URI: 
       # taz.de -- Fotografie und Flucht: „Es ist meine eigene Hilflosigkeit“
       
       > Bilder zeigen Flüchtlinge in immer gleichen Motiven. Die Fotografin
       > Sibylle Fendt zeigt nun verlassene Orte in Deutschland. Warum?
       
   IMG Bild: Die ehemalige US-Kaserne Patrick Henry Village in Heidelberg wurde Ende 2014 als Notunterkunft von Flüchtlingen bezogen
       
       Noch vor wenigen Jahren hat man Asylsuchenden in Deutschland wenig
       Aufmerksamkeit geschenkt. Das hat sich geändert, seit „die
       Flüchtlingskrise“ zum bestimmenden Nachrichtenthema geworden ist. Wer als
       Fotograf etwas auf sich hält, reist an die Hotspots der Flüchtlingsrouten.
       Wir sind live auf Sendung. Allein zwischen August und Oktober 2015 zeigte
       die taz auf 20 von 79 Titelseiten Bilder von Flüchtlingen. In der
       diesjährigen Auswahl der World Press Photo Foundation dominierten Bilder
       von überfüllten Booten vor Lesbos, das Siegerbild zeigt einen Vater, der
       versucht, mit einem Baby im Arm einen Stacheldrahtzaun an der serbischen
       Grenze zu überwinden.
       
       Menschen auf der Flucht sind inzwischen zu einem „fotogenen“ Sujet
       geworden, stellt das Branchenblatt Photonews fest. In dieser Bezeichnung
       steckt eine Provokation. Es drängt sich nämlich die Frage auf, wie diese
       Bilder konsumiert werden und was ihr Konsum mit den Betrachtern auf Dauer
       macht. Zumindest spielt ihre inflationäre Verwendung eine unheilvolle Rolle
       dabei, sprachliche Bilder zu bestätigen, wenn von einer „Flüchtlingswelle“
       oder einem „Flüchtlingsstrom“ die Rede ist, von Naturgewalten also, denen
       wir ausgeliefert seien. Dies sind Bilder, mit denen Politik gemacht wird.
       
       Die Arbeit der Fotografin Sibylle Fendt beginnt dort, wo sie für die
       meisten Fotoreporter längst beendet ist: in den Registrierungsstellen und
       in provisorischen Unterkünften. Fendt ist eigentlich Porträtfotografin, sie
       wurde mit Bildern von Messies bekannt, die sie in ihrem Umfeld
       porträtierte. Umso überraschender ist es, dass auf den bisher
       unveröffentlichten Bildern, die wir auf diesen Seiten zeigen, keine
       Menschen zu sehen sind. Warum ist das so?
       
       Sibylle Fendt: Als ich die ersten Asylbewerber im Jahr 2010 kennenlernte
       und versuchte, sie fotografisch zu begleiten, merkte ich, dass ich weder
       eine Vorstellung davon entwickeln konnte, wie es ihnen geht und was sie
       durchgemacht haben, noch eine Idee hatte, wie man das fotografisch
       darstellen könnte. Ich suchte also nach einer fotografischen
       Herangehensweise, die unser System in den Fokus stellt.
       
       Warum ist dabei kein Platz für Bilder von Geflüchteten? 
       
       Anfangs versuchte ich noch, diesen Orten, die ich fand und fotografierte,
       Porträts von Geflüchteten gegenüberzustellen. Eigentlich versuche ich es
       immer noch. Doch es ist so schwer, ein wertfreies Porträt von jemandem zu
       machen, und eigentlich will ich das ja auch gar nicht. Aber ich möchte
       nicht das Opfer zeigen und auch nicht den Geretteten, den Wartenden, den
       Enttäuschten oder den Dankbaren. Das alles würde man in die Porträts
       hineininterpretieren. Also ist es meine eigene Hilflosigkeit, die mich dazu
       getrieben hat, mich von meiner eigentlichen Berufung – dem Porträt des
       Menschen – zu distanzieren. Ich bin in einer grundlegend anderen Situation
       als meine Protagonisten. Da kann ich noch so viel Mitgefühl entwickeln,
       uns trennen Welten.
       
       Bilder von Geflüchteten zielen in vielen Fällen darauf, bei ihren
       Betrachtern Empathie zu wecken. Darauf verzichten Sie, die Bilder wirken
       kühl. 
       
       Ich habe ein Problem damit, das Leiden anderer Menschen zu betrachten, dem
       ich so fern bin. Auch mit meinen Fotografien erwecke ich hoffentlich
       Empathie beim Betrachter, aber nicht dadurch, dass ich ihn schockiere,
       sondern vielleicht eher, weil ich ihn an etwas erinnere, das er eigentlich
       kennt.
       
       Das Foto des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Ailan Kurdi hat mehr als alle
       anderen eine gesellschaftliche und sogar politische Debatte ausgelöst.
       Warum, glauben Sie, hatte es eine so große Wirkung? 
       
       Als das Bild von Ailan Kurdi um die Welt ging, konnte und wollte ich es mir
       nicht anschauen. Nicht nur, weil ich es schwierig zu ertragen fand, sondern
       auch, weil es mich ärgert, dass solche plakativen Bilder eine solche
       Wirkung haben. Das ist doch verrückt! Da ist ein totes Kind, und wir können
       es uns anschauen! Und plötzlich geht uns auf, dass Unrecht in der Welt
       passiert. Und sogar die Politik reagiert darauf: Grenzen werden geöffnet,
       und dann werden sie wieder geschlossen. Dokumentarische Bilder werden aus
       Kontexten gerissen, werden mit Slogans versehen, werden instrumentalisiert,
       das ist immer schwierig.
       
       Hätten Sie das Foto von Ailan Kurdi geschossen? 
       
       Ganz sicher nein. Bei weitaus weniger tragischen Situationen habe ich in
       professioneller Hinsicht immer versagt. Das hat mich auch oft geärgert.
       Mittlerweile habe ich es mir so zurechtgelegt, dass ich in meiner Arbeit
       eben etwas behutsamer über das menschliche Drama erzähle.
       
       26 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mathias Königschulte
       
       ## TAGS
       
   DIR Fotografie
   DIR Unterbringung von Geflüchteten
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR zeitgenössische Fotografie 
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Museum für Photographie Braunschweig
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Fotografie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ausstellung von Fotograf Michael Danner in Berlin: Die Bilder neben den Bildern
       
       Seit 2008 beschäftigt sich Michael Danner mit Migration. Er sucht dabei
       ungewohnte Perspektiven. Seine Aufnahmen sind nun bei C/O Berlin zu sehen.
       
   DIR Bootsflüchtlinge im Mittelmeer: Mehr als 4500 Menschen gerettet
       
       Die italienische Küstenwache hat die Tagesbilanz für Dienstag
       veröffentlicht: Es gab 30 Rettungseinsätze unterschiedlicher
       Organisationen.
       
   DIR Grenzagentur der Europäischen Union: Frontex fordert kleine Öffnungen
       
       Laut Frontex-Direktor Fabrice Leggeri ist die zentrale Mittelmeerroute so
       stark frequentiert wie nie. Er spricht sich für mehr legale Einreisewege
       nach Europa aus.
       
   DIR Nachlass eines ermordeten Fotografen: Eine hochexplosive Gesellschaft im Porträt
       
       Das Museum für Photographie in Braunschweig zeigt Bilder des 2005
       ermordeten Fotografen Nikolaus Geyer, der seine Diplomarbeit, Beirut
       widmete
       
   DIR Fotografie aus Syrien in Berlin ausgestellt: Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit
       
       Der syrische Fotograf Hayyan Al Yousouf liebt das Wasser, am Euphrat und am
       Wannsee. In Berlin stellt er Bilder seiner Heimat aus.
       
   DIR Unicef-Foto des Jahres 2015: „Schiere Verzweiflung“
       
       Zwei Kinder werden an der griechisch-mazedonischen Grenze von ihren
       Angehörigen getrennt. Fotograf Georgi Licovski hält die Szene fest – und
       wird ausgezeichnet.