal Enterprise“, also einer
kriminellen Verschwörung, deren Mitglieder allesamt als Mittäter für alle
Taten haften, die dem gemeinsamen Ziel dienen.
## Er nahm selbst an Folterungen teil
Tschads Staatsspitze unter Habrés Führung sei eindeutig so zu werten, so
der Richter in Dakar: So habe der Präsident Sonderkommissionen gegründet,
um gezielte Repressionsmaßnahmen zu organisieren. Außerdem wurde Habrés
„Vorgesetztenverantwortlichkeit“ für die Verbrechen bestätigt. Sein Beitrag
zur Realisierung der „gemeinsamen Ziele“ der Joint Criminal Enterprise sei
„nicht nur wichtig, sondern wesentlich und bestimmend“ gewesen.
Der Präsident, so führte der Richter aus, habe kein Hehl daraus gemacht,
dass Staatsfeinde „vernichtet“ werden sollten. Er sei nicht nur Chef der
Sicherheitsorgane gewesen, sondern habe diese auch im Alltag geleitet; er
gab Befehle zu Verhaftungen, Freilassungen und Verschwindenlassen. Er nahm
selbst an Folterungen teil. Kein Militärflugzeug konnte ohne seine
Erlaubnis starten.
Die Verurteilung zu lebenslanger Haft war nach dieser Zusammenfassung
zwingend. Vertreter der zivilen Nebenkläger und Anwälte lagen sich
hinterher im Gerichtssaal jubelnd in den Armen, während finster
dreinblickende Habré-Anhänger, die bisher schon immer wieder den Prozess
gestört hatten, Solidaritätssprüche für ihren Präsidenten skandierten. Wie
seit Beginn dieses Verfahrens sagte der 73-Jährige kein Wort, und hinter
seinem Turban und seiner dunklen Sonnenbrille war keine Regung zu erkennen.
30 May 2016
## AUTOREN
DIR Dominic Johnson
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