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       # taz.de -- Gauck verzichtet auf zweite Amtszeit: Ein schwerer Schritt
       
       > Joachim Gauck will das Amt aufgeben, dem er wieder zu mehr Würde
       > verholfen hat. Grund: sein Alter. Die Entscheidung fiel ihm nicht leicht.
       
   IMG Bild: Will bei der nächsten Bundespräsidentenwahl im März 2017 nicht mehr antreten: Joachim Gauck
       
       BERLIN taz | Wie sehr Joachim Gauck mit sich kämpfte, hat er nie
       verheimlicht. Erst Ende April sagte der Bundespräsident in einem Interview
       im „Deutschlandfunk“, dass er sich fragen müsse, ob er als über 80-Jähriger
       noch mit den Belastungen des Amtes fertig werde. Aber dann sei da der
       Zuspruch der Bevölkerung, schob er nach. Er werde vielleicht „nicht so
       glücklich aus der Wäsche gucken“, wenn die Entscheidung getroffen sei.
       
       Seit Montag ist klar, was sich schon länger andeutete. Gauck hat sich für
       das Aufhören entschieden. In dem Schritt liegt eine gewisse Tragik. Joachim
       Gauck, 76, der liberale Konservative und selbsterklärte Freiheitsliebhaber,
       ist zu einem allseits geachteten Bundespräsident geworden. Gauck steht,
       kurz gesagt, auf dem Höhepunkt seines Schaffens.
       
       Der große Saal in Bellevue, Kronleuchter, cremefarbener Teppich. Gauck
       kommt um Punkt zwölf Uhr mit schnellen Schritten in den Saal und verliest
       eine knappe Erklärung. Er habe sich entschlossen, nicht erneut für das Amt
       zu kandidieren. „Diese Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, denn ich
       empfinde es als große Ehre, diesem Land zu dienen.“ Er treffe fast täglich
       Menschen, die durch ihr Engagement dafür sorgten, dass dieses Land schöner
       werde.
       
       Gauck schaut zwischendurch auf und lächelt. Er müht sich, glücklich aus der
       Wäsche zu gucken. Ans Ende des Manuskriptes hat er sich einen
       optimistischen Satz geschrieben. „Wir haben gute Gründe, uns Zukunft
       zuzutrauen.“ Er schaut auf, nickt – und geht.
       
       ## Streitlust und Diskussionsfreude
       
       Viele BürgerInnen mögen und schätzen ihn, das belegen Umfragen. Gaucks Wort
       hat Gewicht im In- und Ausland, Leute aus CDU und CSU, aber auch
       Sozialdemokraten und Grüne loben ihn über den Klee. Seine Streitlust und
       Diskussionsfreude werden geschätzt, wohl auch deshalb, weil er sich mit den
       Linken und den Konservativen anlegt.
       
       In einer Rede an der Führungsakademie der Bundeswehr nannte er etwa
       Soldaten 2012 „Mut-Bürger in Uniform“. Ebenso wirbt er für eine aktive
       Außenpolitik Deutschlands, sprich: für Kampfeinsätze der Bundeswehr.
       
       Das stößt friedensbewegten Linken sauer auf. Aber Gauck hatte auch kein
       Problem damit, Rechtsradikale 2013 als „Spinner“ zu bezeichnen – was ihm
       eine Beschwerde der NPD in Karlsruhe einbrachte. Mit der Zeit fügte sich
       Gauck in die Regeln des Politikbetriebs. In der Debatte über Flüchtlinge
       positionierte er sich zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, indem er
       auf Endlichkeiten von Möglichkeiten hinwies, aber das böse Wort
       „Obergrenze“ vermied. Eine sorgsam austarierte Linie, die genau in der
       Mitte des gespaltenen Landes verlief.
       
       All das ist nicht selbstverständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass
       Gauck als politischer Neuling ins höchste Staatsamt kam, das sein Vorgänger
       Christian Wulff zur Lachnummer heruntergewirtschaftet hatte. Gauck war ja
       eine Art Betriebsunfall für Merkel. Er zog vor gut vier Jahren nur deshalb
       ins Schloss Bellevue ein, weil die FDP unter ihrem Chef Philipp Rösler
       überraschend den rot-grünen Vorschlag, den ehemaligen evangelischen Pastor
       mit DDR-Biografie zum Präsidenten zu machen, unterstützten.
       
       ## Ein Fremder
       
       Es war einer der seltenen Momente, in dem die gewiefte Taktikerin im
       Kanzleramt überrumpelt wurde. Mit Gauck kam ein Fremder, Unerfahrener, ein
       Intellektueller mit wechselhafter Biografie. Ein brillanter, aber auch
       überschwänglicher Rhetoriker, von dem Zyniker vermuteten, er werde in der
       Mediengesellschaft keine paar Monate überleben.
       
       Gauck hält im Saal im Schloss jetzt einen kleinen Exkurs in Demokratie. Er
       beschreibt seine Ankündigung, so wie er sie sieht – als Normalfall.
       Deutschland habe funktionierende Institutionen und engagierte Bürger. „Der
       Wechsel im Amt des Bundespräsidenten ist in diesem Deutschland daher kein
       Grund zur Sorge.“ Gauck weist immer wieder darauf hin, für wie stabil er
       die deutsche Demokratie hält.
       
       Solch ein Trost ist etwas banal und natürlich nicht frei von Eitelkeit.
       Gleichzeitig handelt es sich aber auch um eine gelinde Untertreibung, denn
       sein Rückzug stürzt alle Beteiligten in Kalamitäten. Die Kanzlerin und
       Spitzenleute von SPD und Grünen hatten ihn in den vergangenen Monaten
       bekniet weiterzumachen. Sein Rückzug stellt alle Beteiligten vor ein
       komplexes Puzzle, bei dem völlig offen ist, was am Ende herauskommt.
       
       ## Vielseitiges Bedauern
       
       Entsprechend wurde seine Ankündigung allgemein bedauert. Merkel sagte, sie
       hätte sich eine zweite Amtszeit gewünscht. Er sei „glücklicherweise“ noch
       einige Monate im Amt. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, seine Partei
       bedaure, dass Gauck nicht noch einmal in der Bundesversammlung kandidiert.
       Er sei ein „Präsident des ganzen deutschen Volkes“. Und
       Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt twitterte: „Er hat dem Amt
       Inhalt und Würde zurückgegeben.“
       
       Als Grund nennt Gauck das Alter. Ihm sei bewusst, sagt er am Rednerpult,
       „dass die Lebensspanne zwischen dem 77. und 82. Lebensjahr eine andere ist
       als die, in der ich mich jetzt befinde.“ Er wolle für eine solche
       Zeitspanne nicht eine „Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich
       nicht garantieren kann“.
       
       Der Mensch Gauck schwebt immer in Gefahr, sich von der Begeisterung
       forttragen zu lassen. Er ist begeistert von anderen Menschen, aber auch von
       sich selbst. Seine Entscheidung offenbart eine neue, sehr sympathische
       Seite: Demut.
       
       6 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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