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       # taz.de -- EMtaz: Kolumne Queering Soccer: Die Missverständnisse des Michael B.
       
       > Wenn einstige Sportler am Kommentator*innenmikro sitzen, ist es
       > mit distanzierter Analyse nicht weit her. Ihnen geht das Herz über, und
       > wie.
       
   IMG Bild: Ein Muster an alter Männlichkeit: der lachende Michael Ballack in FC-Bayern-Ausgehuniform
       
       Wer war das noch mal? Ah, danke. Er ist dennoch nicht allein ein Fall für
       Erinnerungen („Ach, weißt du noch? Der Spieler, den Klinsmann leicht
       spöttelnd zum Capitano machte und doch nie mehr war als ein Feldwebel mit
       gehobener Schusstechnik?“). Sondern einer der Gegenwart.
       
       Michael Ballack, wie Lothar Matthäus nie ein Fall für die weitere
       Verwendung beim DFB nach dem Ende der Spielerlaufbahn, kommentiert
       EM-Spiele für den US-Sender ESPN. Und tut das auf eine Weise, wie er früher
       Fußball spielte: robust vor allem und als klassisch-männlich-heterosexuelle
       Führungskraft nicht in der Lage, den Wert des Mannschaftlichen
       anzuerkennen, es sei denn als Zuträgergemeinschaft für ihn, den Star,
       selbst. So sagte Ballack nach dem 0:0 gegen Polen: „Die Schwäche dieses
       Teams ist, dass es alles schön machen und den Ball ins Tor tragen will.
       Natürlich will man schönen Fußball spielen. Aber manchmal muss man sich
       auch einfach darauf konzentrieren, zu gewinnen.“
       
       Das Los von Menschen, die im Fernsehen das kommentieren, was sie als Sport
       einst selbst ausübten, ist ja leicht zu erklären: Sie können nur selten
       erklären, was wirklich strategisch wie taktisch passierte (Scholl kann das,
       Kahn gelegentlich auch, Netzer schaffte das perfekt). Weil sie sich mit dem
       Geschehen identifizieren und unbewusst immer die Frage formulieren: Warum
       bin ich nicht auf dem Platz und zeige, wie’s wirklich geht? Es besser
       ginge, nicht so, wie es gegen Polen war.
       
       Was Ballack also mit dem Satz im US-Fernsehen wirklich sagen wollte, war
       dies: Löw setzt nur auf Schönheit, und ich finde, Schönheit ist scheiße,
       weil nix dabei rumkommt – und hätten sie mich noch als Kapitän, dann hätten
       wir uns auf den Sieg konzentriert, um zu gewinnen. Ein Fall von
       postpotentem Größenwahn sozusagen.
       
       ## Ein Muster an alter Männlichkeit
       
       In Wahrheit kam es nicht drauf an, Polen zu schlagen, sondern in der
       zweiten EM-Partie Hummels wieder an den Ernst des Turnierlebens
       heranzuführen und Höwedes, wie in Brasilien 2014, auf echte
       Betriebstemperatur zu bringen. Aber Ballack hat nie so mittel- und
       langfristig gedacht, ihm ging es um bella figura – falls man das bei ihm so
       sagen darf – im Hinblick auf das Publikum, das ihm nach einem Spiel dankbar
       attestiert, sich wieder voll verausgabt zu haben.
       
       Als ob es bei modernem Fußball in irgendeiner Vorrunde nur darum gehen
       könnte. Ballack war, so gesehen, ein Muster an alter Männlichkeit, ein
       Feldzügler auch vor der Front, nicht an der Schlachtlinie selbst – um es in
       seiner Logik zu sagen. Ein Mann, der auf schwules Getändel nie stand, weil
       alle Schönheit bei ihm Verdacht erregt und „Alarm“ ruft: Ästhetisch Feines
       kann für ihn nicht einmal funktional sein.
       
       Sei’s drum. Man ehre ihn weiter. Als Gefallenen einer Fußballkultur, die
       immer „Krieg“ versteht, wenn es doch eigentlich um ein schönes Spiel geht.
       
       19 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
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