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       # taz.de -- Studie zur politischen Mitte: Die gespaltene Republik
       
       > Eine Studie sieht keinen wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland.
       > Wohl aber eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft.
       
   IMG Bild: Deutschland im Regen, Pegida eben
       
       Berlin taz | Es ist ein denkbar widersprüchliches Bild, das Deutschland
       derzeit abgibt. Einerseits helfen bis heute bundesweit zehntausende
       Ehrenamtliche Geflüchteten, andererseits reißen die Gewalt gegen
       Asylbewerber und der Zulauf zu rassistischen Protesten nicht ab.
       
       Seit Mittwoch liegt nun eine wissenschaftliche Untersuchung der aktuellen
       politischen Gemengelage vor: Die Universität Leipzig hat ihre [1][neue
       „Mitte“-Studie] veröffentlicht. Und die präsentiert einen auf den ersten
       Blick erstaunlichen Befund: Trotz aller Anti-Asyl-Proteste haben sich
       rechtsextreme Einstellungen in Deutschland nicht weiter ausgebreitet.
       Diejenigen aber, die diese Positionen vertreten, treten inzwischen deutlich
       gewaltbereiter und „enthemmter“ auf.
       
       2.420 Personen haben die Wissenschaftler für ihre Studie in diesem Frühjahr
       befragt. Als Ergebnis bemerken sie eine zunehmende Polarisierung der
       Gesellschaft. So lassen sich inzwischen 60 Prozent der Befragten dem
       aufgeschlossenen, demokratischen Milieu zuweisen – einem Milieu, das die
       Demokratie klar bejaht und sich politisch einbringt.
       
       Vor zehn Jahren war diese Gruppe noch um 23 Prozentpunkte kleiner. Das
       Gegenlager der „Vorurteilsgebundenen“ und „Antidemokratisch-Autoritären“
       schrumpfte dagegen im umgekehrten Verhältnis auf 40 Prozent.
       
       Auf der anderen Seite aber verbreiten sich über alle Gruppen hinweg
       Vorurteile, vor allem gegen Muslime, Flüchtlinge sowie Sinti und Roma. So
       sagen 41 Prozent der Befragten, Muslimen sollte generell die Einwanderung
       nach Deutschland verboten werden. 59 Prozent werfen Flüchtlingen vor, nicht
       wirklich verfolgt zu sein. Von einer „gefährlichen Überfremdung“ in
       Deutschland spricht jeder dritte Befragte. Und die Hälfte fordert, Sinti
       und Roma aus Innenstädten zu „verbannen“. Auch erschreckend: Immer noch elf
       Prozent sagen, der Einfluss von Juden sei „auch heute noch zu groß“.
       
       ## Handgreiflich „für Ordnung sorgen“
       
       Vorurteile, die sich immer mehr in die Mitte der Gesellschaft
       einschleichen. Denn: Zu den „manifest Rechtsextremen“ zählen die Forscher
       nur 5,4 Prozent der Befragten – vier Prozentpunkte weniger als noch zu
       Beginn der Erhebung vor 14 Jahren. Und selbst bei der
       „Ausländerfeindlichkeit“ – immerhin bei jedem fünften Befragten anzutreffen
       – gab es einen leichten Rückgang über die Jahre.
       
       Das Problem: Die schrumpfende Gruppe der Demokratieabgewandten
       radikalisiert sich – und zwar deutlich. Nur noch 13 Prozent aus dem
       „vorurteilgebundenen-autoritären“ Milieu schenken Parteien Vertrauen,
       gerade mal jeder Fünfte noch der Bundesregierung. Zudem erklärten 36
       Prozent, bereit zu sein, sich mit Gewalt „gegen Fremde durchzusetzen“.
       Jeder Zweite akzeptiert, wenn andere handgreiflich „für Ordnung sorgten“.
       
       „Die rechtsextrem Eingestellten enttabuisieren nicht nur mit Macht die
       Ideologie der Ungleichwertigkeit“, warnen die Studienleiter Oliver Decker
       und Elmar Brähler. „Sondern sie halten auch die gewaltvolle Durchsetzung
       ihrer Interessen für legitim.“
       
       Tatsächlich setzen sich die Einstellungen längst in Taten um. 1.003
       Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gab es im vergangenen Jahr – ein
       einsamer Rekord. Und die Gewalt reißt nicht ab. In diesem Jahr gab es
       bereits erneut 484 Angriffe auf Unterkünfte, darunter 47 Brandstiftungen.
       Von einer „bedrohlichen Entwicklung“ sprach jüngst Bundesinnenminister
       Thomas de Maizière (CDU).
       
       ## AfD als neue Heimat für Rechtsextreme
       
       Was die Studie auch feststellt: Vertreten fühlen sich die Rechtsextremen
       längst nicht mehr von der NPD – sondern von Pegida oder der AfD. Auch die
       Bindungskraft der großen Parteien für diese Gruppe lässt nach: Konnten 2014
       noch Union und SPD knapp die Hälfte der rechtsextrem Eingestellten an sich
       binden, ist es 2016 nur noch jeder vierte. „Die Rechtsextremen haben in der
       AfD eine neue Heimat gefunden“, konstatieren die Autoren der Studie. Mehr
       als jeder Dritte mit entsprechenden Einstellungen würde heute AfD wählen,
       2014 waren es nur 6,3 Prozent.
       
       Befürwortung einer Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit,
       Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus
       – in allen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen sei die Zustimmung der
       AfD-AnhängerInnen in den vergangenen zwei Jahren gestiegen, so die
       Wissenschaftler.
       
       Außerdem sind die potenziellen WählerInnen der AfD, was wenig überrascht,
       besonders islamfeindlich, homophob, sexistisch, antiziganistisch und
       flüchtlingsfeindlich eingestellt. Hinzu kommt bei den AfD-AnhängerInnen
       eine niedrige Zustimmung zur Demokratie: Die Staatsform, wie sie im
       Grundgesetz festgeschrieben ist, befürworten 52 Prozent, so wie sie
       tatsächlich funktioniert nur 11 Prozent. Selbst NichtwählerInnen sind
       weniger skeptisch. Gepaart mit der hohen Abwertung von Minderheiten, ergebe
       das „eine gefährliche Mischung an Einstellungen“, so die Forscher.
       
       Besorgniserregend ist zudem, dass unter den AfD-Anhängern fast jeder zweite
       Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung anerkennt. 47 Prozent
       sind nach Ansicht der Leipziger Wissenschaftler sogar selbst gewaltbereit.
       
       15 Jun 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.boell.de/sites/default/files/uploads/2016/06/2016-06-die_enthemmte_mitte_pk.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
   DIR Konrad Litschko
       
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