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       # taz.de -- Champions-League-Finale: Real bezwingt Atlético
       
       > Mit 6:4 nach Elfmeterschießen gewinnt Real Madrid gegen Atlético – und
       > holt sich den elften Sieg in der Champions League.
       
   IMG Bild: Anweisungen hinter vorgehaltener Hand: Trainer Zinedine Zidane (r.) und Cristiano Ronaldo
       
       MAILAND taz | Es gibt ihn also doch, diesen Moment, wo selbst Diego Simeone
       vor dem Spielende den Glauben an seine Mannschaft verliert. Als Juanfran
       beim Elfmeterschießen nur den Pfosten traf, da hatte auch den Trainer von
       Atlético Madrid die Schockstarre übermannt. Die Hoffnung auf eine letzte
       glückliche Wendung war jetzt selbst bei ihm, dem größten Prediger des
       unermüdlichen Kampfes, dahin. Und so sah er desillusioniert zu, wie Ronaldo
       wenige Minuten vor Mitternacht im San Siro Stadion die ganz große Egonummer
       dargeboten bekam.
       
       Breitbeiniger denn je trat der portugiesische Stürmer zum letzten Elfer an.
       Und tatsächlich war es ihm vorbehalten, den Schlussstrich unter dieses
       dramatische Spiel zu ziehen und mit großer Pose die Siegesfeier zum elften
       Champions-League-Gewinn von Real Madrid einzuleiten. Binnen Sekunden wurde
       er von einer weißen Spielertraube begraben.
       
       Zuvor noch war Simeone nach verwandelten Elfmetern seines Teams auf die
       Tribüne mit den Atlético-Fans zugerannt, um sie mit wild fuchtelnden Armen
       zu animieren, die Real-Versuche vom Strafstoßpunkt mit einem noch
       ohrenbetäubenderen Pfeifkonzert zu untermalen. Der Argentinier dirigierte
       die eigenen Anhänger ebenso wie seine Mannschaft. Er wirkte wie so häufig
       an vielen Fronten, um endlich die Krönung seiner Mission zu vollenden –
       einen Außenseiter über den unbedingten Glauben an den eigenen Erfolg zu
       eben diesem Erfolg zu führen.
       
       Im Champions League-Finale vor zwei Jahren wäre es ja gegen Real schon
       beinahe soweit gewesen, doch in der Nachspielzeit traf Ramos zum Ausgleich.
       Der Grundstock zur bitteren Wende. Der Pfostenschuss von Juanfran, das
       wurde in der späten Nacht von Mailand unterdessen bereits spürbar, hat
       fundamentalere Bedeutung. In seinem schwarzen Hemd und Jackett sah Simeone
       ja bereits sowieso wie ein Teilnehmer einer Beerdigung aus. Der Zweifel,
       der ihn nach dem Scheitern von Juanfran befiel, hatte grundsätzlichere
       Ausmaße. Und als dann die Frage nach dem möglichen Ende seiner Mission von
       Madrid im Raum stand, machte er aus seiner Unentschlossenheit keinen Hehl:
       „Ich bevorzuge es, nachzudenken. Ich werde nach Hause gehen. Jetzt müssen
       wir erst einmal unsere Wunden lecken.“
       
       ## Ausgebliebener dritter Geniestreich
       
       Mit Barcelona und dem FC Bayern hatte Atlético bereits zwei der drei
       weltbesten Teams, wie Simeone zuletzt immer betonte, bereits ausgeschaltet.
       In diesen Spielen begünstigte die Herausforderer aus Madrid auch das Glück.
       Real hätte nun der dritte Geniestreich werden sollen. Eine Konstellation,
       die sich so schnell wohl kaum ein weiteres Mal ergeben wird. Bei der Frage,
       welche Finalniederlage gegen den Stadtrivalen denn schmerzlicher gewesen
       sei, wollte Simeone sich nicht festlegen. Er behauptete: „Ich weiß es
       nicht. Ich weiß, dass es weh tut, die traurigen Leute zu sehen, die sich
       Tickets gekauft und hierhergekommen sind. Ich fühle mich verantwortlich,
       dass ich ihnen nicht gegeben habe, was sie wollten.“
       
       Seine vagen Aussagen zur Zukunft ließen aber jeden ahnen, dass dieser
       zweite Fehlversuch wesentlich mehr ins Wanken bringt. Der Glaube an seine
       Mission ist stark erschüttert. Und trösten konnte man einen so kategorisch
       denkenden Menschen wie Simeone, der sich so nah am großen Ziel wähnte, in
       diesem Moment sowieso nicht. Er sagte: „Das Team, das gewinnt, ist immer
       das bessere Team.“
       
       Angesichts der Sinnkrise bei Atlético mutete es an diesem Abend recht
       seltsam an, dass sich Real-Trainer Zinedine Zidane wie ein gelehriger
       Simeone-Jünger aufführte: „Ich glaube, Arbeit ist wichtiger als Qualität“,
       sagt der Coach des wieder einmal triumphierenden Starensembles. Der einst
       so große Künstler auf dem Feld, der erst vor fünf Monaten das Traineramt
       bei Real übertragen bekam, redete zuletzt immerzu vom Laufen und Leiden.
       Und vielleicht wurde auch deshalb schon wieder über seine Ablösung im Fall
       des Scheiterns in Mailand spekuliert.
       
       ## Verkehrte Rollen
       
       Bei diesem Finale verkehrten sich dann tatsächlich auch noch die Rollen,
       die man den Teams jeweils zugeschrieben hatte. Nach dem frühen
       Führungstreffer von Sergio Ramos (15.), der allerdings im Abseits stand,
       überließ Real den Defensivkünstlern von Atlético den Ball und das Spiel
       beschränkte sich selbst vornehmlich aufs Verteidigen. Daraus resultierte
       eine höchst ungewöhnliche Ballbesitzstatistik von 54:46 zugunsten von
       Atlético Madrid. Der Außenseiter wirkte lange mit dieser Gestaltungsaufgabe
       überfordert.
       
       Erst in der zweiten Hälfte, als das Team von Zidane es mit der Passivität
       übertrieb, erspielte sich Atlético mehr Gelegenheiten. Toni Kroos räumte
       ein: „Wir haben das dann nicht so gut ausgespielt, und ein bisschen zu
       wenig den Ball gehabt. Wir sind viel hinterhergelaufen.“ Auch deshalb
       tauschte Zidane den durchaus überzeugenden deutschen Nationalspieler aus
       taktischen Gründen für den offensivstärkeren Isco aus. Der Trainerneuling
       schöpfte eine knappe Viertelstunde vor Ende der regulären Spielzeit auch
       seine letzte Wechselmöglichkeit aus (Lucas Vázquez für Karim Benzema).
       
       Der Ausgleichstreffer fiel dennoch. Der Coach schien sich verzockt zu
       haben. Der von Simeone eingewechselte Yannik Carrasco schoss nicht nur das
       Tor, sondern stellte die Abwehr von Real mit seinem beherzten und
       trickreichen Auftritt vor große Probleme.
       
       Im Fall einer Niederlage wäre damit das Ende der Ära Zidane, bevor sie
       überhaupt richtig begonnen hat, sehr wahrscheinlich geworden. Kleinigkeiten
       können nicht nur über ein Spiel, sondern auch über Karrieren entscheiden.
       So wurde nun der scheue Zidane dazu aufgefordert, zu erklären, wie er
       dieses Team so erfolgreich gemacht hat. „Ich habe meine positive
       Einstellung zu Real gebracht“, antwortete der 43-Jährige, der nun als
       Spieler, Assistenz- und Cheftrainer jeweils die Champions League mit Real
       Madrid gewann. Und dann fand er doch noch etwas kräftigere Worte, um der
       Bedeutung des Moments gerecht zu werden: „Es ist das Team, das mich zum
       Größten gemacht hat.“
       
       29 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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