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       # taz.de -- Bierbikes in Berlin: 20 Liter in zwei Stunden
       
       > Alle hassen Bierbikes und ihre grölenden Fahrer. Bald sollen sie in der
       > Berliner Innenstadt verboten werden. Höchste Zeit, mal mitzufahren.
       
   IMG Bild: Bierbikes haben einen hohen Spritverbrauch: Archivbild aus dem Jahr 2013
       
       Chris wird in drei Wochen heiraten, deshalb trägt er heute einen purpurnen
       Glitzerhut und einen knallbunten Badeanzug. Junggesellenabschied. Unter
       seinem linken Nasenflügel hat Chris ein pennygroßes Muttermal. Seine zwölf
       Kumpels haben sich deshalb alle ein Muttermal unter die Nase geklebt. Sie
       kennen sich aus der Schule in Cardiff, Wales. Erst am Flughafen erfährt
       Chris, dass sie das Wochenende in Berlin verbringen werden.
       
       Wenige Stunden später kommen sie auf dem Areal der „Bierbike-Station“
       hinter dem Alexanderplatz an. Doch die Begrüßung haben sich die Waliser
       anders vorgestellt. Angelo, der Sicherheitsmanagement studiert und am
       Wochenende Bierbikes durch die Stadt kutschiert, führt sie als Erstes zur
       Dopingprobe.
       
       In den Vertragsbedingungen stand zwar, dass der Alkoholwert jedes
       Teilnehmers nicht über 0,2 Promille liegen darf. Das hatten sie gelesen,
       aber nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich ins Röhrchen blasen
       müssen.
       
       Bierbikes, das steht für Männerhorden, die grölend und saufend durch Berlin
       ziehen. Gerade hat der Senat das Verbot in den wichtigsten Straßen der
       Innenstadt bestätigt. Wie lange die Fahrt zum Berliner Dom noch möglich
       ist, entscheidet bald ein Gericht. Lokalpresse, Politik und die meisten
       Berliner sind sich im Hass auf die Bierbikes einig. Doch ist der
       gerechtfertigt? Zeit, sich mit einem Junggesellenabschied an den rollenden
       Zapfhahn zu setzen.
       
       ## Maximal 0,2 Promille
       
       Ulrich Hoffmann-Elsässer ist Geschäftsführer von „Big-Bike Berlin“. Vor
       fünf Jahren habe er die Alkoholkontrollen eingeführt. Insbesondere die
       Engländer hätten sich auf den Touren nicht immer korrekt verhalten.
       
       Den Vorwurf, er würde „Sauftourismus“ betreiben, findet Hoffmann-Elsässer
       ungerechtfertigt. „Meine Kunden werden zu Touristen zweiter Klasse
       degradiert“, sagt er. „Wir behindern weder maßgeblich den Verkehr noch sind
       wir eine Gefahr für diesen.“ Bei 5.000 Touren in den letzten sieben Jahren
       habe es noch keinen Unfall gegeben. Wenn er nicht mehr zu den
       Sehenswürdigkeiten fahren dürfe, sagt Hoffmann-Elsässer, könne er seinen
       Laden dichtmachen. 25 Mitarbeiter würden ihren Job verlieren. Er will gegen
       das Verbot klagen.
       
       Angelo, der Fahrer, wählt drei Waliser zur Alkohol-Stichprobe aus. Dave,
       Dean und Matthew blasen ins Röhrchen. Zur gleichen Zeit wird eine Gruppe
       Engländer getestet, der erste von ihnen hat 1,1 Promille. Beim zweiten
       sieht es nicht besser aus. Sie dürfen nicht fahren. Beim Weggehen
       beschimpfen sie die Betreiber als „Fucking Germans“.
       
       Die Jungs aus Wales haben Glück. Keiner hat mehr als 0,2 Promille im Blut –
       noch nicht. Norman, einer aus der Gruppe, sagt: „Das war knapp. Später
       hätten wir keine Chance gehabt.“
       
       ## Mit dem Schraubenschlüssel auf die Glocke
       
       Zwei Stunden Fahrt kosten 300 Euro, Getränke kosten extra. Die Waliser
       haben sich für ein 20-Liter-Bierfass entschieden, mehr ist nicht erlaubt.
       Angelo erläutert die Regeln: „Wenn ich mit meinem Schraubenschlüssel auf
       die Glocke haue, müsst ihr in die Pedale treten, und zwar kräftig. Das Bike
       wiegt eine Tonne. Absteigen während der Fahrt ist nicht erlaubt. Es wird
       Pinkelpausen geben. Seid nett zu den Passanten. Einer von euch muss in der
       Mitte stehen und das Bier zapfen. Es gibt eine Musikanlage, an die ihr
       euren iPod anschließen könnt.“ Wie maßloser Sauftourismus klingt das
       eigentlich nicht.
       
       Angelo gibt das Startsignal, haut mit seinem Schraubenschlüssel auf die
       Glocke. Es dauert eine Weile, bis die Waliser das Bike in Bewegung setzen.
       Tucker, einer der Jungs, steht am Zapfhahn und füllt die Becher. Die
       Stimmung ist prächtig, die Sonne scheint und aus den Boxen kommt „Can’t
       Take My Eyes Off You“. Dreizehn Männer singen: „I love you, baby, and if
       it’s quite alright I need you, baby, to warm a lonely night. I love you,
       baby …“
       
       Das Bierbike steht an einer roten Ampel. Angelo ist Fahrer und Reiseführer.
       Er sagt: „Links eines der ältesten Gebäude Berlins, die Nikolaikirche. Und
       rechts das Rote Rathaus, indem bis vor Kurzem unser schwuler
       Partybürgermeister Klaus Wowereit residierte.“
       
       Die Ampel springt auf Grün, Angelo schlägt die Glocke. Hinter dem Bierbike
       steht ein Doppeldecker der BVG. Die Fahrerin lacht, lehnt sich aus dem
       Fenster und fordert die Jungs auf, kräftiger in die Pedale zu treten: „Come
       on, you boys. More power.“ Die Jungs prosten ihr zu und bieten ihr ein Bier
       an. Die Fahrerin lehnt dankend ab: „A drink now would be perfect. But I
       have to work. Have fun in Berlin.“
       
       ## Spitzengeschwindigkeit 6 km/h
       
       Eine halbe Stunde später, erste Pause am Berliner Dom. Alle wollen das
       Bierbike fotografieren. Die Jungs posieren vor den Kameras kichernder
       Asiatinnen. Zwei Spanierinnen wollen mitfahren, die Waliser sind
       begeistert. Aber Angelo gibt den strengen Reiseleiter. Es gibt nicht genug
       Plätze und das Mitnehmen fremder Passagiere ist verboten.
       
       Es geht weiter Richtung Brandenburger Tor. Die Spitzengeschwindigkeit des
       Bierbikes beträgt 6 km/h. Ein älteres Schweizer Ehepaar fährt mit seinen
       Fahrrädern hinter dem Bierbike. Die Waliser bieten dem Ehepaar ein Bier an.
       Der Mann nimmt einen Becher und prostet den Walisern zu. Angelo sagt
       wieder: „Strengstens verboten.“ Der Schweizer muss sein Bier abgeben. Die
       Jungs entschuldigen sich und singen jetzt „Footloose“.
       
       Am Brandenburger Tor werden die Waliser und das Bierbike wieder hundertfach
       fotografiert. Billy, einer der Jungs, sagt zu Angelo: „Du musst sehr stolz
       auf deine Stadt sein.“ Angelo dreht sich eine Zigarette und fragt:
       „Weshalb?“ Billy sagt: „Ihr habt wunderschöne Gebäude und breite Straßen.
       Kein Stau, kein Stress und überall gut gelaunte und entspannte Menschen.“
       Angelo nickt höflich. Er verschweigt, dass Lokalpolitiker das Bierbike als
       Schandfleck betrachten. Dass die Bierbike-Touren für viele ein Hassobjekt
       sind, der Inbegriff des Spaß- und Sauftourismus. Ist auch nicht Angelos
       Job, seinen Kunden solche Geschichten zu erzählen.
       
       ## Beifall für die Braut
       
       Das Bike rollt wieder los, das Bier fließt, die Passanten winken,
       überholende Fahrradfahrerinnen werden mit „High Five“ abgeklatscht, die
       Jungs singen „I Gotta Have Faith“ von George Michael. Vor einem Hotel steht
       eine deutsch-türkische Hochzeitsgesellschaft. Die Waliser lassen die Braut
       hochleben. Die Hochzeitsgesellschaft klatscht Beifall und winkt.
       
       Kurz vor dem Ende der Tour, in der Nähe des Alexanderplatzes, gibt es einen
       Anstieg. Angelo klopft mit seinem Schraubenzieher die Glocke, aber die
       Beine der Jungs sind müde. Tucker appelliert an die walisische Ehre und
       beginnt die Nationalhymne zu singen. Jetzt treten alle noch einmal kräftig
       in die Pedale und singen ihre Hymne: „Gwlad, gwlad, pleidiol wyf i’m gwlad.
       Tra mor yn fur i’r bur hoff bau, O bydded i’r hen iaith barhau.“
       
       Nach zwei Stunden Fahrt erreichen sie wieder die Verleihstation am
       Alexanderplatz. Die Waliser sind glücklich und ziehen weiter.
       Hoffmann-Elsässer steht vor der Flotte seiner Räder. „Die Londoner haben
       ihre Doppeldeckerbusse, die Wiener ihre Droschken, die Venezianer ihre
       Gondeln und wir in Berlin eben unsere Bierbikes. Schimpft denn etwa ein
       Venezianer über einen singenden Gondoliere? Nein!“
       
       20 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alem Grabovac
       
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