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       # taz.de -- Kommentar Auschwitz-Prozess: NS-Verbrechen altern nicht
       
       > Die Verurteilung der Täter ist trotz hohen Alters eine wichtige Geste
       > gegenüber den Opfern. Ahndung muss sein, solange sie noch möglich ist.
       
   IMG Bild: Eine Geste gegenüber den Überlebenden und ihren Nachkommen: hier William Glied und sein Enkel
       
       Die bundesdeutsche Justiz zählt nicht unbedingt zu den Institutionen, die
       durch einen besonders ausgeprägten Hang zur Selbstkritik auffallen. Umso
       erfrischender waren die Aussagen des Detmolder Schwurgerichts [1][in der
       Urteilsbegründung gegen den ehemaligen SS-Wachmann von Auschwitz, Reinhold
       Hanning]. Denn Richterin Anke Grudda hat nicht nur die verhängte
       fünfjährige Haftstrafe gegen den Angeklagten überzeugend begründet. Das
       Gericht kritisierte auch die Verfehlungen der Bundesrepublik bei der
       Verfolgung von NS-Straftätern in der Vergangenheit.
       
       Was Grudda da ansprach, ist eines der niederschmetterndsten Kapitel in
       diesem Land. Nach dem Ende der Besatzungszeit 1949 glaubten Staat, Justiz
       und weite Teile der Gesellschaft, einen schnellen Schlussstrich ziehen zu
       können. Eine Strafverfolgung von Verbrechen fand in aller Regel nicht
       statt. Stattdessen bemühte sich Westdeutschland darum, die alten Eliten an
       den neuen Staat heranzuführen, im vollen Bewusstsein, dass diese zu einem
       guten Teil aus Verbrechern bestand. Es war gewiss kein Zufall, dass
       namentlich die Justizbehörden dabei ganz besonders nachsichtig agierten,
       waren doch die Richter und Staatsanwälte in der Regel dieselben, die schon
       zu Nazi-Zeiten Recht gesprochen hatten.
       
       Erst die Gründung der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
       Ende der 1950er Jahre vermochte wieder Prozesse gegen die Nazi-Täter in
       Gang zu setzen. Doch noch immer waren es die alten Herrschaften, die im
       Justizapparat bestimmten, und so erfolgten ganz erstaunliche
       Verfahrenseinstellungen, etwa aufgrund zweifelhafter ärztlicher Gutachten,
       die den Angeklagten Verhandlungsunfähigkeit attestierten.
       
       Die jüngsten Verfahren gegen Demjanjuk oder Hanning können den moralischen
       Schaden nicht wieder gutmachen. Aber andererseits wäre nichts falscher, als
       die letzten Täter aufgrund ihres hohen Alters nun davonkommen zu lassen.
       
       Das jahrzehnte lange Versagen der Justiz begründet es nicht, nun erst recht
       weiter versagen zu dürfen. Und es existiert glücklicherweise auch kein
       Paragraph, der Beihilfe zum Mord in Auschwitz mit Freispruch belohnt, nur
       weil der Angeklagte besonders alt geworden ist. Es ist vielmehr ein Gebot
       gegenüber den Opfern und ihren Nachkommen, die Verbrechen der Nazis zu
       ahnden, solange dies noch möglich ist – und das wird nicht mehr lange der
       Fall sein.
       
       17 Jun 2016
       
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