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       # taz.de -- Unterbringung von Flüchtlingen: Wohnen wie auf einer Insel
       
       > Der Senat plant 60 Großstandorte in modularer Bauweise für Flüchtlinge.
       > Ob das Wohnungen werden sollen oder Heime, ist offenbar noch unklar.
       
   IMG Bild: So soll es aussehen: Frontansicht des Grundmoduls einer Modularen Flüchtlingsunterkunft
       
       Das Grundstück im Norden Marzahns ist komplett von einem knapp drei Meter
       hohen Bretterzaun umgeben. Nur die Einfahrt lässt einen Blick auf die
       Baustelle an der Wittenberger Ecke Flämingstraße zu. Dort stehen mehrere
       Baucontainer und zwei Kräne. Ein Fundament und Stahl- und Betonteile sind
       zu erkennen. Auf einem Schild informiert der Senat, dass hier modulare
       Unterkünfte für Flüchtlinge entstehen. Das Bild dazu zeigt zwei
       rechteckige, fünfgeschossige Blocks mit einem niedrigeren Quergebäude als
       Eingangsbereich. Darunter der Hinweis, dass ein Sicherheitsdienst das
       Gelände bewacht.
       
       Es ist eine der ersten Baustellen für die sogenannten MUFs – Wohngebäude
       aus vorgefertigten Betonbauteilen mit Platz für jeweils rund 500 Menschen,
       in die Flüchtlinge einziehen sollen. Ähnliche Gebäude sind an 60 Standorten
       im Stadtgebiet geplant. Dies hatte der Senat im letzten Herbst beschlossen,
       um schnell Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen.
       
       Das zu bebauende Marzahner Grundstück liegt mitten in einer
       Plattenbausiedlung. Auf der anderen Straßenseite: Balkons und breite
       Fensterfronten an zwei langen, sechs Stockwerke hohen Häusern. Von hier aus
       sind es nur wenige Minuten Fußweg bis zur S-Bahn-Station, zu Supermärkten,
       Schulen, Kitas, dem Stadtteilzentrum Marzahn Nordwest und zum Park am
       Seelbuschgraben.
       
       „An sich ist das eine Umgebung mit guten Bedingungen“, sagt Stefan Ziller,
       Grünen-Politiker im Kreisverband Marzahn-Hellersdorf. Es sei alles da, um
       Flüchtlinge zu integrieren. Trotzdem sagt er: „Wenn wir entscheiden
       könnten, würden wir so etwas nicht bauen.“ Damit meint er nicht nur den
       Unmut in der Bevölkerung. Anwohner fühlten sich nicht rechtzeitig und nur
       unzureichend informiert. Während einer Anwohnerversammlung war die NPD mit
       einem Stand vor umliegenden Supermärkten präsent. Und auf eine zweite
       MUF-Baustelle fünf Kilometer südlich gab es im Mai einen Brandanschlag.
       
       ## Besser wären Wohnungen
       
       Hinzu kommt: Auch wenn die Gebäude fertig sind – ein Zaun drum herum wird
       bleiben. Das Gelände wird nur für Anwohner zugänglich. Die Wohnblocks
       werden Gemeinschaftsunterkünfte: mit Betreibern, Sozialarbeitern und
       Sicherheitsdienst, Gemeinschaftsküchen und Aufenthaltsräumen.
       
       „Um als Geflüchtete wirklich anzukommen, bräuchten die Menschen eigene
       Wohnungen“, meint Ziller. „Wenn man schon so große Gebäude baut, dann
       zumindest als Wohngebäude. Und die sollten dann nicht nur Geflüchteten
       offenstehen.“
       
       Der Bau der MUFs schaffe neue Probleme, meint auch Philipp Kuebart von der
       Plattform Nachwuchsarchitekten. Es sei nicht sinnvoll, neue
       Gemeinschaftsunterkünfte zu bauen. Er kritisiert zudem den Grundriss.
       „Einige Wohn- und Kochbereiche haben keine Fenster.“ Denn die MUFs, die nun
       nach dem offiziellen Entwurf gebaut würden, seien über 18 Meter tief, innen
       liegende Räume daher fensterlos. „Für Wohngebäude sind 12 Meter üblich“,
       sagt Kuebart, deshalb seien die Gebäude später schwer zu Wohnungen
       umbaubar.
       
       Auch stadtpolitisch würden die MUFs „abgeschlossene Inseln“ ohne
       alltäglichen Kontakt zwischen Geflüchteten und Nachbarn, befürchtet
       Kuebart. „Durch die Größe von rund 500 Menschen pro Einrichtung werden die
       Menschen sozial ausgegrenzt statt integriert“, sagt der Architekt. Es
       bestehe die Gefahr, dass damit die sozialen Brennpunkte der Zukunft
       entstünden. „Mit diesen Bauten werden wir auf Jahrzehnte festlegen, dass
       Geflüchtete in Wohnheimen landen.“ Nötig sei vielmehr eine dezentrale
       Unterbringung in Wohnungen.
       
       Eigene Wohnungen für Flüchtlinge – das ist auch das, was Sozialsenator
       Mario Czaja (CDU) mit dem Bau der MUFs erreichen möchte. „Von den bislang
       geplanten 60 Unterkünften in modularer Bauweise sollen nur zehn als
       Gemeinschaftsunterkünfte errichtet werden“, sagte er Anfang Juni im Senat.
       Das wären die zehn MUFs, die direkt von der Senatsverwaltung für
       Stadtentwicklung gebaut werden sollen.
       
       ## Heim oder nicht Heim?
       
       Die anderen 50 MUFs, die die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften
       und die Berlinovo bauen werden, sollen laut Czaja dagegen günstiger
       Wohnraum für bleibeberechtigte Flüchtlinge werden. Allerdings geht es in
       der Absichtserklärung, die der Senat mit den Wohnungsbaugesellschaften für
       die nächsten zwölf MUFs vereinbart hat und die der taz vorliegt,
       ausdrücklich um Gemeinschaftsunterkünfte, also um von Betreibern geleitete
       Einrichtungen mit Gemeinschaftsräumen, deren Gelände nicht frei zugänglich
       sein sollen. Entsprechend erklären sowohl Gewobag als auch Howoge, sie
       bauten Gemeinschaftsunterkünfte, die später in Wohnungen umgewandelt werden
       können.
       
       „Die Wohnungsbaugesellschaften bauen eine Mischform“, sagt dagegen Czajas
       Sprecher Sascha Langenbach. Diese kombinierten „die Sicherheit von eigenen
       vier Wänden mit Betreibern und Sozialarbeitern vor Ort, die die
       geflüchteten Menschen umfassend informieren können“, erklärt er.
       
       Wohnungen nach niedrigem Standard, Gemeinschaftsunterkünfte oder
       Mischformen: Besteht hier wirklich ein grundlegender Unterschied oder ist
       es letztlich nur eine Frage, auf welchen Begriff sich Senat und
       Wohnungsbaugesellschaften einigen? Während in Marzahn die Bauarbeiten
       begonnen haben und Vorbereitungen für weitere Baustellen laufen, wird dies
       von den einzelnen Parteien unterschiedlich beantwortet.
       
       15 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uta Schleiermacher
       
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